Suche nach Anerkennung: Muslimisch und homosexuell
In vielen islamischen Ländern stehen homosexuelle Handlungen unter Strafe, aber auch in Deutschland haben es homosexuelle Muslime oft schwer. Kadriye Acar berichtet über die unterschiedlichen Erfahrungen von Lisa und Ali.
Lisa Osmann öffnet die Tür und straft alle Klischees über Musliminnen Lügen: Kurze blonde Haare, die hinten zu einem Zopf zusammengebunden sind, sportlich gekleidet. Und ein herzliches Lachen, weil jeder, dem sie begegnet, ihr dieselbe Frage stellt: "Das steht für viele im absoluten Widerspruch zueinander. Für mich war das gar nicht so widersprüchlich. Dass ich lesbisch bin, wusste ich schon relativ früh. Was ich schwierig fand, war mit diesem unveränderlichen Faktum, dass ich lesbisch bin, den Weg zur Religion zu finden. Weil du ganz schnell Personen treffen wirst, die sagen, das geht nicht miteinander, du kannst nicht religiös sein, gerade auch im muslimischen Glauben und lesbisch sein. Ich glaube schon daran, dass Allah uns genauso erschaffen hat, wie wir sein sollen. Er ist perfekt, er ist der perfekte Schöpfer, er hat uns genauso gemacht, wie er uns haben wollte."
Dass Lisa auf der Suche nach einer religiösen Heimat schließlich zum Islam fand, hat mit ihrer Familiengeschichte zu tun: "Mein Opa ist türkischstämmig beziehungsweise turkstämmig, weil die damals von der Halbinsel Krim in die Türkei gekommen sind. Das sind Krim-Tartaren, die gehören zu den Turkvölkern. Er ist dann im Verlaufe seines Lebens von Istanbul nach Deutschland gekommen. Hier hat er sich ein Leben aufgebaut."
Konversion zum Islam
Der Opa heiratete eine Deutsche. Die Kindern wurden getauft, wie auch Lisas Vater, später Lisa und ihre Geschwister. "Ich hatte immer so eine Sehnsucht nach Glauben, konnte den aber für mich selber nie im Christentum finden. Aber als ich angefangen hab, mich mit dem muslimischen Glauben zu beschäftigen, habe ich gemerkt, dass das mein Herz erweckt. Ich weiß, dass es für mich ein Schlüsselerlebnis gab, ich stand kurz vor meiner Reise nach Neuseeland und ich wäre drei Monate lang in Neuseeland - und für mich war einfach klar, wenn auf der Reise mir irgendwas passieren könnte, dass ich auf jeden Fall den muslimischen Glauben haben möchte. Dass ich als Muslima sterben könnte. Das war mir wichtig."
Kein Verständnis für Alis Outing
Ali Utlu ist den anderen Weg gegangen. Er, der türkischstämmige Moslem, hat sich vom Islam abgewandt, ist ein Atheist. Während Lisas Eltern sowohl ihr Lesbisch-Sein als auch ihren Glauben sehr schnell akzeptiert haben, brach für Alis Eltern ein Welt zusammen, als er sich als Schwuler outete: "Was werden die Nachbarn denken, was werden Verwandte sagen? Meine Mutter hat geweint, mein Vater wollte gar nicht mehr mit mir sprechen. Ich bin dann an dem Tag auch zu Hause ausgezogen."
Was Ali am meisten schockierte: Seine liberalen Eltern beschimpften ihn als Sünder: "Wie kann man als Moslem homosexuell sein, das ist doch Sünde. Das war so: 'Papa, du trinkst Alkohol, ist das keine Sünde?' Das war auch damals, wo ich zum Atheisten wurde. Vom Islam abgefallen bin. Dieses Bigotte, dieses Moralisieren, "das darf man im Islam nicht", aber dann selber genau die Sachen machen. Mein Vater hat gerne Karten gespielt mit anderen türkischen Männern, da ging es auch um Geld, was Glücksspiel angeht. Sie haben Alkohol getrunken, sie haben im Fernsehen Filme angeschaut, die man nicht anschauen sollte als Muslim. Das war dieses Wasser predigen aber selber Wein trinken", berichtet Ali.
Positive Erfahrungen bei Lisa
Bis heute hat Lisa, die Beamtin ist, keine negativen Reaktionen erfahren. Weder auf ihre sexuelle Orientierung noch auf ihren Glauben. "Ich habe eher das Gefühl, das öffnet einem die eine oder andere Tür. Gerade auch im Alltag, wenn man es mit dem Bürger zu tun hat. Dass es da immer wieder Momente gibt, wo man auf der gleichen Ebene mit jemanden sprechen kann. Egal ob es interkulturell ist oder mit der Sexualität zu tun hat. Es hat mir bisher nur Vorteile beschert, nie Nachteile."
Während Lisa ihre religiöse Heimat im Liberal-Islamischen Bund gefunden hat, hat sich Ali dem Verband der Ex-Muslime angeschlossen. Was beide verbindet: Sie möchten Respekt und Akzeptanz für ihren Lebensweg.