Drama "Bird": Ein Kind der Natur in einer trostlosen Welt
Die britische Regisseurin Andrea Arnold wurde 2010 mit ihrem Drama "Fish Tank" bekannt. Ihr neuer Film "Bird" führt in die äußerlich triste Welt einer Kleinstadt in Kent, wo Arnold selbst in einfachen Verhältnissen aufgewachsen ist.
Bailey steht auf der Schwelle vom Kind zur Teenagerin und wächst - ohne Mutter - in einem besetzten Haus unter Erwachsenen auf, die andauernd Party machen. Es wird viel gekokst. Vor allem wirkt Vater Bug, ein volltätowierter Typ mit Schiebermütze, selbst noch wie ein halbes Kind. Die Überraschung: Bug will seine neue Freundin heiraten, spontan am nächsten Samstag. Dafür soll Bailey als Brautjungfer einen Catsuite, einen glitzernden Anzug, tragen.
"Zieh es an."
"Ich zieh das Ding nicht an."
"Spinnst du, was ist los mit dir?"
"Ich werd es nicht tragen."
Filmszene
Also haut Bailey mal wieder von zu Hause ab. Mit dem Mädchen, das einen weißen Vater und eine schwarze Mutter hat und ein bisschen wie ein Junge wirkt, stromern wir durch die Kleinstadt am Meer in der Grafschaft Kent. Eine trostlose, heruntergekommene Industrieregion - aber nicht für Bailey, denn die Natur kommt zurück, und sie ist ein Kind der Natur, stets auf Tuchfühlung mit den Vögeln.
Bailey findet eine Ersatzfamilie
Mittels Handkamera, schnellen Schnitten und elektronischen Klangpartikeln kreiert Regisseurin Andrea Arnold in "Bird" ihren ganz eigenen Naturalismus. Tiefstes Arbeitermilieu und kaputte Familien, harter Sozialrealismus auf der einen Seite - eine Art Naturmystizismus auf der anderen. Das entfaltet eine geradezu sogartige Wirkung. Wie bereits in "Fish Tank" und "American Honey" setzt Arnold die starke Innenwelt ihrer jungen Protagonistin gegen eine brutale äußere Wirklichkeit. Zu welcher der beiden Welten die titelgebende Figur Bird gehört, bleibt offen. Ein Vagabund im Faltenrock, ein schräger Vogel auf der Suche nach seiner Vergangenheit, so steht er plötzlich vor ihr.
Bird, gespielt vom deutschen Schauspieler Franz Rogowski, formt mit Bailey bald eine Ersatzfamilie, auch das ein typisches Arnold-Motiv. Auf der Suche nach Birds Eltern kommen die beiden auch zu Baileys leiblicher Mutter, die mit weiteren Kindern und einem gewalttätigen Mann am Stadtrand haust. Der liegt nackt im Bett und lässt sich bedienen. Zusammen mit Bird probt Bailey den Aufstand.
Eine verkorkste Jugend voller Schönheit
Soziale Verwahrlosung, Haltlosigkeit und Gewalt - die immer wieder zu eskalieren droht. Doch je enger die Welt sich um Bailey zusammenzieht, desto stärker bricht der Film ästhetisch aus und öffnet die Schleusen zum magischen Realismus. Grenzenlos ist aber vor allem Arnolds Empathie mit den Menschen, trotz all ihrer Fehler. Noch in der disparatesten Situation findet sie ein neues Gemeinschaftsgefühl.
Das wird besonders deutlich an der Figur des Buk, kongenial gespielt von Barry Keoghan. Er will seine Hochzeit mit einer importierten Kröte aus Südamerika finanzieren, die halluzinogenen Schleim produziert - aber nur, wenn man gefühlvoll für sie singt. Zu den emotionalen Höhepunkten gehört die Szene, in der unter Bugs Anleitung alle im besetzten Haus für die Kröte "Yellow" von Coldplay singen. Es war alles gelb, heißt es im Song. Am Ende ist Baileys verkorkste Jugend doch voller Schönheit - zumindest für den Moment.
Bird
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2024
- Produktionsland:
- Vereinigtes Königreich, USA, Frankreich, Deutschland
- Zusatzinfo:
- Mit Barry Keoghan, Franz Rogowski, Nykiya Adams und anderen
- Regie:
- Andrea Arnold
- Länge:
- 114 Minuten
- FSK:
- ab 16 Jahren
- Kinostart:
- 20. Februar 2024
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Spielfilm
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