Stand: 10.06.2022 09:09 Uhr

Die älteste überlieferte Form (Antike)

"Plattdeutsch" und "Niederdeutsch" sind zwei Bezeichnungen für dieselbe Sprache. Die älteste überlieferte Form des Niederdeutschen ist das sogenannte Altsächsische oder auch Altniederdeutsche. Gemeint ist damit die Sprache des germanischen Stammes der Sachsen. Die Sachsen werden erstmals um 150 n. Chr. erwähnt, in der Erdbeschreibung des Geographen Ptolemäus aus Alexandria.

Das für heutige Augen sehr ungewöhnliche Kartenbild, in das der antike Schriftsteller die Namen der Stämme eingetragen hat, ist mit den geographischen Vorstellungen des Altertums zu erklären. Nach seiner Karte siedelten die Saxones im westlichen Holstein und auf drei Inseln im Westen der Elbmündung. Für die Expansion der Sachsen über die Elbe hinweg fehlen schriftliche Quellen. Der Name Saxones leitet sich, so Widukind von Corvey im 9. Jahrhundert, von dem einschneidigen Hiebschwert her - dem "Sax". Ein volkssprachlicher Ausdruck für die "Sachsensprache" ist nicht überliefert, auf uns gekommen ist lediglich das lateinische lingua saxonica.

Flagge Nordfriesland © Redaktion NDR 1 Welle Nord
Die Flagge Nordfrieslands

Die Zeit des Altsächsischen lässt sich in verschiedene Epochen einteilen. Beginnen wir mit Ptolemäus, also mit der voraltsächsischen Periode, so dauert sie ungefähr vom Jahre 150 bis circa 1200. Von diesem Voraltsächsischen kennen wir nur einige Namen, viel mehr wissen wir von ihm nicht. Und von archäologischen Funden und literarischen Quellen lassen sich kaum Rückschlüsse auf die gesprochene Sprache ziehen. Was denn nun der Jäger wie auf dem Bild gesagt haben mag (es ist auf einem Messingeimer aus Hemmoor), können wir also nur erahnen.

So viel wissen wir aber sicher: Das Altsächsische unterschied sich vom Althochdeutschen im Süden etwa dadurch, dass es die Mitlaute (Konsonanten) aus germanischer Zeit weitgehend beibehielt. Beispielsweise blieben p, t und k im Altsächsischen unverändert, während sie im Althochdeutschen 'verschoben' wurden. Wenn wir den römischen Geschichtsschreiber Tacitus richtig deuten, waren es die Stämme der Reudigner, der Angelnund der Avionen, die sich zu einem neuen Stammesverband, den Sachsen, zusammenschlossen. Genaueres über diesen neuen Stamm verraten archäologische Belege aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten unter anderem aus dem mittleren Wesergebiet.

Die Zeit von 800 bis 1100 ist die eigentliche Zeit des Altsächsischen, denn in diesem Zeitraum sind die meisten Texte entstanden, die wir heute besitzen. Und für die Zeit von 1100 bis 1200 bleibt für die altsächsischen Literaten nur festzustellen, dass sie Texte zumeist lieber im damaligen Deutsch verfassten. Nach 1200 beginnt der Übergang vom Altsächsischen zum Mittelniederdeutschen.

Wer sprach altsächsisch?

Natürlich die Sachsen, auch wenn sie den Begriff altsächsisch nicht benutzt haben. Heute würden sie also "Schwertmänner" heißen, abgeleitet vom Sax. Die Nennung eines diesem Stamme zugeneigten Gottes - Saxnoth - läßt demnach auf einen kriegerischen Kultverbund schließen. Sie mehrten ihr Einflussgebiet nach der Elbüberquerung gen Süden durch kriegerische Macht und Bündnispolitik. Weithin ausgedehnt war ihre Herrschaft um 530, als sie zusammen mit den merowingischen Franken das Reich der Thüringer unterwarfen.

Seit dem 5. Jahrhundert begann die angelsächsische Landnahme, Teile der Sachsen fielen auf der britischen Insel ein und gründeten dort Kleinreiche. Die Namen beispielsweise von Essex, Sussex und Wessex dokumentieren dies heute noch. Im 7. Jahrhundert schließlich stießen sie an die Stammesgrenze zu den Franken. Im 8. Jahrhundert führte der sich zunehmend verschärfende Gegensatz zwischen Sachsen und Franken zu kriegerischen Auseinandersetzungen wie schon unter Karl Martell und Pippin und spitzte sich zu. Karl der Große schließlich besiegte sie in den langen, blutigen Kämpfen zwischen 772 bis 804.

Die heidnischen Sachsen unter Widukind waren bezwungen, wurden in das Karolingerreich eingegliedert und christianisiert. Ein Ergebnis dieses Prozesses war die Gründung der Bistümer und damit Schreiborte Münster, Osnabrück, Paderborn, Minden, Bremen und Verden. In dem Capitulare Saxonicum vom Jahre 797 wird uns denn auch eine Binnengliederung der Sachsen bekannt. Demnach war das sächsische Gebiet in drei Unterstämmen zusammengefaßt: den Westfalahi im Westen, den Ostfalahi östlich bis zur Elbe und Saale und den Angaarii links und rechts der mittleren Weser. Nördlich der Elbe werden noch die Northliudi, die Nordalbinger, genannt.

Wo wurde altsächsisch gesprochen?

Im 9. Jahrhundert zumindest in diesem Gebiet:

Im Süden wird das Altsächsische begrenzt durch eine Sprachscheide, die etwa entlang einer Linie von Olpe über Kassel nach Merseburg führte. Diese modellhafte Grenze zeichnet sich dadurch aus, dass nördlich von ihr - mit heutigem Wortschatz - es heißen würde: Ik maak Eten un gah denn slapen. Südlich davon würde es heißen, wiederum mit heutigem Wortschatz belegt: Ich mache Essen und gehe dann schlafen. Die unterstrichenen Mitlaute zeigen beispielhaft einige der Unterschiede von heutigem Hoch- und Plattdeutsch, die schon für die damalige Zeit galten. Im Norden ist eine Sprachgrenze zum Altfriesischen und Altdänischen zu ziehen, im Westen zum Altniederfränkischen und ebenfalls zum Altfriesischen. Während das Altdänische zum Nordgermanischen gehört, umfaßt das Südgermanische (nach der Völkerwanderungszeit: das Westgermanische) sowohl die Nordseegermanen, zu denen die Sachsen gehören, als auch die Weser-Rhein-Germanen und die Weser-Elb-Germanen. Das Altslawische, das zum Osten hin den Sprachraum des Altsächsischen begrenzt, ist keine germanische Sprache.

Was ist an altsächsischen Texten überliefert?

Die meisten Texte wurden in dieser Zeit in lateinischer Sprache geschrieben. Dies war die Schriftsprache der Gebildeten, also zumeist der Geistlichen. In der Regel dienten diese Texte der christlichen Verkündigung. Die Sprache des Volkes, also das Altsächsische, fand nur ausnahmsweise den Weg auf das Pergament. Es sind deshalb nur sehr wenig altsächsische Schriften auf uns gekommen - zusammen sind es rund 25 Texte. Dies ist gewiss nur ein kleiner Bruchteil von dem, was zu dieser Zeit tatsächlich aufgeschrieben wurde. Der Umfang dieser Texte reicht von wenigen Wörtern bis hin zum umfangreichen Buch mit geschätzten 46.000 Wörtern, dem Heliand, einem Epos vom Leben Christi, das am Ende unvollständig abbricht. Überliefert ist uns nur ein Wortschatz von etwa 4.000 Wörtern - natürlich gibt das die Vielfalt der damals gesprochenen Sprache nicht im entferntesten wieder.

Die altsächsischen Texte lassen sich vier Gruppen zuweisen:

  • der Bibeldichtung
  • der Kleindichtung (etwa Heil- und Segensformeln)
  • der Gebrauchsprosa (etwa Taufgelöbnisse, Güter- und Abgabenverzeichnisse)
  • den Glossen (Vorgänger der Wörterbücher)

Aus der zweiten Gruppe hier ein Beispiel, eine Segensformel gegen Würmer (nesso).

Mit neun weiteren Würmlein (nessiklinon) sollen diese allesamt vom Mark (marge) der kranken Stelle in die Knochen (ben), von dort in das Fleisch (flesg), danach in die Haut (hud) und dann aus dem Körper herausgehen.

So soll die vom Wurm verursachte Krankheit verschwinden.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Hör mal 'n beten to | 01.04.2016 | 10:40 Uhr

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