Netzangriff: Bots feuern gegen Themen
Auf den ersten Blick wirkt es wie ein ganz normaler Twitter-Account: Nelly Kerzhakova lächelt cool mit Sonnenbrille von ihrem Profil-Foto, postet über Tiere oder Fernsehserien, hat Follower und folgt anderen. Gesteuert wird das Benutzerkonto allerdings nicht von einer jungen Nutzerin aus der Ukraine, sondern von einem automatisierten Computerprogramm - ein Softwareroboter, genannt "Social Bot". Während sie früher oft eingesetzt wurden, um lästige Werbung zu verbreiten, erfüllen sie neuerdings einen ganz anderen Zweck: politische Propaganda im Sinne ihrer Programmierer zu streuen.
Bot-Armeen für Kriegspropaganda
Das zumindest haben Simon Hegelich und sein Team an der Uni Siegen herausgefunden. Innerhalb des Projektes "Social Media Forensics", das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, erforschen sie die Manipulationsgefahr durch Social Bots. Dafür werteten sie über ein halbes Jahr Daten von Twitter aus, die das Netzwerk Forschern zur Verfügung stellt. Im Zusammenhang mit dem #ukraine stießen die Wissenschaftler auf entscheidende Hinweise: "Dabei ist uns aufgefallen, dass es sehr viele Meldungen gab, wo die gleiche Meinung von unterschiedlichen Nutzern gesendet worden ist. Es war aber kein Retweet. Das ist ein ungewöhnliches Verhalten." Hegelich und sein Team deckten eine ganze Armee von etwa 15.000 Bots auf, die im Durchschnitt 60.000 Tweets pro Tag posten.
Hintermänner unklar, Wirkung unklar
Unter den auffälligen Tweets befanden sich Aussagen wie "Neuer russischer Konvoi ist in die Ukraine einmarschiert" oder "Das Außenministerium verlangt die Rückgabe der Krim an die Ukraine". Klare politische Aussagen gegen Russland. Doch wer genau dahinter steckt, ist laut Hegelich schwer herauszufinden: "Bei den Ukraine-Bots können wir nachvollziehen, dass die meisten Nachrichten aus Großbritannien gesendet worden sind. Man kann sogar gucken, von welchem Server. Wir wissen aber natürlich nicht, was das heißt." Sicher ist für ihn aber, dass die Bots mittlerweile in allen möglichen politischen Diskussionen mitmischen - auch hierzulande. So hätten die Forscher Anhaltspunkte gefunden, dass Bots unter #pegida, #refugeesnotwelcome oder #arrestmerkel politische Aussagen posten. Inwiefern die Meinungen natürlicher Nutzer dadurch beeinflusst werden, ist nicht klar.
Gefahr der Beeinflussung von Diskussionen und Twitter-Trends
Politikwissenschaftler Hegelich sieht in den Bots aber die generelle Gefahr, dass Trends beeinflusst werden. Es gebe viele Akteure, die auf diese Trends schauten: "Bei den Medien, in der Wissenschaft, Politiker, große Firmen machen das inzwischen. Und anhand dieser Trends werden Entscheidungen getroffen." Linus Neumann vom Chaos Computer Club sieht noch eine weitere Gefahr, wenn Bots Trending Topics auf Twitter mit Müll oder Propaganda fluten: "Weil dann den Menschen, die sich über diesen Hashtag austauschen und informieren, Kommunikationsmöglichkeiten genommen werden." So geschehen im Sommer 2015 in Mexiko: Unter dem #sobrinaEPN gab es heftige Kritik gegen Mexikos Präsidenten Enrique Peña Nieto. Er hatte seiner Nichte einen Job beim staatlichen Ölkonzern Pemex zugeschustert. Weil Bots sich unter dem Hashtag einklinkten und massenweise Spam posteten, wurde die Diskussion lahmgelegt.
Kein Kommentar von Twitter
Die so genannten "Peñabots", wie sie in Mexiko heißen, waren auch schon im Wahlkampf 2012 aktiv - offenbar im Auftrag des mexikanischen Präsidenten. Und auch in einem aktuellen Fall ließen sich in Mexiko Hass-Postings von Bots nachweisen: Via Twitter suchte eine Frau einen Mann, der sie auf der Straße belästigt hatte. Es folgte ein Shitstorm unter dem #MujerGolpeadaEsMujerFeliz, der auch den Twitter-Trend in Mexiko beherrschte. Inwiefern von Social Bots eine Manipulationsgefahr ausgeht und nach welchen Kriterien Twitter diese löscht, erfährt ZAPP auf Anfrage nicht. "Wir haben dazu keinen Kommentar", so die Antwort von Twitter. Es folgt lediglich ein Hinweis auf die Allgemeinen Nutzungsbedingungen, dass automatisierte Accounts auf Twitter nicht erlaubt seien und gelöscht würden.
Comicbilder – ein Indiz für einen Bot?
Die Zurückhaltung des Netzwerkes kommt nicht von ungefähr: An der Zahl der Accounts und den damit zusammenhängenden persönlichen Nutzerdaten bemisst sich auch der Unternehmenswert von Twitter. Stellt sich raus, wie viele Accounts tatsächlich ein Fake sind, kratzt das an der Glaubwürdigkeit von Twitter. Zudem: Weil die Bots immer besser programmiert sind, ist es sehr schwer, sie zu erkennen. Das Profilbild könnte aber einen ersten Hinweis geben, sagt Simon Hegelich, der das Bot-Projekt mittlerweile als Professor für Political Data Science an der TU München weiter führt. "Wenn ich zehntausend Accounts neu anlegen will, brauche ich irgendwelche Bilder. Also nehmen die sich irgendetwas, das sie aus dem Internet kriegen. Das sind oft Comicbilder", so Hegelich. Darüber hinaus arbeiten er und sein Team an einem Computerprogramm, das die Bot-Profile enttarnen soll. 2017 soll es vorgestellt werden.
"Bot or Not"-Website untersucht Profile
Forscherkollegen von der Universität im amerikanischen Indiana waren etwas schneller: Sie haben mit "Bot or Not" eine Internetseite gestartet, die die Follower von Twitter-Accounts unter die Lupe nimmt - und Aussage trifft, wie viele Social Bots sich darunter befinden.