Erlaubt oder verboten? Musik im Islam
Für die Mehrheit der Muslime gilt: Musik ist halal, also erlaubt. Und dennoch: Seit Jahrhunderten debattieren muslimische Theologen und Rechtsgelehrte über die Rolle der Musik in ihrer Religion.
"Alles, was schwarz-weiß ist, ist für jeden einfacher", stellt die türkischstämmige Theologin Tuba Isik fest. "Zu sagen `Das ist verboten`, ist viel einfacher als zu sagen `Schau mal, da gibt es unterschiedliche Meinungen`. Das erwartet noch einmal eine Vertiefung, das ist anstrengend. Deswegen ist es schwierig, im Islam für eine gewisse Sache eine einfache Antwort zu finden.`"
Tuba Isik wurde in Mainz geboren, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften und Habilitandin am Seminar für Islamische Theologie an der Universität Paderborn. "Das, was im Koran klar verboten ist, das macht Gott auch sehr deutlich", weiß Tuba Isik. "Es ist verboten, Schweinefleisch zu essen - das ist eindeutig. Das brauchen wir nicht zu diskutieren. Aber wenn sich der Prophet zur Musik nicht geäußert hat und er sehr unterschiedliche Positionen dazu bezogen hat, dann muss ich darüber nachdenken. Dann kann ich nicht sagen `Es ist verboten`. Das geht nicht."
Kein Hinweis auf ein Musikverbot im Koran
Der Komponist und Musiker Mehmet Cemal Yeşilçay sieht das ähnlich. "Die Frage, wie es mit der Musik im Islam ausschaut, ist ganz einfach zu beantworten. Der Prophet selbst hat sich erst überlegt, wie er die Gläubigen zum Gebet rufen kann, damit alle Bescheid wissen, wie man das machen kann. Und dann ist man auf den Gedanken gekommen, dass man das singt oder verkündet."
Mehmet Cemal Yeşilçay kam in der Türkei zur Welt, lebt jedoch seit seiner Kindheit in München. Er hat neben der westlichen Musiktheorie auch die arabische Maqam-Lehre studiert, ist ein Virtuose auf der türkischen Laute Oud, ein Kenner der Sufi-Musik und obendrein diplomierter Wirtschaftsingenieur. Einen Hinweis im Koran auf ein Musikverbot sieht Yeşilçay nicht - ganz im Gegenteil. Da müsse man nur einem der Gefährten des Propheten Mohammeds, des Begründers des Islam, die Aufmerksamkeit zuwenden: "Bilāl ibn Rabāh al-Habaschī, das war ein schwarzer, ehemaliger Sklave, den er befreit hatte. Der wurde damit beauftragt, weil er eine tolle Stimme hatte, auf dem Dach eines Gebäudes den Adhan auszurufen. Und das wurde gesungen. Wenn es ein Musikverbot geben würde, hätte der Prophet Bilāl nicht beauftragt, das zu singen mit einer schönen Stimme."
Scheich Muhammed Abi Zaid hört lieber schöne Worte
Der libanesische Scheich Muhammed Abi Zaid leitet den islamischen Gerichtshof in Sayda und engagiert sich für den christlich-islamischen Dialog, vor allem in Zusammenarbeit mit der Jesuitischen Universität in Beirut. Der Richter und Professor für Theologie trägt Turban und üppigen Bart. Er wirkt gesellig und spricht gerne über seine Religion und seine Standpunkte. "Manchmal denke ich, dass die Musik die Worte verdeckt und damit auch ihre Bedeutung zudeckt", meint Scheich Muhammed Abi Zaid. "Das Ohr fühlt sich mehr von Musikinstrumenten angezogen und dann hört man auf den schönen Klang. Doch was sagen mir die Worte? Ich ziehe es vor, wenn überhaupt, sehr leise, weiche Musik zu hören, und höre lieber schöne Worte - eine wohlklingende Stimme, die Worte spricht oder singt."
Musik darf sich nicht gegen das Prinzip des Göttlichen richten
Natürlich sähe der Koran jede Art von Musik als problematisch an, die sich inhaltlich gegen das Prinzip des Göttlichen richten würde, stellt Mehmet Cemal Yeşilçay klar. "Rassismus, schlechte Dinge, sexuelle Ausschweifungen. Wenn die Musik diese Dinge inhaltlich reflektiert, ist sie natürlich verboten."
Der Komponist und Oud-Virtuose schreibt Filmmusik, elektronische sowie traditionelle türkische Musik und Jazz-Arrangements. "Es ist jedem selbst überlassen, was er macht", sagt Yeşilçay. "Es gibt keinen Zwang, auch keinen Religionszwang, den anderen zu überzeugen, was er zu tun oder nicht zu tun hat. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, nach dem Urgedanken des Korans, das ist im Grunde kein Problem. Es gibt kein Musikverbot."
Gesang und Musik gehören zum Islam dazu
Es sei sehr schwierig, so Tuba Isik, Menschen grundsätzlich für Kultur sensibel zu machen. Vor allem für Fundamentalisten, die schon beim Propheten dieses Kulturelle eher als einen Teil der Religion verstehen würden. Die Theologin vermisst vielfach in interkulturellen oder interreligiösen Diskursen den klar definierten Unterschied von Kultur und Religion. Religion wie auch die Kultur würden schließlich gleichermaßen von geografischen und zeitlichen Merkmalen geprägt. "Das ist sehr wichtig, genauso wie in der jüdischen Kultur", betont Tuba Isik. "Die Tradition gibt eine rote Linie vor. An der roten Linie können wir sehen: Es gab immer wieder solche Bereiche oder kulturelle Kontexte, wo die gesagt haben: Nein, Musik wollen wir nicht. Aber eine ganz große Breite an kulturellen Kontexten, die gesagt haben: Musik gehört zum Islam dazu.“