Fleisch aus dem Labor: Nahrung der Zukunft
Vor mir liegt ein kleines Hähnchen-Nugget. Es hat eine goldgelbe Farbe, eine knusprige Panade und sieht aus wie normales Fast Food. Aber dieses Nugget kostet 100 Dollar - und stammt aus einem Labor. Kein Hähnchen sei dafür gestorben, verspricht der amerikanische Hersteller Just. Es besteht aus Kunstfleisch. Ich werde das Nugget probieren.
Kunstfleisch-Firmen Tür an Tür mit Google und Co.
In den USA gelten die neuen Fleischprodukte als großer Zukunftsmarkt. Start-ups wie Just firmieren in San Francisco Tür an Tür mit Amazon, Google und Facebook. Es geht um viel Geld, und sie wollen den Fleischmarkt grundlegend verändern. Das könnte auch Auswirkungen auf die norddeutschen Landwirte haben.
Laborschnitzel verbraucht weniger Ressourcen
Die Technik für das Kunstfleisch stammt aus der medizinischen Zellzucht. Für die Herstellung werden einem Tier Stammzellen entnommen und in einer Nährlösung zu Muskelzellen vermehrt. Am Ende entstehen Fleischklumpen, die ähnlich wie Hack- oder Formfleisch verarbeitet werden können. Die Produktion verbrauche weniger Ressourcen und keine Antibiotika, wirbt die Kunstfleisch-Industrie. Ein französisches Unternehmen hat sich auf nachgebaute Gänse-Stopf-Leber fokussiert, ein kalifornisches auf Schweinewurst und eine israelische Firma auf Rinder-Steak.
Die Ersatzfleisch-Arten im Überblick
Auch deutsche Firmen wie Wiesenhof investieren in neuen Markt
Die Erfolgs-Prognosen für das Fleisch der Zukunft versetzen viele Start-Ups in einen Goldrausch. 2030 sollen bereits 140 Milliarden US-Dollar mit Kunstfleisch umgesetzt werden, zehn Jahre später 630 Milliarden Dollar. Dann soll knapp ein Drittel des weltweiten Fleisches künstlich hergestellt werden, sagt eine Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Um bei dem großen Geschäft dabei zu sein, investieren konventionelle Fleischproduzenten wie die PHW-Gruppe, bekannt als Wiesenhof, in Kunstfleisch-Start-Ups. Auch Staaten wie Israel und Japan und Microsoft-Gründer Bill Gates haben in das Fleisch der Zukunft Geld gesteckt. Um möglichst schnell die Forschung abzuschließen und Fleisch in großen Mengen zu produzieren, suchen die Start-Ups Investoren.
Die erste Retorten-Bulette kostete 300.000 Euro
Vorreiter des Kunstfleisches ist der niederländische Professor Mark Post. 2013 präsentierte er in London den ersten Hamburger aus dem Labor. Damals kostete eine Bulette noch rund 300.000 Euro. Seitdem versucht er mit seiner Firma Mosa Meat vor allem Produktionskosten zu reduzieren, um in zweieinhalb Jahren gegen das konventionelle Fleisch anzutreten. "Wenn wir das schaffen, haben wir der Welt einen großen Gefallen getan. Für die Umwelt, für die Ernährungssicherung und für die Tiere", sagt Post dem NDR.
Bald Kunstfleisch aus Norddeutschland?
Irgendwann könnte das Fleisch auch aus norddeutschen Laboren kommen. In Rostock hat sich das Start-Up Innocent Meat gegründet, dass nachgebautes Fleisch verkaufen will. Bis zur Marktreife werde es aber noch einige Jahre dauern, sagt Laura Gertenbach, der Prozess sei aufwendig. "Wir befinden uns in der Finanzierungsphase und möchten im Anschluss unseren Prototypen herstellen." Das kalifornische Unternehmen Just ist da schon weiter. Es kündigt an, noch in diesem Jahr Kunstfleisch in großen Bioreaktoren zu züchten und zu verkaufen. Die einzige Hürde seien die Zulassungen als neuartiges Lebensmittel.
Auch für Kunstfleisch sterben Tiere - das soll sich ändern
Die Zielgruppe für Kunstfleisch sind Fleischesser. 32 Prozent der Menschen im Alter von 14 bis 29 Jahren sind laut dem Forsa Ernährungsreport bereit, Fleisch aus dem Reagenzglas zu kaufen. Insgesamt würden aber nur 17 Prozent der Deutschen das Kunstfleisch kaufen. Das könnte an der Nährlösung liegen, in der das Fleisch bislang noch häufig gezüchtet wird. Denn für das eingesetzte Kälberserum muss eben doch ein Tier sterben: Nach der Schlachtung des Muttertiers wird das Kalb aus der Gebärmutter geholt und das Blut aus dem bereits schlagenden Herzen gewonnen und zu Kälberserum verarbeitet. Doch viele Hersteller versprechen, in Zukunft auf pflanzliche Alternativen umzusteigen. Das soll dann auch Vegetarier überzeugen.
Landwirt: "Dann wären Betriebe wie meiner überflüssig"
Was denken norddeutsche Landwirte über die aggressiven Strategien der neuen Fleischzüchter? In Barsinghausen lädt uns Landwirt Arnd von Hugo in seinen Stall ein, in dem 24.000 Hühner kurz vor der Schlachtung stehen. Alles ist sauber und aufgeräumt, aber die Fläche ist auch gut gefüllt. Fast alle Hühner in Deutschland wachsen so auf. Von Hugo sagt, er habe kein Problem mit Vegetarismus - aber Kunstfleisch? "Vielleicht ist das tatsächlich eine Chance, und dann wären so Betriebe wie meiner hier auch überflüssig." Er selbst hätte aber Unbehagen, wenn er sich eine Zellkultur aus dem Labor in den Mund stecken würde, sagt von Hugo. "Dann würde ich eher ganz auf Fleisch verzichten."
Landvolk-Verband fordert Definition für Fleisch
Für das niedersächsische Landvolk besteht offensichtlich kein Grund zur Beunruhigung. Noch spreche man über Laborversuche unter wissenschaftlichen Bedingungen, und die Verbraucherinnen und Verbraucher würden mit Fleisch ohnehin etwas anderes verbinden. "Die Definition für Fleisch sollte gesetzlich geregelt sein und hat Erwartungen der Verbraucher zu respektieren", so das Landvolk. Hier wartet man also offenbar ab.
Ich beiße in mein 100-Dollar-Hühnchenstück ...
Und dann ist es soweit. Beim Kunstfleisch-Hersteller Just in den USA beiße ich in dieses einsame Hähnchen-Nugget auf meinem Teller, das unser Leben verändern soll. Und ja, es schmeckt nach Fleisch. Ehrlich gesagt schmeckt es wie jedes andere Chicken-Nugget auf der Welt. Es ist ja auch nichts anderes als Fleisch. Nur sehr viel teurer. Aber das kann sich ja noch ändern.