"Menschenunwürdig"? Forensik Ochsenzoll in der Kritik
Christoph Miebach ist gerade einmal 17 Jahre alt, als er in die forensische Psychiatrie Hamburg Ochsenzoll kommt. Er leidet an einer Schizophrenie und war zuvor schon in verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen.
Doch dort hatte er in manischen Zuständen mehrfach Pflegekräfte geschlagen und gewürgt. Deshalb wird er verurteilt und kommt in den Maßregelvollzug. Dieser findet in einer forensisch-psychiatrischen Klinik statt, in der Menschen behandelt werden, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankungen eine Straftat begangen haben. Die forensischen Psychiatrien sind keine Gefängnisse, aber sie sind genauso gesichert. Mit hohen Mauern, Zäunen und vergitterten Fenstern.
Seit Jahren mit Medikamenten ruhiggestellt
Miebach ist nun seit sechseinhalb Jahren in der Forensik Ochsenzoll. Laut medizinischen Gutachtern bekommt er seit Jahren einen starken Medikamenten-Mix. Dieser sediere ihn regelrecht, sagt der letzte medizinische Gutachter Bijan Hadji: "Eigentlich muss man sich kritisch die Frage stellen: Was bewirken diese Medikamente? Streng genommen muss man sagen: gar nichts." Miebach habe keinen Kontakt zur realen Umwelt gehabt, was bei Schizophrenie extrem wichtig sei, sagt Hadji. "In Deutschland habe ich so etwas noch nie gesehen."
Zustand laut Mutter immer schlechter
Dem Gutachter zufolge ist es sogar wahrscheinlich, dass die Medikamente bereits zu Schädigungen in Miebachs Gehirn geführt haben. Dessen Kommunikation sei inzwischen mit der eines Kleinkindes vergleichbar. Der einzige Kontakt zur Außenwelt sind die Besuche seiner Familie. Miebachs Angehörige erzählen, er habe inzwischen etwa 30 Kilo zugenommen, wirke ungepflegt und auch sein körperlicher Zustand verschlechtere sich von Jahr zu Jahr. "Er ist motorisch sehr eingeschränkt. Er hat Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten, sicher auch als Nebenwirkung der Medikamente. Die Kondition ist im Keller, der Puls geht also bei wenigen Bewegung sehr stark hoch", sagt Dorte Miebach, Christophs Mutter.
Die forensische Psychiatrie Ochsenzoll, die von der Asklepios Gruppe betrieben wird, schreibt dazu auf Anfrage, zu dem einzelnen Fall könne man aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht keine Informationen geben. Allerdings erfolge "die Behandlung unserer Patienten zu allen von Ihnen angefragten Aspekten leitliniengerecht."
Kein Platz für Miebach in einer Psychiatrie
Über die Fortdauer einer Unterbringung in der Forensik entscheiden jedes Jahr Gerichte. Da es keine psychiatrische Einrichtung gebe, die Miebach aufnehme und die Gefahr zu groß sei, dass er wieder Straftaten begehe, müsse er in der Forensik bleiben. Dagegen geht die Familie Miebach immer wieder auch mit Hilfe ihres Rechtsanwalts, Johann Schwenn, vor. Er sagt, er werde bis in die letzte Instanz gehen - das heißt am Ende das Bundesverfassungsgericht. Aufgabe des Maßregelvollzugs ist nicht nur, die Bevölkerung vor diesen Patienten zu schützen, sondern auch die Krankheit zu therapieren, die zu Straftaten führt.
Bundesweit fehlt es an Plätzen in den Forensiken
Doch der akute Platzmangel in forensischen Einrichtungen ist ein wachsendes Problem - in ganz Deutschland. Immer häufiger berichten Kliniken und Experten von Einrichtungen, die ihre Kapazitätsgrenzen erreichen oder sogar übersteigen.
Mehrere Faktoren tragen zu diesem Zustand bei. Die Anzahl der Menschen, die psychisch krank und straffällig sind, nimmt von Jahr zu Jahr immer mehr zu. Nach Angaben der Hamburger Sozialbehörde hat sich die Zahl der psychisch kranken Straftäter in den vergangenen 25 Jahren verfünffacht. Von damals 90 auf heute 434 Patienten. Über 90 Prozent der Patienten im Hamburger Maßregelvollzug leiden an einer Schizophrenie.
Platzmangel in Ballungsräumen besonders problematisch
Hinzu kommt, dass in forensischen Kliniken Aufenthalte oft wesentlich länger als in regulären psychiatrischen Einrichtungen andauern. Der Resozialisierungsprozess erfordert intensive und langwierige Behandlungen, die nicht selten Jahre dauern können. Das führt dazu, dass Plätze über lange Zeit belegt und Neuaufnahmen nur schwer möglich sind. In manchen Bundesländern sind Kapazitätsengpässe besonders drastisch, da die Anzahl der Einrichtungen und Betten stark variiert. Besonders in dicht besiedelten Regionen wie in Hamburg, in denen oft auch die Kriminalitätsrate höher ist, fehlen oft ausreichend Plätze.
Doch auch der Personalmangel ist ein weiteres Problem. Psychiater, Pflegepersonal und Therapeuten sind zunehmend überlastet. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Qualität der Betreuung, sondern auch auf die Sicherheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter selbst.
Durch verspätete Therapien wächst das Abbruchrisiko
Die Engpässe und Probleme in forensischen Psychiatrien haben weitreichende Folgen für die Patienten und auch für die Gesellschaft. Lange Wartezeiten auf Therapieplätze und eine überfüllte Umgebung führen oft zu einer Verschlechterung des psychischen Zustands der Patienten. Die Wahrscheinlichkeit eines Therapieabbruchs steigt und das Risiko eines Rückfalls in kriminelles Verhalten bleibt hoch.
Der Hamburger CDU-Politiker Richard Seelmaecker, der bereits seit Jahren die Zustände in der Hamburger Forensik Ochsenzoll kritisiert, findet: "Die Menschen haben einen Anspruch, auch wenn sie Straftäter sind, auf eine menschenwürdige, ordentliche Behandlung. Und wenn sie diese nicht erfahren, dann haben sie auch keine Chance auf ein Leben in Straffreiheit."
Familie Miebach sagt, sie fordere nicht, dass Christoph freikommt, sondern nur in eine geschlossene Psychiatrie. "Unser Wunsch für unseren Sohn Christoph ist auf alle Fälle, dass er aus der Forensik rauskommt. Und wenn wir auch nicht die Hoffnung haben, dass er wieder ganz gesund wird, aber auf alle Fälle eine bessere Lebensqualität erfahren kann."