Hamburger Hafen: Container runter vom Lkw?
Zwei Millionen Container müssen jedes Jahr im Hamburger Hafen per Lkw hin und her gefahren werden. Diese sogenannten Umfuhren sind eine enorme Belastung - für Infrastruktur wie die Köhlbrandbrücke, für staugeplagte Lieferanten und für die Umwelt. Viele der Umfuhren könnten auch mit kleineren Schiffen übers Wasser gefahren werden, doch diese Alternative wird kaum genutzt. Warum?
Im Hamburger Hafen wurden 2023 7,7 Millionen Container umgeschlagen. Das ist der niedrigste Wert seit mehr als einem Jahrzehnt. Ein Hafensprecher äußerte bei der Vorstellung der Zahlen Ende Februar die Hoffnung, dass dieses Niveau im Jahr 2024 gehalten werden könne. Der Hafen ist in der Krise und nichts verdeutlicht dies besser als der Wunsch der Hafenmanager, das niedrige Niveau zu wahren und nicht noch tiefer zu sinken.
Der Niedergang hat mehrere Ursachen, darunter solche, die die Verantwortlichen nicht beeinflussen können. Dazu zählen die weltpolitischen Spannungen, die der von Russland in die Ukraine getragene Krieg hervorgerufen hat. Die politischen Spannungen wirken sich auf die Weltwirtschaft aus, so ist der Handel zwischen dem Hamburger Hafen und Russland sowie China eingebrochen. Der Anstieg des Warenverkehrs mit den USA kann diese Verluste nicht ausgleichen. Zudem schwächelt die deutsche Wirtschaft.
Hamburg mit geografischem Nachteil
Eine weitere von Hamburg nicht beeinflussbare Ursache liegt in der Geografie. Die Lage am Ende einer 120 Kilometer langen Revierfahrt durch die Elbe bringt den Hafen angesichts wachsender Schiffsgrößen im Überseeverkehr ins Hintertreffen. Für die Ozeanriesen ist Hamburg nicht gerade die attraktivste Anlaufstelle, weil sie die Revierfahrt vollbeladen nicht schaffen. Sie würden in der Elbe stecken bleiben.
Hier beginnt die erste Illusion: Senat und Hafenbetreiber haben gedacht, sie könnten den geografischen Nachteil kompensieren - durch die Elbvertiefung. Doch diese ist missglückt. Die maximalen Tiefgänge der Riesenpötte konnten trotz kostspieligen Buddelns nicht wie geplant ausgeweitet werden. Das Flussbett der Elbe und die Hafenbecken laufen immer wieder mit Schlick voll.
Illusionen werden in dieser Geschichte eine herausgehobene Rolle spielen. Sie werfen ein ungünstiges Licht auf die Akteure in Politik und öffentlichen Hafenunternehmen. Auch da, wo sie den Gang der Dinge zum Wohl des Hafens beeinflussen könnten, versagen sie.
Köhlbrandbrücke ist schon nach halber Lebenszeit marode
Die Köhlbrandbrücke sollte 100 Jahre halten, das hieße bis 2074. In Wahrheit ächzt das Bauwerk, die zentrale Verkehrsader zwischen dem westlichen und dem östlichen Teil des Hafengebiets, längst unter der Last des Straßenverkehrs. 12.000 Lastwagen rollen täglich darüber. Diese sind nicht nur zahlreicher, sondern auch deutlich schwerer als man bei der Eröffnung der Brücke 1974 kalkuliert hatte. Nach Auskunft der Wirtschaftsbehörde ist die Gesamtlast, die nach ursprünglicher Berechnung über die Brücke rollen würde, "mittlerweile überschritten".
Der Beton ist spröde. Lkws dürfen inzwischen nur noch auf einer Spur fahren und das mit einem Mindestabstand von 50 Metern. Bald könnte dieser erhöht werden. Die Brücke ist baufällig, und doch muss sie noch etwa 15 Jahre halten. Denn schneller wird es keine neue Querung über den Köhlbrand geben, wie Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD) am 6. März bei einer Podiumsveranstaltung offenbarte.
Lkw-Umfuhren belasten die Brücke
Die Schonung dieser für den Hafen lebenswichtigen Route wäre also das Gebot der Stunde. Bereits 2015 nahm sich der rot-grüne Senat unter dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) vor, die "landseitige Infrastruktur" im Hafen zu entlasten, indem er kurze Transporte innerhalb des Hafens auf das Wasser umsteuert. Rund zwei Millionen aller Container, die in Hamburg jährlich umgeschlagen werden, müssen über kurze Strecken hafenintern von A nach B gebracht werden, von einem Terminal zum anderen, von Terminals zu Lager- , Reparatur- und Packbetrieben oder umgekehrt.
Bis auf wenige Ausnahmen werden diese Umfuhren mit dem Lkw abgewickelt. Mit den vorhandenen Angeboten laufen nur etwas mehr als 100.000 Umfuhren über das Wasser. Das zusätzliche Potenzial liegt laut Experten bei mehr als 300.000, denn Wasserwege durchziehen den Hafen wie ein Adernetz. Zudem könnten Containerlager, die zur Zeit keinen Wasserzugang haben, ans Wasser umgesiedelt werden.
Eine stärkere Verlagerung auf das Wasser könnte der Köhlbrandbrücke rund 500 ratternde Lkws pro Tag ersparen. Bei einer kompletten Verlagerung wären es etwa 3.000. "Jeder Container, der nicht über die Brücke transportiert werden muss, entlastet sie", sagt Dominik Lorenzen, wirtschaftspolitischer Sprecher der grünen Regierungsfraktion in der Bürgerschaft. Die wasserseitigen Umfuhren seien "ein Potenzial, das es zu heben gilt", erklärt Lorenzen im Interview mit Panorama 3. Es sei "misslich", dass dieser Punkt im Koalitionsvertrag von 2015 kaum umgesetzt worden sei, räumt Lorenzen ein. Der Senat müsse sich des Themas endlich annehmen. "Da wurde bisher zu wenig Druck gemacht", sagt Lorenzen.
Spezielle Barge könnte womöglich helfen
Buchstäblich auf dem Trockenen sitzt Schiffbauingenieur Ulrich Malchow. Er hat ein 64 Meter langes Schiff entworfen, das bis zu 170 Container laden kann. Diese Barge könnte Container und Schwerlasten durch den Hafen schippern. Der Vorteil: das Schiff hat einen Kran an Bord, mit dem es sich die Container selbst von der Kaikante "angeln" und am Bestimmungsort wieder absetzen kann. Die großen und teuren Containerbrücken an den Terminals müssten dafür also nicht bemüht werden. Sie könnten sich auf das Be- und Entladen der Überseefrachter konzentrieren. Der Haken: Malchows Barge gibt es nur als Modell. Das Patent wurde nie realisiert. Im Koalitionsvertrag von 2015 hatte es noch geheißen, für die bessere Nutzung der Wasserstraßen im Hafen sollten "vorhandene private Anbieter" einbezogen werden. Zwei Hafenunternehmen bieten zwar Umfuhren per Schiff an, aber diese haben keinen eigenen Kran und werden wenig genutzt.
Entsprechend enttäuscht ist Schiffbauingenieur Malchow. Die HHLA, Hamburgs mit Abstand bedeutendster Terminalbetreiber, hat in Folge des Koalitionsvertrags von 2015 zwar mit ihm über einen Einsatz von dessen Barge für die Umfuhren verhandelt, aber letztlich forderte die HHLA eine Anlegegebühr. Die sei, berichtet Malchow, so hoch gewesen, dass er die Barge nicht wirtschaftlich hätte betreiben können. Damit habe die HHLA sein Projekt abgewürgt, kritisiert er.
HHLA lehnt Bargenprojekt ab
In einer Stellungnahme erklärt eine HHLA-Sprecherin, der Terminalbetreiber unterstütze das "Ziel, Containerumfuhren im Hamburger Hafen über den Wasserweg, anstatt die Straße zu transportieren." Aber viele Endpunkte der Umfuhren hätten keinen Wasseranschluss und für den kurzfristigen Transport kleiner Mengen von Containern sei der Lkw flexibler. Das Modell von Malchow habe man "intensiv analysiert". Ergebnis sei gewesen, dass der Einsatz der Barge zusätzliche Kosten für die HHLA bedeutet hätte, die man hätte auf den Anbieter umlegen müssen. Das habe dieser abgelehnt. Im rot-grünen Koalitionsvertrag 2020 ist der Punkt ganz verschwunden. Auf die Kritik, die HHLA habe mit ihrer Geldforderung das Barge-Projekt aus grundsätzlichen Erwägungen verhindern wollen, ging die Sprecherin in der Stellungnahme nicht ein.
Fest steht jedenfalls, dass die HHLA selbst die Barge des Schiffbauingenieurs als "zukunftsträchtiges Projekt" bezeichnet hat. Das geht aus einem Brief hervor, den ein für hafeninterne Umfuhren zuständiger Geschäftsführer der HHLA bereits 2009 an Malchow schickte. Bis heute bekomme er zustimmende Rückmeldungen aus dem Innern der HHLA, berichtet Malchow im Interview mit Panorama 3: "Nicht offiziell, aber einzelne Mitarbeiter sagen mir schon, es sei eigentlich eine tolle Idee." Nötig sei "ein Wink aus der Wirtschaftsbehörde". Daran fehle es, bemängelt der Schiffbauingenieur.
HHLA-Idee: Lufttaxis für Container
Statt einer realistischen Lösung wandte der HHLA-Vorstand sich hochfliegenden Plänen für hafeninterne Containertransporte zu. Ende März 2019 präsentierte HHLA-Chefin Angela Titzrath Hochglanzskizzen eines Containers, der mit Drohnen über das Hafengebiet geflogen wird. Im Hafen habe man die fliegenden Boxen für "einen Aprilscherz" gehalten, erinnert sich Ulrich Malchow. Es sei aber ernst gemeint gewesen, obwohl die Gesetze der Physik dem entgegenstünden. In der Tat ist selbst ein leerer Container zu schwer für den effizienten Transport durch die Luft. Das Projekt "fliegende Boxen" wurde, nachdem Titzrath es noch stolz Bundeskanzlerin Angela Merkel präsentiert hatte, diskret ad Acta gelegt.
Und so legen die Container die hafeninternen Kurzstrecken bis heute zu mehr als 95 Prozent auf Lastwagen zurück. Geht es nach dem aktuellen Hafenentwicklungsplan des Senats, soll es so auch bleiben. Das nutzt nicht nur Straßen und Brücken übermäßig ab und verursacht hohe CO2-Emissionen, sondern führt auch regelmäßig zum Verkehrskollaps mit Auswirkungen auf die gesamte Metropole Hamburg, die den zweifelhaften Titel von Deutschlands Stauhauptstadt erobert hat.
Unternehmer warnen vor Abwanderung in andere Häfen
Deshalb hat die stärkere Verlagerung der Umfuhren aufs Wasser viele Unterstützer in der Hafenwirtschaft, wie den Vertriebsleiter der Firma A&J Exportpack, Frank Christensen. Dort werden Containerladungen und Schwergüter für die Verschiffung nach Übersee verpackt. An dem Firmengelände mitten im Hafen entlang läuft ein schnurgerader Kanal. Ein Schiff mit Kran könnte sich Ladungen von dem Gelände holen und bis zu den Terminals bringen, sagt Christensen. Weil es ein solches Schiff aber nicht gibt, schickt er seine Ladungen die paar Kilometer mit dem Lkw bis zum Terminal.
Am Morgen des Panorama 3-Besuchs ist ein 34 Tonnen schwerer Transport dabei, Metallsägen für Kanada. Der Konvoi quält sich über die Köhlbrandbrücke. Der Vertriebsleiter beklagt, dass wegen der häufigen Staus Termine nicht eingehalten werden könnten. Die Beantragung von Schwertransporten über die Straße sei langwierig. Er bemerke, wie die daraus resultierende Unzuverlässigkeit Kunden von Hamburg weg in andere Häfen treibe, vor allem in die Westhäfen Rotterdam und Antwerpen. "Der Kunde sucht sich andere Wege", so Christensen.
Auch Spediteure für Wasserumfuhren
Man könnte meinen, dass die Situation den Interessenvertretern der Lkw-Spediteure recht sei. Dem ist aber nicht so, wie Panorama 3 feststellen konnte. Der Verband Straßengüterverkehr und Logistik Hamburg macht sich für Wassertransporte stark. Es mangele nicht an Aufträgen, sondern an Lkw-Fahrern, erklärt Verbandsgeschäftsführer Hans Stapelfeldt. Die Aufgabe der Lastwagenbranche sehe er darin, Ladungen an Orte zu bringen, die nicht übers Wasser bewegt werden können. Es sei im Interesse seiner Branche, das Straßennetz im Hafen, zumal die marode Köhlbrandbrücke, möglichst zu schonen. "Deshalb sehen wir die Wassertransporte nicht als Konkurrenz, sondern als gemeinsame Aktion und gemeinsames Ziel," meint Stapelfeldt. Er verweist auf die Verantwortung der Politik. Die Verbesserung der Situation sei "eine hoheitliche Aufgabe der Stadt Hamburg".
Dieser Verantwortung scheint die Wirtschaftsbehörde jedoch ausweichen zu wollen. Auf unsere Anfrage schreibt ein Behördensprecher: "Ob Umfuhren über das Wasser wirtschaftlich sind und von den Firmen beauftragt werden, ist eine kaufmännische, keine politische Entscheidung."
Dem widerspricht Grünen-Abgeordneter Lorenzen. Die Rahmenbedingungen müssten von der Politik gesetzt werden. Ein "deutlicherer Auftrag der Stadt" sei geboten, um die wasserseitigen Umfuhren voranzubringen. Der Koalitionsvertrag von 2015 gibt ihm recht. Darin hatte es geheißen, der Senat wolle auf die HHLA einwirken und "die nötigen tariflichen und organisatorischen Vorkehrungen" für mehr Umfuhren über das Wasser schaffen.
Personalkarussell bei der HHLA
Wie agieren Senat und HHLA in der Hafenpolitik? Das Management der Umfuhren ist sicherlich nur eine kleine Ursache, aber gewiss ein starkes Symptom der Krise. Davon gibt es noch viele mehr. Eine ganze Reihe von Führungskräften hat die HHLA in den vergangenen zwei Jahren verlassen, darunter zwei Finanzchefs, eine blieb nur wenige Monate, eine Personalchefin, der Geschäftsführer eines Containerterminals und ein Geschäftsführer der himmelstürmenden Innovationstochter "HHLA Sky". Vorstandsvorsitzende Angela Titzrath allerdings darf bleiben. Ihr Ende des Jahres auslaufender Vertrag wurde verlängert.
Was plant MSC?
Als Retterin will der Senat jetzt die Reederei MSC (Mediterranean Shipping Company) von Multimilliardär Gianluigi Aponte (jetzt Genf, früher Neapel) ins Boot holen. MSC soll knapp die Hälfte der HHLA-Anteile erhalten. Dieser "Partner" wird zwar gleichberechtigt, aber in keiner Weise gleich, sondern der Stadt um ein Vielfaches an Finanzkraft überlegen sein.
Kritiker meinen, dass Aponte das Umschlagsgeschäft in Hamburg, das hart an der Defizitgrenze entlangschrammt, ziemlich egal sei. Er habe es auf die schöne HHLA-Tochter Metrans abgesehen, die ein lukratives Geschäft mit dem Bahngüterverkehr in Europa betreibt. Sollte der Umschlag im Hamburger Hafen weiter sinken, wird sich die Sache mit den Lkw-Staus irgendwann von selbst erledigt haben.