Eine Frau schaut seitlich in die Kamera und lächelt. © picture alliance / SvenSimon | Elmar Kremser Foto: Elmar Kremser
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AUDIO: Die "Diva" und das Genderkorsett der Oper (55 Min)

Barbara Vinken über die "Diva" und das Genderkorsett der Oper

Stand: 10.04.2023 00:01 Uhr

Welche Rolle spielen Frauen in der Oper? "Beherrscht wird die Bühne von souveränen Frauen, die große Liebende sind", schreibt Barbara Vinken in ihrem neuen Buch. Wie keinem anderen Genre außer der Mode sei es der Oper gegeben, "Geschlechtsrollen zu entnaturalisieren".

Frisch, raffiniert, originell erzählt Barbara Vinken in ihrem Buch eine Operngeschichte von der "Königin der Nacht" bis "Lulu" und zeigt, dass die Oper schon früh eine Gegenwelt zur männerdominierten Wirklichkeit geschaffen hat. Opern beherrschen das Gefühl, berühren, rühren und wühlen auf. Aber welche Rolle spielen Frauen in der Oper? Barbara Vinken geht in ihrem neuen Buch: "Diva. Eine etwas andere Opernverführerin" den Geschlechterrollen auf der Opernbühne auf den Grund.

Sie betrachten die gesamte Operngeschichte aus einem besonderen Blickwinkel. Denn Sie interessiert besonders der Umgang mit den Geschlechterrollen in der Oper.

Barbara Vinken im Portrait © picture alliance / dpa | Horst Galuschka
Barbara Vinken ist Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Barbara Vinken: Ja, die interessieren mich, besonders bei Mozart. Ich denke, dass kein anderer diese Heiterkeit, diese Ironie und dieses Zurücklassen von Geschlechterklischees oder auch das Sprengen des Geschlechter-Korsetts hat. Bei Mozart ist das auf eine ganz hinreißende Weise inszeniert worden. Ihm gelingt es immer, diese Binarität zu überschreiten, die Klischees und Stereotypen ein bisschen auf den Arm zu nehmen und uns damit, und das kann man nie oft genug tun, vor Augen zu führen, dass die Geschlechterrolle nicht Ausdruck des biologischen Geschlechtes ist. Das finde ich, ist bei Mozart ganz wahnsinnig gelungen. Ich muss allerdings sagen, dass das sowieso für die Oper, gerade für die Oper vor dem 19. Jahrhundert, ganz typisch ist, dass nämlich die Rolle nicht Ausdruck des Biologischen ist. Als besonders heroisch und als besonders männlich galt zum Beispiel die Kastraten-Stimme, also der hohe und starke Sopran. Wir haben in der Oper Hosenrollen, wir haben Jünglinge, den Mezzosopran, der manchmal von Männern und manchmal von Frauen gesungen wird, und wir haben Countertenöre. Das ist natürlich das Spezifikum, vor allen Dingen auch der Barockoper, die diese fantastischen, kunstvoll künstlichen Stimmen hat, die mit der Binarität der Geschlechter, wie sie im 19. Jahrhundert herrschend war, eigentlich gar nichts zu tun hat, aber die besonders reizvoll ist, denke ich.

Das heißt, dass die Themen, die jetzt gerade aktuell sind, Gender-Fluidity, Non-Binary, auch Pansexualität, in der Oper schon behandelt werden - auch in jahrhundertealten Stoffen?

Vinken: Ja, man muss sich das mal vor Augen halten, dass dieses Problem der Binarität und der Gender-Stereotypen vor allen Dingen Problem der zweiten Hälfte des 18., 19. und des 20. Jahrhunderts sind, also ein Problem der Moderne. Dass das Korsett davor überhaupt nicht so eng geschnürt war und dass davor ganz andere Sachen möglich waren, die dem 19. Jahrhundert sicherlich als pervers, schräg oder irgendwie voll daneben erschienen wären. Das ist auch ganz gut, wenn man das mal in der Oper hört, denke ich.

Jetzt ist die Oper etwas, was mit dem Leben zu tun hat. Inwieweit ist, was Sie jetzt beschreiben, etwas, das die Menschen fasziniert hat, das aber auch schon in der Geschichte als eine Art Kuriosum begriffen worden ist? War es das, was man auf der Bühne gezeigt hat, weil es im Alltag nicht möglich war? Wenn ich jetzt beispielsweise an Frauen in Männerkleidung denke, speziell an die Hosenrolle.

Vinken: Es war sicherlich so, dass auf der Opernbühne und vor allen Dingen auf den Bühnen des Vatikans, Frauen nicht spielen durften. Dass deswegen die Shows, wie auch im Shakespeare-Theater die Frauenrollen, von Männern gespielt wurden. Das hat immer Anlass zu Witzen und Anlass zu schrägen Bemerkungen gegeben. Es gab dieses Verbot, dass Frauen nicht öffentlich auf die Bühne sollten und durften. Und wenn sie das später taten, war das immer noch sehr umstritten und ihr Ruf war wirklich oft ruiniert. Das kennen wir heute nicht mehr, Schauspielerinnen haben keinen ruinierten Ruf, aber das war durchaus so, dass die nicht auf die Bühne durften. Auch die Mädchenchöre bei Vivaldi zum Beispiel sangen immer versteckt oder verschleiert. Das heißt, der Frauenstimme und dem Auftreten der Frauen wurde eine so große Verführungskraft zugeschrieben, dass man das lieber nicht im Publikum ertragen sollte. Aber wenn man das mal in Abrechnung stellt, gibt es trotzdem, sagen wir mal, andere Formen des Begehrens, die es auch tagtäglich im wahren Leben gibt, die auf der Opernbühne einen Platz haben.

Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur à la carte | 10.04.2023 | 13:00 Uhr

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