Regierungs-PR als Konkurrenz für Journalisten?
Für Hauptstadtkorrespondentinnen und -korrespondenten wie Rebecca Beerheide und Stefan Lange ist die Beschaffung neuer Informationen ausgerechnet jetzt knifflig, wo die Bevölkerung besonders auf sie angewiesen sind. "Berichterstattung ist deutlich schwerer und deutlich nerviger geworden", sagt Lange, der viele Jahre für die Nachrichtenagentur AP aus Berlin berichtet hat und nun für die "Augsburger Allgemeine" schreibt. Er beklagt: Viele Pressekonferenzen laufen per Chat, ohne direkten Kontakt. Beerheide, die Leiterin der politischen Redaktion des "Deutschen Ärzteblatts", vermisst Zugänge zu Fachleuten in Parlament und Ministerien. "Die hat man sonst auf Veranstaltungen in Berlin getroffen. Das fehlt momentan sehr."
Die Bundesregierung stellt in der Corona-Krise wiederum ihre Expertinnen und Experten auf eigenem Terrain nach vorne. Das Bundespresseamt hat den Podcast "Corona aktuell" gestartet. "Podcast ist ein Weg, der sich zunehmender Beliebtheit erfreut", erklärt die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer gegenüber ZAPP. Sie verweist auf den Erfolg des NDR-Podcasts mit dem Virologen Christian Drosten: "So sind wir auf die Idee gekommen, [das] auch als Bundesregierung zu versuchen - insbesondere bei einem Thema, in dem es ja so viele komplexe Sachverhalte gibt, für die man oft mehr Zeit braucht, um sie wirklich zu erklären."
Regierungspodcast mit exklusiven Einblicken in den Maschinenraum
In dem Podcast stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Maschinenraums Rede und Antwort. Zuletzt hat der CDU-Politiker Gottfried Ludewig erklärt, warum sich die Corona-App der Regierung verzögert und wie sie aufgebaut sein soll. Ludewig leitet die Digital-Abteilung des Bundesgesundheitsministeriums. Im Podcast spricht er gut 20 Minuten, während gerade sein Ministerium in klassischen Redaktionen als weitgehend abgeschottet gilt. Das Ministerium teilt ZAPP auf Anfrage schriftlich mit, Ludewig führe "regelmäßig Gespräche mit Redaktionen". Tatsächlich gab er jüngst ebenfalls zu den Plänen der Corona-App auch dem Deutschlandfunk ein Interview, tauchte davor wiederum aber kaum in Medien auf - wie viele unterhalb ihrer Minister.
Zu dem Corona-Podcast der Bundesregierung mit den ausführlichen Auftritten der Regierungsleute haben Korrespondentinnen und -korrespondenten ein ambivalentes Verhältnis. "Einiges ist sicher ganz interessant", sagt Gesundheitspolitik-Reporterin Beerheide. Gleichzeitig sei es mithin aber schwierig, an diese Leute ranzukommen. Pressestellen ermöglichten oft keinen Kontakt zu Abteilungsleitern. "Und ich kann mir vorstellen, dass sich die Regierung die Experten gerne für ihre eigenen Kanäle nimmt. Das wäre dann natürlich eine nicht so schöne Konkurrenzsituation."
Zeitungskorrespondent Lange sieht das Regierungsmedium eher entspannt. Er lobt einen Vertreter des Bundesfinanzministeriums, der "einige Fakten gebracht [hat], die noch gar nicht so bekannt waren". Er wolle das aber nicht eins zu eins als bare Münze sehen und übernehmen, sondern Anfragen starten. "Aber es ist schon für uns Journalisten, und natürlich auch für die Bevölkerung eine gute Ergänzung."
Ministerien ziehen sich aus Regierungspressekonferenz zurück
Lange hat gerade ein anderes Problem mit der Regierungsarbeit in Corona-Zeiten: Da auch Sprecherinnen und Sprecher teilweise im Homeoffice arbeiten, nehmen nicht mehr alle Ministerien an den sogenannten Regierungspressekonferenzen der Bundespressekonferenz teil, die quasi die Vereinigung des Hauptstadtjournalismus ist. "Das ist besonders für Kollegen schwierig, die einen O-Ton brauchen", sagt der Journalist. "Den bekommen sie in der Regierungspressekonferenz im Moment dann gar nicht." Lange wollte etwa nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs zu den Diesel-Entschädigungen für VW-Kunden unter anderem das Bundesumweltministerium nach einer Reaktion fragen. Das Ministerium blieb der Pressekonferenz aber fern.
"Das ist eine sehr missliche Lage", sagt auch ZDF-Korrespondent Mathis Feldhoff, der Vorsitzende der Bundespressekonferenz. "Wir haben den Regierungssprechern auch mitgeteilt, dass wir das eigentlich nicht gut finden." Nach Pfingsten sollen wieder alle Ministerien bei den Regierungspressekonferenzen sein, die drei Mal pro Woche stattfinden und von Journalistinnen und Journalisten geleitet werden.
Wenn die Kanzlerin zur Pressekonferenz einlädt, bleibt weniger Zeit für Fragen
Angela Merkel hatte zu Beginn der Coronakrise in Deutschland noch in der Bundespressekonferenz gesprochen. Seitdem gibt sie viele Pressekonferenzen, aber in ihrem Kanzleramt. Vorübergehend hat Feldhoff in dieser Zeit Verständnis, sagt er, findet die Form grundsätzlich aber auch "schwierig". Die Bedingungen für die Reporterinnen und Reporter seien in Merkels Haus andere: "Wenn wir die Corona-Pressekonferenz im März zugrunde legen, muss man sagen, da war sie hier fast anderthalb Stunden. Im Bundeskanzleramt sind diese Pressekonferenzen in der Regel 20 Minuten bis eine halbe Stunde und dann ist auch Schluss."
Was Feldhoff ausdrücklich begrüßt: Regierungssprecher Steffen Seibert und Ulrike Demmer kämen auch während Corona weiter zur Bundespresskonferenz. Dazu, dass im neuen Regierungspodcast ausführlich Vertreterinnen und Vertreter des politischen Maschinenraums sprechen, sagt Feldhoff: "Ich würde mir wünschen, wenn diese Experten zum Beispiel auch in der Bundespressekonferenz auftreten. Wir haben das ja angeboten." Das Angebot sei aber nicht angenommen worden.
Eine Folge des Audio-Formats kostet die Bundesregierung bis zu 15.000 Euro
Das Bundespresseamt plant noch zwei weitere Folgen des Podcasts. Nach dann insgesamt zehn Ausgaben soll Bilanz gezogen und entschieden werden, ob das Format weitergeführt wird. Eine einzelne Folge des Audio-Formats koste zwischen 12.000 und 15.000 Euro.
Das Bundespresseamt (BPA) erklärt aber schon jetzt: "Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das BPA auch weiterhin Podcast-Formate nutzen wird." Die einzelnen Folgen des Videopodcast der Bundeskanzlerin - 2006 gestartet, aktuell aber keine moderierte Reihe - seien in den vergangenen Wochen durchschnittlich insgesamt mehr als 1,5 Millionen Mal abgerufen worden. Zu "Corona aktuell" längen hingegen "aktuell noch keine vollständigen Zahlen vor".
Als Konkurrenz zur Arbeit von Journalistinnen und Journalisten sei der ausführliche Podcast zu Corona jedenfalls nicht zu verstehen, betont Ulrike Demmer, die stellvertretende Regierungssprecherin. Sie verspricht: "Ich bin mir sicher, dass wenn sie Experten in den Ministerien anfragen, das Ministerium alles tun wird, damit sie eine von Wissen, Knowhow und Kenntnis getragene Antwort bekommen."