Nachgedacht: Lob des Selbstgesprächs
Unruhig, zerzauselt ist das Weltgeschehen. Was sagt zu all dem die sogenannte innere Stimme, die Stimme in uns? Wie reagiert sie? Wie geht es ihr mit bewegenden Ereignissen? Eine Kolumne von Claudia Christophersen.
Es gibt sie, diese heiklen Situationen, die uns allzu oft zum schnellen Urteil provozieren, ungute, unglückliche Situationen. Da sagt man schnell etwas daher, hat nicht lang genug inne gehalten, es kommt raus, in den falschen Hals und prompt, autsch, ist man ins Fettnäpfchen getreten. Die Lage ist verfahren. Gesagt ist gesagt und nicht stornierbar. Hätte doch jemand gewarnt und gesagt: "Achtung, besinne dich auf das, was du gleich sagst. Behalte die Contenance, atme tief ein, atme tief aus."
Wäre Olaf nicht der Kragen geplatzt...
Wenn es nur so einfach wäre! Wenn es so einfach wäre, wäre unserem Bundeskanzler in der vergangenen Woche nicht der Kragen geplatzt. Alles wäre noch so, wie es in den letzten Monaten vor sich dahin plätscherte.
Was mag sich wohl in den vier Wänden abgespielt haben, bevor der Olaf den Christian vor die Tür gesetzt hat? Vielleicht möchte man das alles gar nicht im Einzelnen wissen. Aber ich frage mich, was so in den Köpfen passiert, im Vorfeld, welche inneren Dialoge stattgefunden haben, die so lange stumm waren. Die Gespräche mit dem eigenen Ich, dem Du in uns, die geführt wurden, um dann, gut vorbereitet auf alle Eventualitäten, coram publico, vor laufender Kamera inszeniert zu werden. Was sagt diese innere Stimme in solchen herausfordernden Momenten? Wer ist sie überhaupt? Wie klingt sie? Scharf und zürnend? Sanft und mild? Schafft sie es, auf den Punkt geistesgegenwärtig zu agieren, zu warnen, zurückzuhalten? Oder motiviert sie? Was sagt sie: "Lass es!" oder "Tu es!"?
Hör auf Deine Stimme!
Psychologie, Hirnforschung und Philosophie haben sich mit diesem Phänomen selbstverständlich schon längst beschäftigt. Wissenschaftler, berichtet zuletzt auch die Süddeutsche Zeitung, versuchen mit Probanden die sogenannten Selbstgespräche zu erforschen und herauszubekommen, was da gesagt wird. Da gibt es etwa diejenigen, die im ständigen Gespräch mit sich sind, die sich Zahlen merken, indem sie sie laut sprechen, die ihre Gedanken im Kopf mit großem Aufwand in endlosen Grübelschleifen und innerer Unruhe versuchen zu sortieren.
Manche hören ein ganzes Orchester von lautem Wenn und Aber. Welchen Mehrwert hat das ganze Gequatsche im Kopf? Studien können belegen, dass sich Menschen, die selten mit ihrer inneren Stimme im Kontakt sind, schlechter Wörter merken können, dass sie weniger ein Gespür für den Klang der Wörter haben. Mit dem Innersten zu sprechen, ist also nichts Wunderliches oder Befremdliches. Im Gegenteil. Das sprechende Ich in uns stärkt das Sprachempfinden, versucht, Affekte zu regulieren, verhindert spontane Wutausbrüche, besänftigt oder befeuert Höchstleistungen. Die Stimme in uns ist im besten Fall der Coach in uns. Das wirklich Besondere daran sollten wir uns auch klar machen: Hörbar bleibt diese Stimme nur für das eigene Ich. Hier hört keiner mit. Das innere Ich, das mit dem Du in uns alles durchfiltert. Eine Gesprächskultur, die wertvoll ist und gut gepflegt werden sollte.