Kolumne: "Den Narren widersprechen"
Seit dem Überfall der Hamas auf Israel Anfang Oktober ist der Zahl der antisemitischen Straftaten in Deutschland deutlich gestiegen. Laut BKA sind in diesem kurzen Zeitraum 680 Vorfälle gemeldet worden.
Zwei Zahlen haben mich in dieser Woche fassungslos gemacht: 300 und 29. Seit dem 7. Oktober, also dem Tag, an dem die Terroristen der Hamas Israel überfallen haben, sind bei uns hier in Deutschland ausgerechnet antisemitische Straftaten um 300 Prozent angestiegen. Das sind 29 gemeldete Straftaten pro Tag. Es reicht von Beschimpfungen über Pöbeleien bis hin zu Körperverletzung und Brandanschlägen. Jüdinnen und Juden können sich nicht mehr sicher fühlen.
Täter-Opfer-Umkehr durch Desinformationen zu Israel
Angefeuert wird das Ganze durch eine Täter-Opfer-Umkehr: Diejenigen, die überfallen und getötet wurden, werden selbst zu Tätern gemacht. Im Internet kursieren schreckliche Bilder von verletzten oder getöteten Kindern aus dem Gazastreifen. Die lassen natürlich keinen kalt. Und sicher ist Kritik an der Art der Kriegsführung Israels erlaubt. Doch schnell wird eine Behauptung mitgeliefert: Israel töte gezielt und mit voller Absicht vor allem unschuldige Kinder. Und diese Unterstellung bleibt allzu oft unhinterfragt.
Martin Luther hat Gewalt an Juden gerechtfertigt
Hinter der Geschichte, Juden würden gezielt Kinder töten, stecken antisemitische Stereotype, die noch aus dem Mittelalter stammen. Schon damals wurden Juden dämonisiert und entmenschlicht. Es wurden ihnen die absurdesten Taten angehängt, um so wiederum das Töten von Juden und das Anzünden ihrer Häuser und Synagogen rechtfertigen zu können. Unzählige grausame Pogrome waren die Folge. Auch auf den Namensgeber meiner Kirche, Martin Luther, fällt bei diesem Thema ein großer Schatten. Er hat schreckliche Dinge gesagt und Gewalt gegen Juden gerechtfertigt.
Es ist erschreckend: Eigentlich ist so eine Täter-Opfer-Umkehr leicht zu durchschauen. Selbst Luther hatte sie schon in einer seiner frühen Schriften vor 500 Jahren ein "Narrenwerk" genannt. Und doch hält sich dieses Narrenwerk extrem hartnäckig.
Antisemitismus in Deutschland keine Chance geben
Was können wir dagegen tun? Ich denke: Jeder, der solche Sprüche hört, muss den Narren widersprechen. Wir dürfen sie nicht länger gewähren lassen. Damit Antisemitismus keine Chance hat und Jüdinnen und Juden in Deutschland in Sicherheit leben können.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jede Woche vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.