"Heimatmedium": Besuch bei der "Lausitzer Rundschau"
Vor einem Jahr kam Cottbus aus den Negativschlagzeilen nicht heraus. Nach Zusammenstößen zwischen Geflüchteten und Einheimischen Anfang 2018 gewann das rechte Bündnis "Zukunft Heimat" mit seinen Protesten gegen die Asylpolitik und auch gegen die Medien bemerkenswert an Zulauf. Die kleine Stadt in der Lausitz, die bundesweit vorher kaum jemand auf dem Schirm hatte, wurde plötzlich zum Sinnbild für den Rechtsruck im Osten. Dann kamen die Ereignisse nach dem gewaltsamen Tod von Daniel H. in Chemnitz Ende August 2018 - und der Medienrummel zog eine Stadt weiter.
Überregionale Presse kommt und geht, Lokalpresse bleibt
Geblieben sind die Medien, die immer vor Ort sind - etwa die Lokalpresse "Lausitzer Rundschau". Die Tageszeitung ist mit 13 Lokalredaktionen in der Region vertreten und hat ihren eigenen, längerfristigen Blick auf die Entwicklungen. Auch auf jene im vergangenen Jahr. "Ich habe das so wahrgenommen, dass manche schnell gekommen sind und auch schnell wieder weg waren und nur das Schlaglicht wahrgenommen haben: 'So ist Cottbus und hier gibt es immer Konflikte'", schildert Chefredakteur Oliver Haustein-Teßmer seine Eindrücke. "Am Ende wäre ein differenzierteres Herangehen im Nachhinein dann auch besser gewesen."
Haustein-Teßmer: Strukturwandel und Kohleausstieg jetzt im Fokus
Zugleich bleibt das Thema auch ein Jahr später aktuell. Nach wie vor ist die Zahl rechter Gewalttaten in Brandenburg hoch. Das belegen Zahlen des Vereins Opferperspektive. Dabei ist vor allem eine Stadt in Brandenburg auffällig: Cottbus bleibt die Hochburg rechts motivierter Übergriffe. "Es ist ruhiger geworden in der Frage, wie sind die Konfliktlagen in Cottbus und welche Probleme bilden Extremisten und Nazi-Gruppierungen - die es ja in Cottbus gibt, und über die man auch berichten muss. Das ist nicht mehr so im Fokus aktuell." Überlagert werde das Thema Innere Sicherheit jetzt im Wahlkampf durch das Thema Strukturwandel und Kohleausstieg. "Das beschäftigt die Menschen hier. Die Frage, welche Perspektive haben diejenigen, die hier wohnen bleiben möchten, hier arbeiten und leben."
AfD in Brandenburg und Sachsen besonders stark
Am 1. September sind in Brandenburg und Sachsen Landtagswahlen. Schon jetzt ist die Rede von einer Richtungswahl - nicht nur für die Region, auch für die gesamte Bundesrepublik. Wird die AfD in einem der Bundesländer erstmals stärkste Kraft? "Ostspezifisch und insbesondere spezifisch für die Region in Brandenburg und Sachsen ist, dass die AfD hier besonders stark ist. Darüber muss man berichten und sich auch auseinandersetzen", so Haustein-Teßmer. "Aber ob man das mit einschlägigen Argumenten erklären kann, etwa mit Protestwähler-Verhalten? Das glaube ich nicht, da spielt 'ne ganze Menge rein."
Keilholz: Stimmung dreht sich langsam
Christine Keilholz, Korrespondentin für die "Lausitzer Rundschau" in Sachsen, sagt, sie erlebe noch immer viel Unmut in der Bevölkerung, der auch ihr als Journalistin hier und da entgegenschlage. Insgesamt empfindet sie die öffentliche Stimmung aber weniger schrill als in den letzen fünf Jahren. "Man hört jetzt auch wieder leisere, gemäßigtere Töne. Man hat den Eindruck als Beobachter, dass die Leute dieses permanente Skandalisieren und das ständige Alarmieren über haben. Dass langsam eine Stimmung einkehrt, wo überlegt wird, was man mit einer Protestwahl erreicht und ob man bestimme Entwicklungen wirklich haben will."
Region nicht so starr, wie von außen wahrgenommen
Überalterung, Wegzug einer jungen, gut ausgebildeten Generation und wenig Ideen, wie es weiter gehen soll - all das treibe die Menschen in der Lausitz um. Zugleich sei die Region bei weitem nicht so starr, wie sie vielleicht oft von außen wahrgenommen werde, es tue sich etwas, so Keilholz. "Bei der Braunkohle etwa. Da kommt Bewegung rein in ein Thema, das vorher klar abgesteckt war. Wir haben jetzt eine Klimadebatte, so wie anderswo in Deutschland auch. Ausgerechnet hier in der Lausitz, wo immer alle davon ausgegangen sind es gebe einen deutlichen Konsens für die Braunkohle. Das entwickelt sich auch zu einer Generationenfrage. Da gibt es jetzt junge Menschen, die gehen zur Demonstration nach Dresden, Berlin, Cottbus. Und diese Debatte findet in den Familien statt, nicht in Social Networks, nicht in der Öffentlichkeit, sondern in den Familien. Ich denke, das ist eine Chance, das alles auch konstruktiver zu diskutieren."
Haustein-Teßmer: "Wir leben hier genauso wie unser Publikum"
Die "Lausitzer Rundschau" will ebenfalls einen Raum für Diskussion schaffen, indem sie die Leser einbindet. Im Vorfeld der Landtagswahlen etwa lädt die Zeitung in den Städten Cottbus und Weißwasser zum Wahlforum ein, mit Vertretern fast aller Parteien. Das Thema des Abends durften die Leser vorab in einer Umfrage bestimmen. Chefredakteur Oliver Haustein-Teßmer versteht sein Blatt als "Heimatmedium": "'Heimatmedium' heißt für mich, dass wir nah dran sind an der Region, wir leben hier genauso wie unser Publikum."
Mit der Nähe wachse die journalistische Sensibilität für bestimmte Themen und regionale Eigenarten und Befindlichkeiten. "Man muss sich anschauen, wie sich die Demokratie entwickelt hat im Osten. Welche Dinge Menschen erlebt haben, in wirtschaftlicher Hinsicht, den Arbeitsplatz betreffend, den viele verloren haben. Man muss sich anschauen, mit welchen Haltungen Menschen hier durchs Leben gehen und wie ernst sie dabei genommen werden. Ob sie mitgenommen werden", so Haustein-Teßmer. Das zu gewährleisten ist auch Ziel der "Lausitzer Rundschau". Eine fortwährende Aufgabe, denn der Diskussionsbedarf in der Region wird nach den Landtagswahlen sicher nicht abklingen.