Stand: 05.06.2018 17:53 Uhr

Fußball-WM in Russland: Stolz und Vorurteil

von Hendrik Maaßen
Zwei Tassen mit Putin-Konterfei und Fußball-WM-Logo. © Hendrik Maaßen / NDR Foto: Hendrik Maaßen
Allgegenwärtig: Putin.

Schon von Beginn der Reise sind die Bedingungen schwierig: Denn um überhaupt als Journalist in Russland arbeiten zu dürfen, benötigen wir eine Sonder-Akkreditierung. Unserer Chefredakteure müssen Entsendungsschreiben auf Russisch verfassen, begründen, warum wir ins Land wollen. Zudem sind wir verpflichtet, dem russischen Staat unsere Einkommensverhältnisse offen zu legen.

Als wir in Moskau ankommen, ist dagegen von einem rigiden Staat erst einmal nichts zu spüren. Russland präsentiert sich stolz und modern: freies W-LAN in der Metro, Craft Beer und schicke Cafés. Und ich frage mich, warum ich diese Weltmetropole zweieinhalb Flugstunden von Hamburg entfernt nicht früher besucht habe.

Nationalstolz ist großes Thema

Der Stolz auf das eigene Land ist Thema in vielen Gesprächen. Ich höre oft, was für eine Bedeutung die Olympischen Winterspiele von Sotschi 2014 für das Selbstbewusstsein der Bürger gehabt hätten - dies sei gleichbedeutend mit der Annexion der Krim. Wollte Putin auch deshalb die Fußball-WM um jeden Preis ins eigene Land holen?

Die Berichterstattung im Vorfeld ist in Deutschland dagegen überwiegend negativ. Neben der Korruption bei den Stadionbauten werden die Ausschreitungen russischer Hooligans bei der Europameisterschaft in Frankreich 2016 thematisiert. Aber: Wie groß ist die Gefahr, dass diese brutalen Schlägertrupps erneut zuschlagen?

Eine friedliche WM?

Robert Ustian, russischer Fußballfan. © Hendrik Maaßen / NDR Foto: Hendrik Maaßen
Robert Ustian glaubt fest an eine friedliche WM.

Der ZSKA-Moskau-Fan Robert Ustian engagiert sich gegen Rassismus und Gewalt im russischen Fußball. Er erklärt, dass er von einer absolut sicheren WM ausgeht. Zum einen, weil Putin mit seinem Sicherheitsapparat alles dafür tun werde.

Zum anderen aber auch, weil selbst die Hooligans zu stolz seien, um die eigenen Innenstädte zu verwüsten. "Wenn die Weltmeisterschaft im eigenen Land stattfindet, dann werden auch die Hooligans nichts machen. Und zwar um einem Sensationsjournalismus keine Chance dazu geben, Russland international zu diskreditieren." Eine steile These. Doch Ustian berichtet auch von Hausbesuchen russischer Sicherheitskräfte bei möglichen Gewalttätern, Einschüchterungen, staatlicher Gewalt.

Wir konnten uns frei bewegen

Reporter Hendrik Maaßen im Stadion in Sotschi. © Hendrik Maaßen / NDR Foto: Hendrik Maaßen
Weitgehende Bewegungsfreiheit: Reporter Hendrik Maaßen sammelte viele neue Eindrücke.

Von alldem haben wir zehn Tage lang nichts gespürt. Wir konnten uns frei bewegen, besuchten in Moskau Wirtschaftsverbände, NGOs und Stiftungen, reisten weiter nach Kasan und hatten eher mit der russischen Bürokratie zu kämpfen als mit der Einschränkung von Pressefreiheit. Nur im Austausch mit deutschen Korrespondenten der großen Medienhäuser und Sender spüren wir, dass es noch eine andere Ebene geben muss. Sie erzählen von abgehörten Telefonaten und kurzfristigen Absagen von schon lang vereinbarten Interviews.

In Sotschi begegnet dann auch uns unerwartet viel Misstrauen: Eigentlich sind wir mit dem Bürgermeister verabredet, doch erst einmal werden wir von seiner Entourage umringt. Bevor wir auch nur eine Frage stellen können werden wir befragt: Ob der ARD-Journalist Hajo Seppelt Teil der Gruppe sei, ob man die Teilnehmerliste noch einmal überprüfen könne. Dabei wird eine TV-Kamera auf uns gerichtet. Ein Fotograf macht ungefragt Aufnahmen. Am vorletzten Tag unserer der Russlandreise verbreitet sich mitten auf dem Marktplatz von Sotchi ein mulmiges Gefühl in unserer Reisegruppe.

Interesse häufig nur an eindimensionalen Bildern

Ich denke an das Gespräch mit dem Fanaktivisten Robert Ustian, ganz zu Beginn der Reise. Er hatte einen Punkt angesprochen, von dem er meinte, dass er vielen Russen wichtig sei: "Ihr kommt doch nur hier her, um negativ über Russland zu berichten", hatte er in Moskau  gesagt. Und dann diskutierten wir: Ich entgegnete, dass ich genau aus dem gegenteiligen Grund angereist sei: Um mir ein eigenes Bild jenseits eingefahrener Bilder zu machen. Ustian erzählte von Gesprächen, in denen Journalisten nur an einer eindimensionalen Sicht auf Russland interessiert gewesen seien.

Ustian ist smart, hat in England studiert und arbeitet als Banker im Moskauer Finanzzentrum. Er weiß von den Problemen Russlands und spricht diese auch offen an. "Ich lebe in einem Land, in dem Korruption immer noch das Hauptproblem ist", sagt er. "Aber dank sei Gott haben sie bei den WM-Baustellen nicht nur gestohlen, sondern auch wirklich etwas geschaffen." Die Bürger würden besonders von den Infrastrukturprojekten profitieren.

Sotschi als Positivbeispiel

Touristen am Strand in Sotschi. © Hendrik Maaßen / NDR Foto: Hendrik Maaßen
Das Stadion Fisht in Sotschi: Wie es nach der WM genutzt wird, ist noch offen.

Diese pragmatisch sarkastische Sicht bringt mich zum Nachdenken. Die Olympischen Spiele von Sotchi sind für mich Synonym für Korruption und Verschwendung gewesen. Sie waren teurer, als alle bisherigen Winterspiele zusammen(!). Doch ein Teil der Anlagen wird heute weitergenutzt. Die Schwarzmeer Stadt ist ein quirliger Touristenmagnet geworden. Der Olympiapark ist zu einem ein gut besuchten Ausflugsziel mit angeschlossenem Freizeitpark für viele Familien geworden.

Die vom "journalists.network" organisierte Recherche Reise schafft einen hervorragenden Mehrwert, gerade für junge Journalisten. Als wir nach elf Tagen voller Eindrücke zurückreisen, habe ich nicht unbedingt ein anderes Bild von Russland bekommen - aber ein viel differenziertes.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 06.06.2018 | 23:20 Uhr