Not im Strafvollzug: Kein Platz für psychisch kranke Täter
Psychisch kranke Straftäter kommen nur dann in sogenannte forensischen Kliniken, wenn sie zum Zeitpunkt der Tat bereits schwer erkrankt waren. Doch für viele andere gibt es in normalen Gefängnissen keine ausreichende Behandlung. Dies ergab eine Abfrage von Panorama 3 bei allen Justizministerien in Norddeutschland.
Philipp Scholz steht an seinem Fenster und blickt hinaus. Er ist froh, hier zu sein. Zwar hinter Gittern im Gefängnis, aber auf einer speziellen psychiatrischen Station, die bislang nur wenige Gefängnisse haben. Philipp Scholz, der eigentlich anders heißt, ist in der JVA Neumünster untergebracht und erzählt uns von seiner schizophrenen Psychose. "Ich habe Stimmen im Kopf gehabt, habe gesagt: 'Ihr Bastarde, ich werde euch alle töten!', bin sehr psychotisch geworden." Heute ist er medikamentös eingestellt, fühlt sich ruhiger, seit er auf der psychiatrischen Station untergebracht ist. Wenn er aus dem Gefängnis rauskommt, will er sich ein normales Leben aufbauen, "ein normales vernünftiges Leben", sagt er.
Keine ausreichende Behandlung
Die Station D2 in der JVA Neumünster ist noch eine Seltenheit im Strafvollzug. Denn bei der psychiatrischen Behandlung von Häftlingen versagt unser Justizsystem häufig. Für viele schwer psychisch kranke Straftäter gibt es keine ausreichende Behandlung im Knast. Dabei haben rund 88 Prozent der Gefangenen mindestens eine psychische Erkrankung. Manche leiden unter schweren Depressionen, andere unter Psychosen, hören dann etwa Stimmen, haben Wahnvorstellungen und fühlen sich verfolgt. Viele waren schon vorher krank, andere entwickeln erst in der Haft psychische Auffälligkeiten.
Im Maßregelvollzug, den sogenannten forensischen Kliniken, werden aber nur die Straftäter untergebracht, die zum Zeitpunkt der Tat so psychisch krank oder suchtabhängig waren, dass sie als schuldunfähig eingestuft wurden. Alle anderen müssen ihre Haft in normalen Gefängnissen verbüßen.
Experten des Europarates kritisierten Ende vergangenen Jahres die psychiatrische Versorgung von Gefangenen in Deutschland. Eine Delegation besuchte unangekündigt u.a. Sicherheitsabteilungen in der JVA Lübeck und der JVA Celle. Sie berichten von "besorgniserregenden Fällen". Ein Häftling hatte "sich in eine dreckige, uringetränkte Decke eingewickelt und sprach schnell und inkohärent". Ein anderer, ebenfalls psychotischer Gefangene hatte die Überwachungskamera mit Kot eingeschmiert, anschließend seine Papierhose zerrissen und versucht seine Genitalien mit einem Stoffstreifen abzubinden.
Die Anstaltsleiter erklärten der Delegation: Sie hätten immer wieder erfolglos versucht, diese Gefangenen in ein psychiatrisches Krankenhaus zu verlegen. Überall fehlten die Kapazitäten. In norddeutschen Gefängnissen gibt es keine vollstationären psychiatrischen Stationen, die Maßregelvollzugskliniken sind überfüllt und können daher auch kaum mehr aushelfen. Und eine Verlegung in die normale Psychiatrie draußen scheitert meist daran, dass sie Gefangene, die von Uniformierten rund um die Uhr bewacht werden müssen, nicht gerne aufnehmen.
"Niveau eines Kleinkinds"
Panorama 3 hat mit dem Hamburger Psychiater Jochen Brack, gesprochen, der als Gutachter psychisch kranke Straffällige untersucht. Er bestätigt zum Teil "drastische Zustände" in den Justizvollzuganstalten. Das liefe bei vielen akut psychotischen Erkrankten darauf hinaus, dass sie "in der Zelle - man kann das so verwenden: vor sich hinvegetieren. Das ist dann ein innerer Rückzug des psychisch Kranken auf das Niveau eines Kleinkindes."
Es gibt natürlich auch im Regelvollzug eine psychiatrische, ambulante Versorgung. Die wird von den "Besuchsärzten", den sogenannten "Konsilpsychiatern" wahrgenommen, die in der Regel einmal wöchentlich für einige Stunden in das Gefängnis kommen. Sie können Medikamente verschreiben, kurz zuhören, aber mehr nicht. Doch viele Menschen erkranken im Gefängnis so stark an der Psyche, dass sie eine stationäre Therapie bräuchten. Panorama 3 hat in allen vier norddeutschen Bundesländern nachgefragt, wie groß das Problem genau ist, in wie vielen Fällen in den vergangenen Jahren eine Verlegung auf eine psychiatrische Station nötig gewesen wäre, aber nicht möglich war. Doch konkrete Zahlen dazu, kann kein Justizministerium nennen. Diese Daten werden nicht erhoben.
Kaum Zahlen - dafür vage Ankündigungen
Dass die Versorgung von schwer psychisch kranken Gefangenen aber ein Problem ist, bestätigen sie alle. In Schleswig-Holstein hat man bereits reagiert und plant neben den 20 derzeit schon existierenden teilstationären Plätzen in Neumünster, in der JVA Lübeck eine vollstationäre Abteilung neu zu bauen. Mit dann 25 Plätzen. In Niedersachsen gibt es vergleichbare Stationen wie in Neumünster. Derzeit ermittele man den Bedarf an vollstationären Plätzen, teilt das Justizministerium mit. Mecklenburg-Vorpommern antwortet recht vage: Man wolle seine Belegbetten im Maßregelvollzug ausbauen. Die Hamburger Justizbehörde berichtet von ähnlichen Plänen.
Am Ende geht es auch darum, dass die Gefangenen so gesund sind, dass sie in der Haft auch resozialisiert werden können. Fragt man Philipp Scholz, was sein größter Traum sei, antwortet er: Zu retten, was zu retten sei in seinem Leben, irgendwie Fuß zu fassen.