Darf die "taz" Yaghoobifarah kritisieren?
"Das ist erst mal kein Mangel an Solidarität, sondern eine offene Debattenkultur", meint Daniel Bouhs
Es ist ein Gedankenspiel, erkennbar Satire, eine Reaktion auch auf die unfassbare Aggressivität der Polizei in den USA. Was, wenn die Polizei abgeschafft würde? Wohin mit den " Ex-Cops"? Hengameh Yaghoobifarah - nach eigener Beschreibung "Autor_in, Redakteur_in und Referent_in" etwa zu Queerness und Antirassismus - sieht eine Lösung: "Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie". Die Polizei findet das nicht witzig. Man erstattet Anzeige, will den Presserat anrufen. Und dann auch noch das: Kolleginnen und Kollegen aus der "taz" gehen auf Distanz, im eigenen Blatt.
Zugegeben: Die abgebildeten Positionen nicht zuletzt auch aus der Chefredaktion haben eine erschreckende Schieflage. "Eine Kolumne, so satirisch sie auch gemeint gewesen sein mag, die so verstanden werden kann, als seien Polizisten nichts als Abfall, ist daneben gegangen", schreibt Barbara Junge, eine der beiden neuen Chefredakteurinnen. "Das tut mir leid." Die Kolumne sei "mehr als grenzwertig", heißt es aus anderer Feder. Bettina Gaus notiert, Yaghoobifarah habe gewusst, was sie schrieb. "Und sie hat die Menschenwürde verletzt. Was denn sonst?" Ein verantwortlicher Redakteur notiert, nun werde einiges "gerade gerückt":
Das geht sehr weit. Aber ist das unsolidarisch? Nein. Das ist erst mal kein Mangel an Solidarität, sondern eine offene Debattenkultur. Die "taz", für die der Autor dieser Zeiten auch immer wieder schreibt, lebt sie seit jeher, während sich andere Redaktionen hinter verschlossene Türen zurückziehen. Unsolidarisch wäre, wenn die "taz" den kritisierten Beitrag #Omagate-mäßig hätte verschwinden lassen. Barbara Junge ist aber offensichtlich nicht Tom Buhrow. Unsolidarisch wäre auch, wenn die "taz" ihre Autor_in juristisch im Stich ließe, sollte es zu einem Prozess kommen - was abzuwarten bleibt. Oder wenn Yaghoobifarah in der "taz" keine Beschäftigung mehr fände. Anzeichen dafür gibt es derzeit aber keine.
Die "taz" hat weitere Texte angekündigt, auch den Dialog mit dem Publikum. "Wir streiten darum, wie stark der subjektive Blick, wie stark Diskriminierungserfahrung den Journalismus prägen soll oder darf", notiert die Chefredakteurin. Sie sollte in diesem Streit dringend auch andere Positionen zu Wort kommen lassen, solidarische Grüße für Hengameh Yaghoobifarah statt bloß Widerstand. Der Kontext der Kolumne sollte zudem keine Nebensache bleiben. Debatte kann die "taz" viel besser. Sie sich zu verkneifen, wäre aber genau der falsche Weg.
„Darf man diese Kritik ins eigene Blatt heben? Schon. Aber vielleicht sollte man das nicht“, meint Inga Mathwig
Darf man die "taz"-Kolumne "all cops are berufsunfähig" von Hengameh Yaghoobifarah geschmacklos finden? Klar. Sie im eigenen Haus kritisieren? Selbstverständlich. Darf man diese Kritik dann ins eigene Blatt heben? Schon. Aber vielleicht sollte man das nicht. Fünf Tage nachdem Yaghoobifarah in einer Kolumne in einem Gedankenspiel Polizei mit Abfall gleichsetzt, sieht sich die “taz” offenbar genötigt, mit einer Replik zu reagieren, die in Umfang und Ernsthaftigkeit in keinem Verhältnis mehr steht zum ursprünglichen Text.
Und das, nachdem die Kolumne bereits von Dutzenden Medienhäusern auseinandergenommen worden ist, Yaghoobifarah in Tweets (u.a. von der CSU) mitsamt Foto an den Pranger gestellt wurde und sowohl die deutsche Polizeigewerkschaft als auch die Gewerkschaft der Polizei Strafanzeige erstattet haben.
Unter diesem Druck stellt sich die "taz" nicht hinter Yaghoobifarah, mit deren polarisierenden Texten sich die Zeitung ansonsten allzu gern schmückt. Stattdessen: öffentlichkeitswirksame Distanzierung, prominent auf einer Doppelseite - vorgebracht von der Chefredaktion, einer langjährigen politischen Korrespondentin und aus dem "taz"-Parlamentsbüro - gegen eine 29 Jahre alte, freie Autor_in. Das alles soll der Auftakt einer interredaktionellen Debatte sein - für die es der "taz" wohl zunächst besonders wichtig ist, öffentlich besonders kritisch zu sein.
Übrigens: Auch an der Kritik gäbe es reichlich Kritik zu üben - so werden Hintergründe hineininterpretiert, die Yaghoobifarah gar nicht behauptet, wie etwa besondere Scharfzüngigkeit durch eigene Betroffenheit. Yaghoobifarah argumentiert nicht mit ihrer Person. Und ausgerechnet ein FAZ-Kollege erläutert auf Twitter, wie die Kolumne den Generalverdacht umkehrt, der seitens Behörden gegen Black, Indigenous, and People of Color (BIPoC) allzu oft herrscht:
Ich behaupte auch mal: Natürlich will Yaghoobifarah nicht, dass die Polizei abgeschafft wird. Die Kolumne ist deswegen auch keine Positionierung, sondern eine Kolumne, ergo oft polemisch, und vor allem ein Meinungsstück, bei dem klar ist, dass sich die Zeitung nicht unbedingt mit der vertretenen Meinung identifiziert. Umso mehr entsteht der Eindruck: Der "taz" geht es mit ihrer "interredaktionellen Debatte" nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung, sondern darum, eine außerredaktionelle Debatte zu befrieden, anstatt der Autor_in Rückendeckung zu bieten.