Muslimische Altenpflegerin umsorgt Seniorin. © picture alliance/Petra Steuer Foto: Petra Steuer
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AUDIO: Professionelle Wohlfahrt ohne Muslime? (5 Min)

Professionelle Wohlfahrt ohne Muslime?

Stand: 09.08.2024 11:43 Uhr

Die Nachfrage nach muslimischen Kitas oder Altenpflegeeinrichtungen wächst. Doch die Professionalisierung islamischer sozialer Arbeit geht nur langsam voran.

von Brigitte Lehnhoff

2018 gründete die Ahmadiyya-Gemeinde den Verein An-Nusrat, was übersetzt "Die Hilfe" bedeutet. An-Nusrat ist der erste islamische Wohlfahrtsverband in Deutschland. Seine Gründung ist Folge der Deutschen Islamkonferenz 2015. Auf die blickt Samee Ullah heute auch kritisch zurück. Der 30-Jährige ist Mitglied des Vorstands von An-Nusrat in Frankfurt: "Die Politik hat gedacht, dass am Ende ein islamischer Wohlfahrtsverband aus diesen gesamten Islamverbänden entsteht. Aber das entspricht nicht der Realität, wenn wir schauen, wie unterschiedlich die Verbände innerhalb des Islams in Deutschland sind. Das war ein Stück weit naiv zu glauben, dass es klappen würde, dass da am Ende ein einziger Wohlfahrtsverband daraus entstehen würde."

Warum dauert der Aufbauprozess so lange?

Die Ahmadiyya-Gemeinde strebt an, bundesweit professionalisierte soziale Arbeit anzubieten. Bisher ist An-Nusrat in acht Bundesländern vertreten, dort aber teils erst in Gründung, so etwa in Hamburg. Warum der Aufbauprozess so langwierig ist, erläutert Michael Kiefer, Islamwissenschaftler an der Universität Osnabrück und Experte für das Thema muslimische Wohlfahrtspflege: "Man muss lokal schauen: Wo sind konkrete Bedarfe? Wo sind beispielsweise muslimische junge Eltern, die einen Kindergarten benötigen? Wo sind möglicherweise Senioren, die Betreuung brauchen? Und genau dort muss man einen Träger gründen. Genau dort muss man sich um die finanzielle Unterstützung bemühen. Anders funktioniert das nicht. Es sind also ganz viele Schritte im Vorfeld zu tun, bis man tatsächlich das erste Mal öffentliches Geld in der Hand hält."

Samee Ullah © Samee Ullah
Samee Ullah ist Mitglied des Vorstands von An-Nusrat in Frankfurt.

An-Nusrat stellt sich dieser Herausforderung und baut eine breite Palette sozialer Arbeit auf: Seniorenarbeit, Pflege, Bestattungsdienst, Jugend- und Familienhilfe oder auch Schuldnerberatung. "Das ist die Beratungsstelle, wo zum größten Teil Nichtmuslime zu uns kommen", erzählt Ullah. "Es gibt dann immer wieder Möglichkeiten der Begegnung, wo wir als Muslime zeigen können, dass wir ein Teil dieser Gesellschaft sind und auch etwas zurückgeben möchten."

Nicht alle sind offen für Kooperation

An-Nusrat ist aufgeschlossen für die Zusammenarbeit mit den etablierten Wohlfahrtsverbänden. Dazu zählen der Paritätische, die Arbeiterwohlfahrt, das Deutsche Rote Kreuz, die Jüdische Wohlfahrt, Diakonie und Caritas. Doch erst vor Kurzem platzte ein Kooperationsprojekt mit einem der Verbände in der Altenhilfe. "Wir dürfen nicht naiv sein und glauben, dass man da jetzt überall mit offenen Armen empfangen wird", sagt Ullah. "Irgendwo ist auch im Bereich der sozialen Arbeit eine gewisse Konkurrenz da, ein gewisser Druck vorhanden. Wenn es dann darum geht, auf Augenhöhe gemeinschaftlich ein Projekt zu starten, gibt es auch durchaus Stimmen, die nicht so offen dafür sind."

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"Politisch ist da im Moment wenig zu gewinnen"

Die Ditib, der größte islamische Dachverband in Deutschland, hat im November 2023 ebenfalls einen Wohlfahrtsverband gegründet, um die soziale Arbeit der Moscheegemeinden zu professionalisieren. Dass Hilfsbedürftige sich religiös profilierte Leistungserbringer suchen, erkennt das deutsche Sozialrecht grundsätzlich an. Doch Angebote für Muslime gibt es bisher kaum. "Wir haben ein erkennbares Vollzugsdefizit, wenn wir sechs Millionen Muslime in Deutschland haben, die entsprechend auch religiöse Interessen haben, auch im Bereich der sozialen Dienstleistungserbringung und deren Interessen gar nicht institutionell berücksichtigt werden", sagt Hans Michael Heinig, Professor für öffentliches Recht an der Uni Göttingen und Leiter des kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland. Auch die Politik sei gefragt, dieses Defizit zu beseitigen. Aber: "Die Integration des Islam in den deutschen Status Quo ist im Moment kein Gewinnerthema. Wir haben einen harten Rechtspopulismus, der unter anderem sich dadurch profiliert, dass er islamophob ist, also Muslimfeindlichkeit offen propagiert. Politisch ist da im Moment wenig zu gewinnen. Deshalb haben wir erstarrte Verhältnisse. Es bewegt sich ja gar nichts im Bereich der Islampolitik."

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 09.08.2024 | 15:20 Uhr

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