Chormusik
Sonntag, 20. November 2022, 17:00 bis
18:00 Uhr
"Ich hatte kein Gefühl für Harmonie": Das hat John Cage einmal im Rückblick auf seine Studienjahre bei Arnold Schönberg eingeräumt. Vielleicht hat der US-amerikanische Komponist, Künstler und Visionär auch deshalb lange einen Bogen um die Chormusik gemacht. Schließlich gilt der Zusammenklang von menschlichen Stimmen im Chor als ein Inbegriff musikalischer Harmonie. Aber in seinen späten Jahren ist Cage dann doch noch zur Chormusik gekommen und hat wenigstens ein paar Stücke geschrieben. Die sind jetzt auf einem Album des Lettischen Rundfunkchors unter Leitung von Sigvards Kļava zu hören.
Räume für Stille
Cages erstes Werk für Chor sind die Hymnen und Variationen von 1979. Mit einem Verfahren, das er "harmonische Substraktion" nennt, bearbeitet John Cage dort Stücke des US-amerikanischen Komponisten William Billings. So destilliert er aus der älteren Musik etwas Neues: eine oft stockende Folge von sich überlappenden Tönen mit vielen Leerstellen und Räumen für Stille.
Schlichter Charakter
Das Resultat ist eine rätselhafte Klangwelt, die gleichzeitig auch eine zerbrechliche Schönheit verströmt. Cage wünscht sich ausdrücklich, dass die Töne ohne Vibrato gesungen werden. Die Mitglieder vom Lettischen Rundfunkchor setzen das ziemlich konsequent um und bestärken so den schlichten Charakter der Musik.
Meditativer Sog
Gut zehn Jahre nach den Hymnen und Variationen hat sich Cage noch einmal dem Chor zugewandt, im Rahmen seiner number pieces, also Nummern-Stücke. Das Chorstück von Cage, "Four" für vier Stimmen, ist 1990 für den Chor einer Highschool entstanden. Eine Musik von großer Ruhe. Sie hat kaum erkennbare Rhythmen und schon gar keine schnellen Bewegungen. Wenn man sich darauf einlassen kann, entfacht sie einen meditativen Sog.
Eine Sendung von Marcus Stäbler.