"Katapult": Große Töne, viel dahinter
Jeder einzelne Finger von Benjamin Fredrichs Händen ist schon nach wenigen Stunden mit einem dickem Pflaster umwickelt. Ebenso die seiner umstehenden Kollegen und die anderer fleißiger Helfer, die sich an diesem Montag in einem Greifswalder Bürogebäude versammelt haben. Die Gruppe arbeitet im Akkord. Tausende Magazine warten darauf, noch heute per Hand eingetütet, zu dicken Briefpaketen geschnürt und später in den LKW verladen zu werden. Schließlich sollen die Abonnenten übermorgen ihre neue Ausgabe vom "Katapult"-Magazin im Briefkasten haben.
Magazin-Versand erfolgt durch die Redaktion
21.000 Abos sind es insgesamt, die sie hier heute eigenständig und in Handarbeit abfertigen. "Mit Maschinen wäre das zwar günstiger", erklärt Benjamin Fredrich, Gründer und Geschäftsführer von "Katapult". "Aber wir sitzen sonst schon den ganzen Tag am Computer und da ist es schön, sich vier Mal im Jahr zu treffen und das hier mit den Leuten, die uns eh von Anfang an unterstützt und begleitet haben, selbst zu verpacken. Das macht uns Spaß." Bei "Katapult" gilt eh: Alles, was Spaß macht, ist grundsätzlich erst mal nicht verkehrt.
Herausgeber ohne Medienerfahrung, aber mit Leidenschaft
Niemand von ihnen hat das, was sie hier machen, wirklich gelernt - also eine journalistische Ausbildung oder Lehre in großen Verlagshäusern gemacht. Und doch erscheint mittlerweile schon die 15. Ausgabe von ihrem Printmagazin für Kartografik und Sozialwissenschaft. Ihr Markenkern: Karten und Grafiken, die komplexe Zusammenhänge auf einen Blick verständlich machen. Sie wollen ernsthafte Wissenschaft vermitteln und mit ihren Karten unseren Blick auf die Welt verändern. Platz für Quatsch muss auch sein, etwa für die Karte "Alle Rom führen nach Wege". Oder aber die Auflösung dafür, wieso es nicht nur einen Rudi Völler gibt.
Durch den Erfolg gibt es regelmäßig Übernahmeangebote
Das mag naiv klingen, aber der Erfolg gibt ihnen bisher Recht. "Katapult" ist trotz mauer Marktlage ein Printmagazin mit wachsender Auflage (September 2019: 50.000) und stetig steigenden Abo-Zahlen (21.000). Die Branche scheint darüber zu staunen. Fredrich sagt, er bekomme mittlerweile regelmäßig Übernahmeangebote: "Große Verlage fragen uns: 'Wie macht ihr das?' Uns wundert das. Die haben 1.000 Mitarbeiter und wir sind nur 16. Warum fragen die uns, wie das geht? Das müssten die doch wissen!"
Keine großen Sprünge möglich, aber größere als früher
Zugegeben, auch wir staunen bei unserem zweiten Besuch bei "Katapult". Als ZAPP im März 2016 in der Redaktion vorbeischaute, waren sie zu dritt, verpackten 2.000 Abonnements und verdienten damit gerade genug, um ihre Miete zu zahlen. Große Sprünge könnten sie alle nicht machen, sagte Mitgründer und Cheflayouter Tim Ehlers damals. Und heute? "Ich springe wesentlich weiter, und ich esse auch deutlich mehr", so Ehlers mit einem Augenzwinkern; ihren Humor haben sie sich beibehalten.
"Stern", "Spiegel" und Co. als großes Auflagenziel
Und noch etwas ist gleich geblieben: Geschäftsführer Fredrich scheut auch heute nicht vor großen Tönen - 2016 kündigte er uns an, den "Cicero" bei den Abozahlen überholen zu wollen. Damals waren sie davon 27.000 Abonnements entfernt, heute nur noch 8.000 Abonnements. Für Fredrich Anlass genug, neue Ziele ins Blick zu nehmen: "So rasant wie das momentan wächst, ist natürlich klar, dass wir uns zum Ziel nehmen müssen, ein großer Verlag zu werden und irgendwann an 'Focus', 'Stern' und 'Spiegel' ranzugehen." Dafür müssten sie sich aber mindestens um das Achtfache ihrer derzeitigen Auflage steigern.
Nebenprodukte rund ums "Katapult"-Magazin
Zumindest ist "Katapult" heute schon mehr als ein Printmagazin. Ihr Buch "100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern" erschien im Februar und wurde mehr als 32.000 Mal verkauft. Im kommenden Jahr werden zwei weitere Bücher folgen. 2021 bringen sie ein Buch für Kinder heraus. Dazu kommt ein "Katapult"-Globus, den man selbst basteln kann, und jede Menge Kartenspiele. "Mir ist irgendwann aufgefallen, dass es nur so 'Testosteronquartette' gibt. So Flieger, Panzer, Autos usw.", erklärt Fredrich. "Wir haben deshalb das Philosophenquartett produziert, eines für Literaten und Physiker. In Produktion sind derzeit noch das Maler-, Musiker- und Idiotenquartett."
Qualität statt Quantität: Nur vier Ausgaben im Jahr
Ihrem Spieltrieb setzt niemand Grenzen. Und wo niemand sagen kann, dass etwas so nicht gehe oder eigentlich anders gemacht werde, kann man auch erst mal wenig falsch machen. Zugleich tun sie bei "Katapult" nicht all das, was prinzipiell mach- oder denkbar wäre. "Viele unserer Leser und Leserinnen fragen uns, ob wir das Heft nicht monatlich rausbringen wollen statt nur alle drei Monate - wollen wir nicht. Wir wollen lieber die Qualität hochhalten und nicht die Frequenz", so Fredrich.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit - nur der Informatiker bekommt mehr
Mit wachsender Auflage, wachsendem Gewinn und wachsender Mitarbeiterzahl steigt auch die Verantwortung. Fredrich setzt auf flache Hierarchien und Transparenz. "Wir haben uns entschieden, dass jeder für die gleiche Arbeit in der Redaktion auch den gleichen Lohn bekommt, egal ob Statistiker, Redakteur oder Layouter", sagt Fredrich. Oder Geschäftsführer. Aktuell liegt das Gehalt bei 2.250 Euro brutto im Monat und wird mit wachsendem Gewinn angeglichen. Eine Ausnahme mussten sie allerdings bei ihrem Programmierer machen, weil sie sonst niemanden mit entsprechender Qualifikation bekommen hätten. Ansonsten gilt: Wer mit einer Computermaus umgehen kann, der kann auch "Katapult". Statt gelernte Graphiker einzustellen, ist ihre Devise, dass jeder neue Redakteur "innerhalb weniger Monate lernt, Grafiken im 'Katapult'-Stil zu machen."
Herausgeber prüft Aufbau eines eigenen Verlagsgebäudes
Bei "Katapult" machen alle alles - bis auf eine Ausnahme: Für die großen Ideen ist noch immer Gründer Fredrich verantwortlich. Gerade ist er drauf und dran, eine verfallene Lagerhalle zu kaufen, um dort ein Redaktionsgebäude und eine eigene Druckerei aufzubauen. Den Eigentümer hat er kurzerhand ausfindig gemacht und sich schon auf einen Kaufpreis geeinigt. Momentan bremst ihn allerdings die Größe seines eigenen Vorhabens aus. Der Umbau, noch dazu in der Nähe eines Wohngebiets, müsste zahlreiche Voraussetzungen und einen planungsrechtlichen Rahmen erfüllen, der von der Stadt Greifswald erst mal eingehend geprüft und genehmigt werden muss.
Stadt Greifswald möchte Vorhaben unterstützen, Redaktion hat Bedenken
ZAPP gegenüber heißt es: "Die Stadt möchte Herrn Fredrich unterstützen und ist deshalb nach wie vor im Gespräch mit ihm und prüft auch andere Standorte." Auch bei "Katapult" stößt dieser Plan wohl noch auf verhaltene Reaktionen, sagt Fredrich: "Es gibt Spannungen innerhalb der Redaktion, dass ich sehr große Projekte plane. Und andere denken, da verheben wir uns mit, da können wir uns komplett mit ins Aus schießen." Woher nimmt er den Mut, solche Wege einzuschlagen, fragen wir. "Ich weiß gar nicht, ob das mutig ist oder naiv", sagt Fredrich nachdenklich. Aber abhalten lässt er sich nicht.