Fall Skripal: Medienshow um mutmaßliche Agenten
Alexander Petrov und Ruslan Boschirow: Sind sie zwei russische Spione, die hinter dem Mordanschlag auf Sergej und Yulia Skripal Anfang März im englischen Salisbury stecken? Oder einfache Touristen und Liebhaber englischer Baukunst - rein zufällig zur selben Zeit am selben Ort, um die Kathedrale von Salisbury zu besichtigen? So stellen es die beiden zumindest in einem Interview dar, geführt, nachdem britische Ermittler die beiden als Tatverdächtige zur Fahndung ausgeschrieben hatten.
Mit Bildern aus Überwachungskameras konnten sie minutiös die Wege der beiden nachzeichnen: Zweimal fuhren sie innerhalb von zwei Tagen von London nach Salisbury - angeblich, weil Schneematsch auf den Straßen einen ersten Besichtigungsversuch der Kathedrale torpediert hatte. Nachdem die Fahndungsbilder der beiden in den Medien kursierten, reagierte Wladimir Putin auf einer Pressekonferenz: Man habe die Männer ausfindig gemacht, es handele sich um Zivilisten. "Ich hoffe, dass sie bald auftauchen und selbst von sich erzählen", so Putin.
Exklusivinterview mit der Chefredakteurin
Und tatsächlich: Kurz darauf das Exklusivinterview im russischen Auslandssender Russia Today (RT), geführt von der Chefredakteurin Margarita Simonyan persönlich. Kein Zufall, ordnet Tamina Kutscher von "Dekoder" ein, einer Plattform, die russische Medien beobachtet und ins Deutsche übersetzt: "Simonyan selber hat mal davon gesprochen, dass RT eine Art Verteidigungsministerium sei. Also eine Waffe wie jede andere auch. Und der Journalismus, den sie macht, der stellt sich in den Dienst einer höheren Sache, also in den Dienst des Staates und verteidigt die staatliche Linie."
Simonyans Fragen an Petrov und Borischow muten zwar kritisch an, in den entscheidenden Momenten hakt sie jedoch nicht nach. Stattdessen Ablenkungsmanöver wie die Anspielung auf eine mögliche homosexuelle Beziehung der beiden. Darauf stürzen sich die staatlichen russischen Medien gern - berichten fortan über Salisbury als offene, tolerante Stadt, spekulieren über ein mögliches Coming Out der beiden vor Ort. "Nebelkerzen", sagt Tamina Kutscher. "Das ist jetzt natürlich ein Strang, auf den man sich stürzen kann und alle anderen Zweifel, die da aufgebrochen sind nach diesem Interview, werden gar nicht erst behandelt - sondern man stürzt sich auf diese Frage: Sind sie jetzt schwul oder nicht? Also eine Nebensache."
Pässe ohne Biografien
Das Recherchenetzwerk Bellingcat konnte inzwischen die Pässe der beiden beschuldigten Russen einsehen: ausgegeben 2009, kurz nacheinander. Kein Vorleben. Und der Hinweis, keine Informationen rauszugeben. Starke Hinweise auf Tarnidentitäten zweier Agenten. Das im RT-Interview vorgetragene Alibi dagegen: fadenscheinig. Angeblich vorhandene Fotos der beiden "Touristen" vor Ort werden nicht präsentiert. Theresa May nannte die russischen Erklärungsversuche eine "Beleidigung der öffentlichen Intelligenz".
Medialer Spott im Netz
"Es gibt Leute, die sagen, es ist ein Fauxpas eines schwächelnden Regimes", so Beobachterin Tamina Kutscher, "und es gibt die Leute, die sagen, es ist gewollt dilettantisch, weil es Russland eben egal ist, wie es wirkt. Das Ziel ist jedenfalls erreicht: Es wurde eine alternative Version präsentiert, um die kann man sich jetzt streiten." Oder darüber lachen. So wie etwa "The Sun" aus Großbritannien. Das Boulevardblatt verlost gerade einen "Urlaub wie ein russischer Spion": ein Aufenthalt in London mit Ausflug zur Kathedrale von Salisbury. "Sofern Sie der Schneematsch nicht abhält!" Auch im Netz war der Spott groß: