Wie geht es den Intensivpflegekräften nach der 3. Welle?
"Mein Dienst wird zum Kotzen! Ich muss es leider ehrlich mal so sagen!" Michaela Strätz blickt Mitte Mai müde in ihre Handykamera. Sie führt noch einmal Video-Tagebuch für Panorama 3. Denn wir wollten wissen: Wie ergeht es den Intensivpflegekräften in der dritten Welle der Pandemie?
Während die Zahlen überall in Deutschland sinken, hat Strätz noch immer viel zu tun. Sie arbeitet in der Uni-Klinik Dresden auf einer Corona-Intensivstation, die auch immer wieder Patienten aus ganz Sachsen aufnimmt. Was ihr dabei vor allem zu schaffen macht, ist das Alter der Erkrankten.
Während um Weihnachten herum noch die über 80-jährigen Patienten kamen, sind es heute Familienväter um die 50. "Die ganzen Bilder von den Kindern, die dort gemalt werden, die dort überall hängen. Da ist man schon manchmal den Tränen nahe, wenn man liest: 'Lieber Papa und ich verspreche Dir, ich passe auf meine kleine Schwester auf, aber Du musst wiederkommen.'" Es sind belastende Erlebnisse, die ihren Beruf in letzter Zeit immer weniger erträglich machen: "Das Maß ist voll", sagt sie. "Wir würden gerne mal wieder etwas anderes sehen."
Kräftezehrende Arbeitstage und sinkende Motivation
Seit über einem Jahr sind Intensivpflegekräfte nun tagtäglich mit Corona konfrontiert: Lange, kräftezehrende, teils traumatische Arbeitstage, die sich auch statistisch bemerkbar machen: Prof. Dr. Uta Gaidys hatte gehofft, dass mit fallenden Infektionszahlen die Motivation der Pflegekräfte wieder ansteigt. Doch das sei nicht der Fall, sagt die Pflegewissenschaftlerin der HAW Hamburg. Seit Beginn der Pandemie befragen sie und ihr Team regelmäßig auch Intensivpflegekräfte. Jetzt haben sie die Ergebnisse aus der dritten Welle ausgewertet: "Ungefähr ein Viertel sagen, sie motiviert nichts mehr und das ist sehr, sehr beunruhigend, weil es wahrscheinlich schwerfallen wird, diese Zahl wieder aufzulösen", schätzt Gaidys.
Hinzu kommt ein steigender Krankenstand. Die Techniker Krankenkasse (TK) erfasst jedes Jahr die durchschnittliche Anzahl von Krankentagen ihrer Versicherten. In der Berufsgruppe der Fachkrankenpflege, zu der auch die Intensivpflege zählt, fielen Pflegekräfte 2020 im Schnitt 22,5 Tage wegen Krankheit aus. 2019 waren es noch 21,2 Tage. Zum Vergleich: TK-versicherte Erwerbstätige fehlten im selben Zeitraum im Durchschnitt 15,1 Tage bzw. 15,4 Tage. Hier nahmen die Krankentage im ersten Jahr der Pandemie sogar ab.
"Man könnte denken, die Pandemie ist vorbei"
Um die Arbeitslast zu reduzieren, würde in seinem Kollegenkreis vermehrt Arbeitszeit reduziert, erzählt Tobias Ochmann: "Keine riesigen Stellenanteile, sondern teilweise fünf bis zehn Prozent - einfach, um ein bisschen mehr Zeit für die eigene Regeneration zu schaffen." Wir treffen den Intensivpfleger an einem sonnigen Vormittag im Juni an der Alster in Hamburg. Einige Menschen sonnen sich in kleinen Grüppchen auf der Wiese. Jogger umrunden das Gewässer, das voll von Stand-up-Paddlern und Jollen ist. Tobias Ochmann schaut fast ein wenig ungläubig auf die Szenerie: "Man könnte denken, die Pandemie ist vorbei", sagt er.
Hoffnung auf "deutliche Veränderungen im Bereich der Pflege"
Doch die Bauchschmerzen bleiben, obwohl auch er heute gute Nachrichten hat: Es gäbe keinen ansteckenden Corona-Patienten mehr auf Station - das erste Mal seit Oktober. "Das war schön und für viele auch erleichternd", sagt er. Das Arbeiten sei noch ungewohnt, denn sie müssten nun nicht mehr volle Schutzkleidung anlegen, bevor sie die Patienten versorgen: "Jetzt kann man durch die Tür gehen oder die Tür ist auch mal offen. Das ist ein bisschen seltsam, aber es ist gut seltsam." Auch er freue sich nun auf den Sommer und er hofft, "dass diese enorme Belastungssituation, die wir in den letzten Wochen und Monaten erlebt haben, sich so nicht noch mal wiederholen wird und dass es deutliche Veränderungen im Bereich der Pflege und besonders im Bereich der Intensivpflege nach sich ziehen wird."
Klinikum Bremen Mitte glimpflich durch Pandemie gekommen
"Wenn [eine Pflegekraft] die Entscheidung trifft, dass sie das nicht mehr leisten kann, dann muss man sich immer fragen, wie konnten wir als Gesellschaft, als Politik, als Arbeitgeber nicht genug und rechtzeitig reagieren", sagt Dr. Judith Gal. Sie und ihr Bremer Kollege Prof. Dr. Rolf Dembinski sind ebenfalls davon überzeugt, dass sich grundlegend etwas an der Arbeitssituation in den Kliniken ändern muss. Beide sind froh, dass das Klinikum Bremen Mitte bislang glimpflich durch die Pandemie gekommen ist. "Wir waren nie in einer Situation, dass wir Patienten ablehnen mussten", sagt Gal.
Gerade baut sie die extra eingerichtete Corona-Station zurück. Doch die Ärzte wissen, ohne ausreichend Pflegekräfte kann es nicht funktionieren: "Die Leute bleiben, wenn sie sehen, dass man versucht hat, aus den Fehlern zu lernen und auch effektive Maßnahmen in die Wege bringt, um die Situation wirklich deutlich zu verbessern", ist sich Dembinski sicher. "Man muss viel Geld in die Hand nehmen. Mehr als alle denken!"