Das Dach einer Moschee. © NDR
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AUDIO: Denkfabrik Schalom Aleikum: Glaubensspuren (5 Min)

Wie leben Juden, Muslime und Christen in Ostdeutschland?

Stand: 22.03.2024 06:00 Uhr

Im September 2022 gründete der Zentralrat der Juden die "Denkfabrik Schalom Aleikum", die kürzlich ihr zweites Buch vorlegte: über jüdische, muslimische und christliche Spuren des Glaubens in Ostdeutschland.

von Brigitte Lehnhoff

Der Anspruch der "Denkfabrik Schalom Aleikum" ist es, fundiertes Wissen über christliche, jüdische und muslimische Lebensrealitäten zusammentragen, dieses der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen und dadurch Impulse für gesellschaftliche Debatten und Veränderungen geben.

Dimitrij Belkin © Dimitrij Belkin
"Der Dialog muss neu gedacht werden", sagt Dimitrij Belkin.

In den ostdeutschen Bundesländern nach Spuren jüdischen, muslimischen und christlichen Glaubens zu suchen - dieses Projekt überrascht erst einmal. Geht es doch um eine Region, die über Jahrzehnte durch areligiöse Politik geprägt wurde. Dimitrij Belkin leitet die "Denkfabrik Schalom Aleikum". Er sagt, Ostdeutschland sei 2023 bewusst als Jahresschwerpunkt gewählt worden: "Wir haben gesagt, lasst uns eine Region anschauen, die weniger bekannt ist. Punkt zwei sind die drei Landtagswahlen in diesem Kalenderjahr. Und dann dachten wir, wir schauen jetzt nicht auf ein massives Problem: AfD, Osten und postautoritäre Tendenzen - ja oder nein, sondern wir gucken uns ganz konkret unser Thema an und erzählen somit auch eine Geschichte Ostdeutschlands."

Junge Menschen berichten aus ihrem Alltag

Ein kluger Schritt, in den Mittelpunkt die gelebte jüdische, muslimische und christliche Religiosität zu stellen. Denn so erfahren Leserinnen und Leser, dass diese religiösen Gruppen im Vergleich zum Westen zwar sehr klein sind, aber auch im Osten in einer überraschenden Vielfalt existieren. Und was vor den Landtagswahlen so viele beunruhigt, kommt dann wie von selbst zur Sprache, wenn junge Erwachsene aus ihrem Alltag berichten. In Leipzig und Halle beispielsweise sind Muslime wie Juden mit Rechtspopulismus und Rassismus konfrontiert. Für Muslime eröffnen sich aber auch Freiräume. Denn im Osten gibt es keine mit dem Westen vergleichbare Einwanderungsgeschichte. Verbandsstrukturen fehlen deshalb. "Akteure und Akteurinnen erzählen, dass ein Zusammenkommen von Juden und Muslimen zum Beispiel in einer ostdeutschen Großstadt viel einfacher ist, weil die wenigen Muslime, die es dort gibt, auch Kontakt mit fortschrittlich denkenden Christen und Christinnenum suchen, um sich zusammenzutun. Zum Beispiel gegen rechts, um zum Beispiel zu schauen, wie man mit Strukturen vor Ort umgehen kann", sagt Belkin.

Dennoch sei aus jüdischer Sicht ein stärker organisierter und strukturierter Islam wünschenswert, sagt Dimitrij Belkin. Mit Imamen, die in Deutschland ausgebildet sind und auf dem Boden des Grundgesetzes stehen: "Ostdeutschland wäre dann ein Labor, ein Experimentierfeld, wo die spannende Entwicklung von Islam oder von Muslimen in Deutschland möglich ist."

Buch "Glaubensspuren": Ein wichtiger Beitrag in aufgeregten Zeiten

Buchcover: Glaubensspuren © Hentrich und Hentrich Verlag
Das Buch "Glaubensspuren" ist im Hentrich und Hentrich Verlag erschienen und kostet 12,90 Euro.

Das Buch "Glaubensspuren" wurde im Dezember 2023 veröffentlicht, ganz unter dem Eindruck des 7. Oktober. Damals hatten hunderte islamistische Hamas-Terroristen vom Gaza-Streifen aus das Grenzgebiet zu Israel überfallen und mehr als 1.300 Menschen ermordet. Auch für den jüdisch-muslimischen Dialog in Deutschland sei eine andere Zeit angebrochen, eine brutal andere Zeit, sagt Dimitrij Belkin: "Der Dialog muss neu gedacht werden. Aber der Dialog muss fortgeführt werden. Es gibt keine Alternative. 'Alternativlos' ist kein schönes Wort, aber ein richtiges. Das heißt, wir suchen nach neuen Formen, und dieses Buch ist auch ein Versuch einer neuen Form."

Dieser Versuch einer neuen Form ist insgesamt gelungen. Die informative Einführung legt dar, wie sich christliches, jüdisches und muslimisches Leben in Ostdeutschland entwickelt hat, zunächst unter DDR-Bedingungen, dann nach der Wende. Allerdings wäre für dieses Kapitel aktuelleres Zahlenmaterial wünschenswert. Persönliche Berichte veranschaulichen, in welchen Freiräumen junge Menschen ihren Glauben leben können, aber auch mit welchen Beschränkungen. Und eine soziologische Untersuchung ordnet die persönlichen Erfahrungen ein. Diese Mischung aus Informationen, individuellen Stimmen und gesellschaftlicher Analyse ergibt ein abwechslungsreiches, gut zu lesendes, sachliches, unaufgeregtes Buch. Ein wichtiger Beitrag in aufgeregten Zeiten.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 22.03.2024 | 15:20 Uhr

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