"Zwischen Rücktritt und Aufbruch – Der Islam in Niedersachsen"
Es war eine ereignisreiche Woche. Erst der Rücktritt des gesamten Vorstands des DITIB Landesverbandes Niedersachsen-Bremen. Nach Auffassung des alten Vorstands hatte sich der DITIB-Bundesverband in Köln zu sehr in die Belange vor Ort eingemischt. Und die Debatte um die Unabhängigkeit der Moscheeverbände ging weiter. Auch auf der Deutschen Islam Konferenz, zu der Bundesinnenminister Horst Seehofer eingeladen hatte.
Auftakt der neuen Deutschen Islam Konferenz in Berlin. Eine Podiumsdiskussion mit Horst Seehofer. Der Bundesinnenminister wünscht sich einen festen Ansprechpartner und fordert einen "Islam für Deutschland": "Deutschlands Muslime müssen nicht nur Organisation und Finanzierung ihrer Gemeinde verstärkt selbst in die Hand nehmen", erklärt Seehofer, "sondern auch die Ausbildung von Imamen an ihre Bedürfnisse anpassen."
Die muslimische Community in ihrer ganzen Vielfalt
Bei der Islamkonferenz, einem der wichtigsten bundesweiten Dialogforen, war erstmalig die muslimische Community in ihrer ganzen Vielfalt vertreten: von säkularen über liberale bis hin zu eher konservativen Muslimen. Einer der rund 240 Teilnehmer war Rauf Ceylan, Religionspädagoge am Osnabrücker Institut für Islamische Theologie. Es sei ein wichtiges Signal von der Konferenz ausgegangen, sagt er. "Aber ich erwarte, dass man ernsthaft an der Imam-Ausbildung arbeitet. Wir können kritisieren, dass die Imame aus dem Ausland kommen - wenn wir das nicht finanzieren, wenn wir keine Modelle finden, dann macht das keinen Sinn", stellt Ceylan klar. "Wir brauchen den politischen Willen. Und wir müssen erst mal dafür sorgen, dass auch die Muslime sich einig sind, wollen wir das oder wollen wir das nicht. Und das ist unklar."
Mehr Unterstützung von Politik und Verbänden
Bülent Ucar, der Direktor des Osnabrücker Islaminstituts, sieht das ähnlich. Seit Jahren schon macht er sich für eine praxisnahe theologische Ausbildung stark. Für ein "Imam-Seminar" - vergleichbar mit einem katholischen Priesterseminar. Auch er fordert mehr Unterstützung von der Politik: "Wir haben hier bereits an der Uni Osnabrück Konzepte entworfen, wie man etwas derartiges umsetzen könnte, nur das Interesse scheint sehr gering zu sein."
Kontrovers diskutiert wurde über die Frage, wie die Eigenständigkeit der Moscheegemeinden gestärkt werden kann. Ein Vorwurf: es gebe zu große finanzielle und personelle Abhängigkeiten vom Ausland. Auch in Niedersachsen wird derzeit darüber debattiert. Vor wenigen Tagen erst ist Yilmaz Kilic, der Vorsitzende des DITIB-Landesverbandes, mit dem gesamten Vorstand zurückgetreten. Zur Begründung hieß es sinngemäß, der Reformwille werde ausgebremst - auch von Kräften außerhalb Niedersachsens.
DITIB unter Druck - nicht nur in Niedersachsen
Die Landesregierung stellt nun die Zusammenarbeit mit dem Moscheeverband DITIB auf den Prüfstand - beim Islamunterricht in der Schule etwa. Bisher ist der umstrittene Verband, so Rauf Ceylan, auch noch Mitglied im Beirat des Osnabrücker Islam-Instituts. "Es ist jetzt noch nicht beschlossen, aber höchstwahrscheinlich wird das auf Eis gelegt", meint Rauf Ceylan. "Und das ist auch ein richtiges Signal zu einer Zeit, wo der Einfluss aus der Türkei doch schon so stark ist, dass man schon in die Vorstände der Moscheegemeinden greift – da kann man nicht tatenlos zuschauen."
Auch Yilmaz Kilic stellt sich die Frage, welche Rolle die DITIB künftig noch als Kooperationspartner der niedersächsischen Landesregierung spielen wird. "Es kann sein, dass man die Reißleine zieht und sagt, jetzt reicht`s uns auch. DITIB Köln ändert sich nicht, die Reformen sind noch nicht da. Ob der neue Landesvorstand das irgendwo hinkriegt, weiß ich nicht. Wir lassen uns mal überraschen, ich hoffe, es geht nicht alles den Bach runter."
Ein neuer unabhängiger Islamverband entsteht in Niedersachsen
In Niedersachsen soll nun ein neuer unabhängiger Islamverband gegründet werden, der allen Muslimen und Moscheegemeinden offenstehen soll. Rauf Ceylan begrüßt diese Initiative. "Es werden Leute sein, denen man vertrauen kann, mit denen man jahrelang zusammengearbeitet hat. Das könnte vielleicht auch für das ganze Bundesgebiet eine Art `best practice` sein, eine Art Modellprojekt, Experimentierfeld - ich denke, wir werden höchstwahrscheinlich so einen Weg gehen."
Sicher jedoch ist heute schon eines: Es wird kein einfacher Weg werden.