Vor ausgesuchtem Publikum gibt der "Panik-Rocker" aus dem Westen am 25. Oktober 1983 ein Konzert im Palast der Republik. Die Staatssicherheit hat den Besuch akribisch notiert.
Stand: 24.08.2023 | 17:30 Uhr
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Unsere Geschichte
1 | 23 Udo Lindenberg gibt am 25. Oktober 1983 in Ost-Berlin sein einziges DDR-Konzert vor dem Mauerfall. Wenige Stunden vor seinem Auftritt im Palast der Republik nimmt er an einer internationalen Pressekonferenz teil - typischerweise mit Hut. Vor den mehr als 100 Journalisten betont er, wie sehr er sich auf die geplante DDR-Tournee 1984 freue. Aus der Rundreise wird am Ende nichts.
2 | 23 Die Stasi verfolgt Udo Lindenberg am Tag seines Konzerts von seiner Einreise am Mittag bis zur Ausreise um Mitternacht. Diese Stasi-Akte aus dem Jahr 1976 zeigt, dass der DDR-Geheimdienst den Sänger schon länger im Blick hat. Lindenberg sei ein professioneller BRD-Musiker, der sich "als gleichgültiger, pessimistischer Mensch" gibt und betont anarchistisch auftrete.
3 | 23 Der Stasi entgeht nicht, dass "seit 1977 die von Lindenberg dargebotene Rock-Musik zunehmend politisch motiviert" ist. Sein Lied "Sonderzug nach Pankow" stellt nach Einschätzung des Geheimdienstes "eine Diffamierung des Generalsekretärs der SED" dar - also eine Beleidigung Honeckers.
4 | 23 Udo Lindenberg hofft, seine Chance auf einen Auftritt in Ost-Berlin mithilfe eines Briefs an Erich Honecker zu erhöhen. In dem Schreiben vom 23. August 1983 stellt der Musiker über sein Lied "Sonderzug nach Pankow" klar: "Mein Wunsch in diesem Lied, im Palast der Republik auftreten zu wollen, ist ernstgemeint." Er habe nicht beabsichtigt, ihn "mit diesem Lied zu diskreditieren".
5 | 23 Dann ist klar, dass Udo Lindenberg bei einer FDJ-Friedensveranstaltung im Palast der Republik auftreten wird. Aus dieser Stasi-Akte vom 17. Oktober 1983 geht hervor, dass die FDJ die Eintrittskarten nur "an bewährte Jugendliche" ausgeben will. An öffentlichen Kassen gibt es keine Karten zu kaufen. Lindenberg-Fans bieten offenbar bis zu 100 DM für eine Karte.
6 | 23 Viele nehmen Udo Lindenberg den geplanten Auftritt auf einer FDJ-Veranstaltung übel. "Es wird als skuril empfunden, daß die, die ihn verboten haben, ihn nunmehr für sich und abgesichert konsumieren wollen", berichtet IM "Ernst" am 19. Oktober 1983 aus westdeutschen Künstler- und Journalisten-Kreisen.
7 | 23 Kurz darauf ist der Tag des Konzerts gekommen. Am Grenzübergang Invalidenstraße in West-Berlin warten am Mittag des 25. Oktober 1983 viele Journalisten auf Udo Lindenberg. Auch die Stasi ist vor Ort und macht dieses Foto.
9 | 23 Lindenberg - unverkennbar mit Hut - gibt bei seiner Ankunft am Grenzübergang Interviews. Gleich links neben ihm steht Reinhold Beckmann, der damals als Kamera-Assistent für die ARD arbeitet. Später lässt Beckmann seine Eindrücke von diesem Tag in seinen NDR Dokumentarfilm "Die Akte Lindenberg - Udo und die DDR" einfließen.
10 | 23 Dieser Zeitplan - hier "Aktivitätenplan" genannt - offenbart, was Lindenberg an diesem Tag vorhat. Für 14 Uhr ist die Tonprobe im Palast der Republik vorgesehen. Aber zunächst geht es vom Grenzübergang zum Flughafen Schönefeld, wo ...
11 | 23 ... Udo Lindenberg auf FDJ-Funktionär Egon Krenz (3.v.l.) und US-Sänger Harry Belafonte (2.v.l.) trifft. Auch Belafonte wird am Abend bei der FDJ-Friedensveranstaltung auftreten.
12 | 23 Bei der Internationalen Pressekonferenz am Nachmittag mit Harry Belafonte und Udo Lindenberg hört die Stasi genau zu. Laut dieser Akte sind aus dem NSA (steht für "nichtsozialistisches Ausland") 83 Journalisten anwesend. Das DDR-Fernsehen fragt offenbar nach der Rolle Lindenbergs in der westdeutschen Friedensbewegung.
14 | 23 Am Abend versammeln sich Hunderte Lindenberg-Fans am Palast der Republik. Sie haben keine Karten erhalten und feiern ihr Idol mit "Udo, Udo"-Sprechchören. Der Rocksänger beobachtet das Treiben von seinem Garderoben-Fenster aus.
16 | 23 Dann betritt Udo Lindenberg die Bühne. "Ich singe heute Abend für den Frieden und alle Menschen in der DDR - zum ersten Mal hier in der Halle und für euch zu Hause an der Glotze," sagt er zur Begrüßung.
17 | 23 "Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen. Weg mit allem Raketenschrott in der Bundesrepublik und in der DDR!", sagt Lindenberg. Das DDR-Fernsehen überträgt die Veranstaltung am selben Abend in voller Länge.
18 | 23 Die Stimmung im Saal ist gedämpft. Wohl für die meisten anwesenden FDJ-Mitglieder in ihren blauen Hemden ist Udo Lindenberg kein Held, sondern ein ungeliebter Kritiker der SED-Führung.
20 | 23 In einer Stasi-Akte - datiert auf den 4. November 1983 - ist ein Bericht über ein Zusammentreffen des IM "Ernst" mit Udo Lindenberg vermerkt. Der Inoffizielle Mitarbeiter hat offenbar den Sänger hinter der Bühne getroffen. Laut Akte hat Lindenberg gesagt, dass sein Auftritt "prima gelaufen" sei - und ein Erfolg für die Friedensbewegung.
22 | 23 In der DDR gibt es heftige Kritik etlicher SED-Mitglieder und von FDJ-Funktionären an dem Lindenberg-Konzert. In dieser Stasi-Akte heißt es dazu: "Sie verwiesen insbesondere darauf, daß die während des Auftritts von Lindenberg getätigten Äußerungen (Abschaffung der Raketen in Ost und West), seine vulgäre Sprache und sein dekadentes Äußeres nicht dem Grundanliegen dieser bedeutsamen Friedensmanifestation entsprochen haben."
23 | 23 Im Stasi-Abschlussbericht vom 26. Oktober 1983 "zur politischen-operativen Sicherung" der FDJ-Veranstaltung im Palast der Republik heißt es: "Die Veranstaltung verlief ohne Vorkommnisse und das politische Ziel dieser Friedensveranstaltung wurde erreicht." Es seien zudem "keine verstärkten Anreisen von negativ-dekadenter Jugendlicher" erfolgt. Gemeint sind offenbar Udo-Lindenberg-Fans.