Wem gehört die Stadt? Medien und Leser recherchieren
ZAPP-Reporterin Stefanie Groth ist vor Kurzem zurück in ihre Heimatstadt Berlin gezogen. Und kommt seitdem um ein Thema nicht herum: fehlender Wohnraum und bedrohlich steigende Mieten. Ein Thema, das auch medial für viel Zündstoff sorgt. Das Projekt "Wem gehört Berlin" will eine neue Diskussionsgrundlage schaffen, indem es den Wohnungsmarkt transparenter macht. Der "Tagesspiegel" und "Correctiv" recherchieren in Berlin, wer die Eigentümer der Immobilien sind, dabei setzen sie auf die Unterstützung der Leser. Auch an anderen Orten in der Republik werden die Eigentumsverhältnisse ermittelt, um die Akteure und Machtverhältnisse sichtbar zu machen.
Große Unterstützung durch die Leser
Die Unterstützung der Leser in Berlin ist groß und erleichtert die Arbeit der Journalisten, erklärt Hendrik Lehmann ("Tagesspiegel"): "Wir haben dadurch ja plötzlich so viele Hinweise, als hätten wir tausende Reporter in der Stadt unterwegs, die uns alle verschiedene Blickwinkel liefern können." Vor allem die großen Strukturen interessieren die Journalisten. "Viele einzelne Eigentümer sind dabei für uns gar nicht interessant. Aber manche schon, gerade bei bestimmten Firmen, die offensichtlich Unterfirmen sind von sehr großen Firmen. Und dann können wir daraus dieses Netzwerke rekonstruieren und schauen, was es dahinter für Strukturen und Machtverhältnisse gibt."
Auch städtische Gesellschaften verdienen gut an Mieterhöhungen
Jeder Hinweis kann ein Puzzleteil sein, das die Recherchen weiterführt. "Da kommen tausende Daten bei uns rein und da gibt's dann auch Überraschungen", so Justus von Daniels ("Correctiv"), "etwa wie sich städtische Wohnungsbaugesellschaften an den Mieterhöhungen sehr gerne beteiligen und mitverdienen. Oder wie viele Versicherungen oder auch Pensionsfonds in dem Immobilienmarkt sind und sich auch nicht immer nur als gute Vermieter verhalten." Besonders spannend werde es da, wo Firmengeflechte über mehrere Stationen zu Steueroasen führen würden. "Wo man tatsächlich die Frage stellen muss: Ist das ein Markt, den wir haben wollen, oder muss der anders reguliert werden?", so von Daniels.
Privateigentümerverband übt Kritik
Dass Journalisten stellvertretend im öffentlichen Interesse von Mietern Eigentümerdaten abfragen und diese journalistisch verwerten, stößt auch auf Kritik. Der Berliner Verband der Interessengemeinschaft deutscher Privateigentümer "Haus & Grund" hält es sogar für rechtswidrig und hat gegen das Rechercheprojekt Anzeige erstattet, bei der Berliner Datenschutzbeauftragten. Die wies diese Bedenken zurück und verwies auf das geltende Redaktionsgeheimnis. "Haus & Grund Berlin" wolle nun alternative rechtliche Schritte prüfen. Vorstand Carsten Brückner erklärt im Gespräch mit ZAPP: "Wir sehen gar keine Veranlassung, warum der Markt transparenter werden sollte. Es müsste erstmal dargelegt werden, was an der derzeitigen Marktlage so intransparent sein sollte, und was daran so störend empfunden wird."
Ergebnisse durch das Redaktionsgeheimnis geschützt
"Tagesspiegel" und "Correctiv" versichern, alle Daten seien durch das Redaktionsgeheimnis geschützt. Die Recherche ziele nicht auf einzelne Eigentümer oder ein alternatives Register, sondern darauf, Strukturen und Machtverhältnisse auf dem Wohnungsmarkt offenzulegen. Sie würden zudem auch andere Rückmeldungen von Eigentümern zu ihrer Recherche kriegen: "Mich hat bereits am ersten Tag der Recherche jemand angerufen, ein Eigentümer von fünf Häusern in Berlin, der anonym bleiben wollte. Der meinte, er finde das super. Ihn nerve es, in einen Topf geworfen zu werden mit Leuten, die das Recht beugen oder umgehen", so Hendrik Lehmann.
Ergebnis soll bei der Debatte helfen
Justus von Daniels will die Frage "Wem gehört Berlin?" auch nicht als Provokation verstanden wissen: "'Wem gehört die Stadt?', 'Wem gehört Berlin?' Das ist für uns eine Leitfrage. Wir wollen damit eine Debatte anstoßen, Strukturen des Marktes aufzeigen, unseren Finger in Wunden legen. Und darüber soll sich im besten Fall eine Debatte entwickeln, die bisher immer recht einseitig in die ein oder andere Richtung gelaufen ist. Und sie ist auch deshalb recht einseitig, weil wir alle immer noch zu wenig wissen, welche Mechanismen wirklich im Markt wirken."
Diese Recherche könnte Licht in die Besitzverhältnisse und die Marktmechanismen bringen.