24-Stunden-Betreuung: Wie die deutsche Politik wegschaut
Pflegerinnen und Pfleger, die 24 Stunden arbeiten, sollen nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts auch dafür bezahlt werden. Bisher werden sie oftmals ausgebeutet.
Agata Nowak (Name von der Redaktion geändert) ist eine von Hunderttausenden osteuropäischen Frauen, die deutsche Senioren und Seniorinnen zu Hause pflegen - als sogenannte 24-Stunden-Betreuerin. Sie versorgte zuletzt einen alten demenzkranken Mann allein in seinem Haus. Tag und Nacht.
Wie viele ihrer Kolleginnen hängt Agata Nowak emotional sehr an dem alten Mann, den sie pflegt. "Am Anfang musste ich zweimal pro Nacht aufstehen. Der alte Herr weckte mich. Er schrie. Ich hatte schlaflose Nächte, habe manchmal zwei Tage am Stück nicht geschlafen", erzählt sie. "An einem Tag waren es 21, am nächsten 24, oder 48 Stunden. Mit einer kurzen Pause auf dem Sofa, auf dem ich kurz eindösen konnte. Wenn der alte Herr im Rollstuhl schlief, konnte ich mir das erlauben, ein bisschen zu schlafen."
Pausen und Ruhezeiten werden nicht überprüft
Solche Arbeitsbedingungen - ohne Pausen, ohne Ruhezeiten - sind unzumutbar. Aber in privaten Haushalten überprüft das in Deutschland keiner. Agata Nowak geht es wie vielen ihrer Kolleginnen. Sie ist vor Ort isoliert, spricht kaum Deutsch.
Die osteuropäischen Betreuerinnen in Deutschland arbeiten in verschiedenen Modellen. Sie sind entweder direkt bei der Familie angestellt oder werden von Agenturen vermittelt. Manche sind selbständig, die meisten aber arbeiten komplett schwarz. In all diesen Modellen gibt es Ausbeutung. Das Problem: Die deutsche Pflegepolitik hat sich zu lange darauf verlassen, dass sich Familienangehörige schon weitgehend selbst und praktisch umsonst kümmern. Und dass notfalls Frauen aus Osteuropa die Lücken stopfen. Das war schön billig.
Die Bundesregierung will sich endlich kümmern
Nun hat vor Kurzem ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts alle aufgeschreckt. Das hatte entschieden: Wer rund um die Uhr arbeitet und nachts in Bereitschaft ist, muss auch 24 Stunden bezahlt werden. Die Aufregung war groß: Ist das das Ende der 24-Stunden-Pflege? Und so hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigt, sich endlich zu kümmern: "Wir gestalten eine rechtssichere Grundlage für die 24-Stunden-Betreuung im familiären Bereich." Wie diese rechtssichere Grundlage aussehen soll, ist unklar. Auf Nachfrage verweist das Gesundheitsministerium auf das Arbeitsministerium. Das Arbeitsministerium spielt den Ball zurück und schreibt, eine ressortübergreifende Vorgehensweise sei angemessen. Das werde derzeit geprüft.
Der Pflegexperte Stefan Sell ist skeptisch: "Selbst, wenn sie ein mehr oder weniger wackeliges Legalisierungsmodell hinbekommen, spätestens in dem Moment, wo das mit deutlich höheren Kosten verbunden wird, treiben sie viele Familien wieder zurück in den Schwarzmarkt."
Österreich hilft Familien mit Zuschüssen
In Österreich hat man vor rund 15 Jahren eine vermeintliche Lösung für die 24-Stunden-Pflege geschaffen. Die Frauen dort arbeiten überwiegend als Selbstständige, die sozialversichert sind. Dadurch ist eine nächtliche Bereitschaft in Österreich zumindest rechtlich kein Problem mehr. Denn für Selbstständige gelten keine festen Ruhezeiten. Die Regelung habe die Frauen aus der Schwarzarbeit herausgeholt, so die Gewerkschaft vidaflex. Und für die Familien zahle in Österreich der Staat einen monatlichen Zuschuss.
Doch sind damit sämtliche Probleme gelöst? Zwei Betreuerinnen, die die Gewerkschaft vermittelt, berichten trotzdem von langen Arbeitstagen, wenig Schlaf und 80 Euro brutto am Tag. Selbstständig seien die meisten von ihnen nur auf dem Papier, erzählen sie. Sie seien weiter sehr abhängig von den Familien - und vor allem von den Vermittlungsagenturen. Denn die Agenturen hätten zum Teil schlimme Knebelverträge. Das Beispiel Österreich zeigt: Es reicht nicht, nur rechtlich etwas anzupassen. Der Staat muss sich weiter verantwortlich fühlen. Das Grundproblem ist und bleibt nämlich: Eine Person kann nicht 24 Stunden abdecken.
Viele Angehörige sind auf Unterstützung angewiesen
Und selbst wenn Familien versuchen, alles fair und richtig zu machen, kommen sie schnell an Grenzen. Uwe Anhalt geht es wie vielen Angehörigen in Deutschland: Tages- und Nachpflegeplätze gibt es viel zu wenig. Also entscheidet er sich für eine Betreuerin für seine Mutter, die da ist, wenn er arbeitet. Anders als bei Pflegediensten bezahlt die Familie die Betreuungskraft aber alleine. Rund 2.800 Euro an eine Vermittlungsagentur.
Das kritisiert Uwe Anhalt. Denn wenn die Pflegekasse etwas dazuzahlen würde, hätte das doch nur Vorteile, sagt er: "Da kriegt man automatisch auch eine Kontrolle rein, dass die Bedingungen auch für die Pflegekräfte in Ordnung sind." Denn anders als Pflegedienste werden die Vermittlungsagenturen für Betreuerinnen nicht kontrolliert.
In der häuslichen Versorgung so vieler älterer Menschen können die Betreuerinnen nur ein Baustein sein. Für die restlichen Stunden, vor allem in der Nacht, muss der Staat etwas aufbauen.