"Ein ganzes Leben": Das Innenleben eines wortkargen Mannes
Der Regisseur Hans Steinbichler hat sich an das Buch "Ein ganzes Leben" von Robert Seethaler herangewagt, das vom Leben eines Seilbahnarbeiters in den österreichischen Alpen erzählt.
"Ich habe anfangs den Roman eigentlich für unverfilmbar gehalten", erzählt Hans Steinbichler. "Aber ich habe ihn so geliebt, dass ich gesagt habe, ich muss ihn machen! Und wir haben dann überlegt, wie das eigentlich geht."
Hans Steinbichler arbeitet mit imposanten Bildern
Wie lässt sich das Innenleben eines wortkargen Mannes verfilmen? Regisseur Hans Steinbichler arbeitet zum einen mit Bildern einer imposanten Berglandschaft. Denn sie prägt den Waisenjungen Andreas Egger, der um 1900 in einem ärmlichen, abgelegenen Alpendorf aufwächst. Zum anderen stellt er Eggers Begegnung mit der Liebe ins Zentrum. Ein kurzes Glück nur, das ihm vergönnt ist, von dem er aber ein Leben lang zehrt.
Zunächst aber muss er eine Kindheit beim lieblosen Onkel überstehen, der ihn nur widerwillig auf seinem Bauernhof aufnimmt. Nichts als verächtliche Worte und Stockhiebe hat der Grobian für ihn übrig. Das Bein, das er ihm bricht, wächst nie mehr gerade zusammen. Egger aber, zunächst von Stefan Gorski gespielt, später von August Zirner, entwickelt sich trotzdem zu einem aufrechten und starken Mann. Sein Auskommen findet er schließlich beim Bau der ersten Alpen-Seilbahn. Es ist lebensgefährlich, in schwindelerregender Höhe Bäume zu fällen, Stahlträger aufzurichten und Halterungen im Felsen zu verschrauben. Doch auch, wenn der Seilbahn-Bau Opfer fordert, arbeitet Egger voller Stolz mit am "Fortschritt".
Eindrucksvolle Naturaufnahmen
Noch ahnen die Talbewohner nicht, wie gravierend diese Bauwerke und der aufkommende Tourismus ihre Lebenswelt verändern werden - bis am Ende kaum mehr etwas übrig ist von der Ursprünglichkeit ihrer Dörfer und ihrer Natur. Das ist die zweite Erzählebene des Films; Steinbichler hat ein symbolträchtiges Bild dafür eingebaut: "Ganz am Ende schlurft Egger nach 80 Lebensjahren auf einem Betonparkplatz auf die Pasterze zu. Die Pasterze ist der Gletscher unterm Großglockner, ein berühmter Gletscher der Alpen. Und diese Pasterze ist in unserem Film 50 Jahre später nur noch eine Gletschersuppe. Das ist natürlich ein Sinnbild für das, wo wir stehen. Und darüber werden wir nachdenken müssen - und zwar von jetzt an."
Was Seethaler in seinem knappen, aber sehr dichten Roman in Worten ausdrückt, gelingt Steinbichler, der selbst von Bergen umgeben im Chiemgau aufgewachsen ist, mit seinen eindrucksvollen Naturaufnahmen. "Der Kameramann und ich, wir haben uns für diesen Film ganz viel mit filmischer Bergfotografie auseinandergesetzt", erzählt der Regisseur. "Ich finde, der Film lässt einen zwei Stunden eine Bergwelt in einer Art sehen, die komplett Kino ist. Das ist etwas anderes als 'Bergdoktor' oder ähnliches. Das ist der Versuch, Caspar David Friedrich in den Bergen zu machen - der Versuch zumindest."
"Ein ganzes Leben": Gelungene Verfilmung
Die Filmmusik, die das Ganze untermalt, ist stellenweise etwas sentimental geraten, mancher Lebensabschnitt Eggers sehr verkürzt dargestellt. Aber insgesamt ist es eine gelungene Verfilmung! Die Geschichte dieses einfachen Mannes, der sich allen Schicksalsschlägen zum Trotz eine positive Haltung bewahrt und zufrieden auf sein Leben zurückblickt, berührt.
Ein ganzes Leben
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2023
- Produktionsland:
- Deutschland
- Zusatzinfo:
- Mit Stefan Gorski, August Zirner, Ivan Gustafik u.a.
- Regie:
- Hans Steinbichler
- Länge:
- 115 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahre
- Kinostart:
- 9. November 2023