Meyer Werft: Regierung hat Bedenken gegen rein staatliche Rettung
Mitte September droht die Zahlungsunfähigkeit der Meyer Werft. Interne Dokumente der Bundesregierung zeigen, wie skeptisch man einer staatlichen Rettung gegenübersteht.
"Wenn sich dann eines eurer Schiffe auf den Weg in Richtung des Dollarts macht, stehen Zehntausende entlang der Ems Spalier. Ihr seid der Stolz einer ganzen Region", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor den Mitarbeitern in der Werfthalle von Papenburg. Die markigen Worte passten zur Optik einer leicht euphorischen Massenveranstaltung wie aus dem 20. Jahrhundert.
Zehntausende stehen Spalier, wenn ein neuer Kreuzfahrtgigant von Papenburg über die Ems zur Nordsee geschleppt wird. Der Bundeskanzler schien durchaus Gefallen zu finden an dem Gedanken, oberster Hersteller von Produkten zu werden, die in quasi-militärischer Parade dem Markt entgegengleiten. Denn wenn der Staat, wie von Scholz in Aussicht gestellt, bei Meyer einsteigt, ist er nicht mehr nur Kreditgeber und Bürge wie bisher, sondern auch Erbauer von Kreuzfahrtschiffen.
Internes Papier bewertet Lage der Werft skeptisch
Der Abgleich des Rettungsversprechens des Bundeskanzlers mit Zahlen und Einschätzungen seiner eigenen Regierung zur Meyer Werft wirft eine brisante Frage auf: Ist Scholz dabei, sich über die Vorgaben seiner eigenen Regierung hinwegzusetzen? Panorama 3 liegen Dokumente aus dem Bundesfinanzministerium vor, die skeptische Bewertungen zur wirtschaftlichen Lage der Werft enthalten. "Unternehmerische Erfolge in der Vergangenheit sind kein ausreichender Grund für ein staatliches Eingreifen zum Verhindern einer Insolvenz", heißt es in einem auf den 20. Juni datierten Papier, in dem "Handlungsoptionen" der Bundesregierung "hinsichtlich der Meyer Werft" aufgeführt werden.
Die Ausgangslage wird kritisch bewertet: Bei den Werftkapazitäten sei eine "Unterauslastung" zu verzeichnen. Wegen "einer Reihe aktuell defizitärer Schiffsprojekte" habe die Werft in jüngster Vergangenheit bereits Notkredite aufnehmen müssen, um den Betrieb überhaupt aufrecht zu erhalten. Das heißt, die Baukosten für diese Schiffe übersteigen den Verkaufserlös, den die Werft bei den bestellenden Kreuzfahrtreedereien erzielt. Nun muss, wie bereits öffentlich bekannt, eine Finanzlücke von mehr als 2,7 Milliarden Euro bei Meyer geschlossen werden.
Vorgabe: Privater Mitinvestor müsste sich beteiligen
Das Regierungsdokument nennt klare Bedingungen für eine staatliche Beteiligung an der Werft. Dazu gehört das "Einwerben eines privaten Investors mit mind. 30% EK-Beteiligung" (EK = Eigenkapital, Anm. der Redaktion). Die Notwendigkeit, einen privaten Investor zu finden, der parallel zum Staat einsteigt, ist über den Sommer auch immer wieder von der niedersächsischen Landesregierung betont worden. Diese will sich ebenfalls an der Rettung beteiligen.
Der Einstieg eines privaten Investors soll die Wirtschaftlichkeit der Hilfen für die Werft belegen. Die Bedingung sei "eine Art Test", sagt Wirtschaftswissenschaftler Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) im Gespräch mit Panorama 3. "Wenn von privater Seite niemand bereit ist, sein eigenes Geld auszugeben und ins Feuer zu stellen, dann ist das ein Signal, dass die Risiken so hoch sind, dass es vielleicht auch für das Geld des Steuerzahlers keine so gute Idee wäre", sagt der Experte.
Bisher offenbar kein Investor zum Einstieg bereit
Allein, ein solcher privater Investor hat sich bislang nach Informationen von Panorama 3 nicht gefunden. Das Bundeskanzleramt ließ eine diesbezügliche Frage unbeantwortet. Die von der Bundesregierung selbst gesetzte Bedingung für den staatlichen Einstieg ist also bislang nicht erfüllt. Das sei "ein deutliches Zeichen, dass es eben vielleicht um ein Unternehmen geht, das nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig in einer schwierigen Situation ist", sagt Boysen-Hogrefe.
Für die Staatsbeteiligung an Meyer brachte Scholz in Papenburg ein fragwürdiges Argument. Bei der Lufthansa habe es ja auch geklappt, und da habe der Staat durch sein zeitlich begrenztes Engagement sogar Gewinn gemacht. Was der Kanzler verschweigt: Der Staat erwarb 2020 nur 20 Prozent Anteile an der Lufthansa, bei der Meyer Werft sollen es bis zu 90 Prozent sein. Gescheiterte Staatsrettungen wie bei Galeria-Karstadt - Scholz gewährte als Bundesfinanzminister rund 700 Millionen Euro Finanzhilfen - ließ er bei seinem Plädoyer für die Meyer Werft lieber unerwähnt.
Bundestag befasst sich im September mit der Rettung
Einer staatlichen Rettung muss der Haushaltsausschuss des Bundestages zustimmen. Der haushaltspolitische Sprecher der FDP, Otto Fricke, erklärt im Gespräch mit Panorama 3, Skepsis und kritische Nachfragen seien angesichts des Einsatzes von Steuergeld angemessen. Mit Blick auf die Voraussetzung, dass sich auch ein privater Investor an Meyer beteiligt, sagt Fricke: "Ich gehe davon aus, dass sie bei der Bundesregierung noch gilt." Er sei "gespannt" auf die Vorlage an den Haushaltsausschuss, die er genau prüfen wolle.
Dieser schriftliche Antrag der Bundesregierung an die Haushaltspolitiker der Fraktionen wird Anfang September erwartet. Am 15. September läuft eine Frist ab, zu der die Meyer Werft einen Kredit zurückzahlen muss. Dann droht die Zahlungsunfähigkeit. Fricke hält sich eine Entscheidung pro oder contra Staatseinstieg bei Meyer offen. Die "Zustimmung aller drei Regierungsfraktionen" sei notwendig für die Staatshilfe, so Fricke. Verhandelt werde allerdings abseits der Öffentlichkeit.
Gegenstand der Gespräche dürfte eine weitere Bedingung sein, die das Finanzministerium für den Staatseinstieg gestellt hat: Banken sollen bei neuen Krediten für die Meyer Werft 20 Prozent des Ausfallrisikos selbst tragen. Auch diese Forderung wird in dem Ministeriumspapier genannt.
Staat trägt bereits fast 20 Milliarden Euro Ausfallrisiko
Wie heikel der Staatseinstieg bei Meyer tatsächlich wäre, zeigen Zahlen des Finanzministeriums. Aus einer Tabelle geht hervor, dass der deutsche Staat wegen Bürgschaften und Krediten für die Meyer Werft sowie für Reedereien, die bei Meyer Schiffe bestellt haben, bereits ein Ausfallrisiko von rund 19 Milliarden Euro hat. Der Löwenanteil dieses Risikos stammt aus bereits gewährten Bürgschaften für Kredite an Kreuzfahrtreedereien im Umfang von 15,4 Milliarden Euro.
Mit weiteren Milliarden würden Bund und Land Niedersachsen nun den Einsatz erhöhen. Die Scholz-Regierung würde sozusagen alles auf einen anhaltenden Boom des weltweiten Kreuzfahrttourismus setzen.
Kreuzfahrt-Branche hat Probleme - Risiko für eine Rettung?
Dieser hat sich nach dem Einbruch während der Corona-Pandemie zwar erholt, aber die Probleme schwelen unter der Oberfläche. Der Weltmarktführer unter den Kreuzfahrtreedereien, das US-amerikanische Unternehmen Carnival, Mutterkonzern von "Aida" und wichtiger Kunde der Meyer Werft, hat mit einem Schuldenstand von 27 Milliarden Dollar seine eigenen Geldsorgen. Experten mahnen zur Vorsicht: "Wenn es ein sicheres Geschäft wäre, was große Gewinne versprechen würde, würden die Investoren Schlange stehen. Das ist nicht der Fall. Und das bedeutet eben auch, dass diese Branche in einer anderen Situation ist als sie vielleicht vor zehn oder zwanzig Jahren war", sagt Boysen-Hogrefe vom IfW.
Der Versuch, in Mecklenburg-Vorpommern ab 2018 neben Meyer einen zweiten deutschen Hersteller von Kreuzfahrtgiganten mit staatlicher Hilfe anzusiedeln, war mit der Pleite der "MV Werften" im Januar 2022 gescheitert. Profitiert hatte die Kreuzfahrtsparte des Micky-Maus-Konzerns Disney. Diesem wurde ein halbfertiges Schiff in Wismar, in das schon mehr als eine Milliarde Euro geflossen waren, quasi geschenkt, "lastenfrei" versteht sich. Meyer soll dieses Schiff jetzt zu Ende bauen. Danach sollen an der deutschen Ostseeküste keine Freizeit-, sondern Kriegsschiffe hergestellt und repariert werden.
Wird Kanzler Scholz an dem staatlichen Einstieg bei Meyer auch ohne privaten Investor festhalten? Wird er sich über die Vorgaben seiner eigenen Fachleute hinwegsetzen? Dass es nicht ganz einfach wird, ließ Scholz bei seinem Auftritt in Papenburg durchblicken. "Wenn alle anderen mitziehen", schränkte er ein, werde der Bund zur Lösung beitragen, und fügte hinzu: "Ziel ist, dass möglichst bald die Stabilität und die Zukunftschancen der Werft mit überzeugendem privatwirtschaftlichem Engagement sichergestellt werden."
Werfteigner könnte mit Privatvermögen einspringen
Nicht ausgeschlossen scheint, dass Werfteigentümer Bernhard Meyer mit seinem Privatvermögen vorübergehend die Rolle des privaten Investors spielen könnte. Eine der Voraussetzungen für den staatlichen Einstieg in die Werft ist laut Finanzministerium die "Offenlegung der Vermögensstruktur der Familie Meyer und der zugehörigen Stiftungen in hinreichend belastbarer Form". Ob diese Bedingung inzwischen erfüllt wurde, wollten weder das Bundeskanzleramt noch die Meyer Werft sagen. Das Finanzministerium teilte auf Anfrage mit, es wolle "laufende Gespräche" nicht kommentieren. Das Wirtschaftsministerium erklärte, dass es "während der noch laufenden Prüfung keine Details zu den Konditionen" nennen könne. Eine Sprecherin gab allerdings die allgemeine Auskunft: "Sollte es eine staatliche Finanzierungsunterstützung für die Werft geben, dann würde diese zu beihilferechtlich vorgeschriebenen Marktkonditionen erfolgen."
Experte: Scholz wird sich durchsetzen
Wirtschaftswissenschaftler Michael Thöne von der Uni Köln meint, dass der Kanzler sich mit seinem Auftritt in Papenburg festgelegt habe. "Aus der Nummer kommt er nicht mehr raus", sagt Thöne im Gespräch mit Panorama 3. Er erwarte, ob nun die "Bedingungen erfüllt werden oder nicht, dass diese Staatsrettung versucht wird vonseiten der Bundesrepublik." Scholz werde sich gegen eventuelle Widersacher bei den Koalitionspartnern und in der EU-Kommission "durchsetzen", glaubt Thöne.
In spätestens zwei Wochen muss der deutsche Staat entscheiden, ob er nicht nur Kredite für Kreuzfahrtschiffe geben und dafür bürgen, sondern ob er sie auch selbst bauen will. Olaf Scholz hat nichts gegen Pomp und Größe. Das "Spalier der Zehntausenden" lockt. Dass es bloß nicht endet wie beim Elbtower, dem "Kurzen Olaf".