Exklusive Einblicke: Intensivstationen am Limit
Laut einer Studie der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg sehen 75 Prozent der Intensivpfleger in Deutschland die Qualität der Patientenversorgung beeinträchtigt.
Dauerhaft hohe Corona-Infektionszahlen und immer weniger Intensivbetten - das bekommen vor allem die Pflegekräfte zu spüren: Es sei nicht nur körperlich, sondern mental sehr anstrengend, erzählt Tobias Ochmann. Er ist seit neun Jahren Intensivpfleger in einer Hamburger Klinik. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen aus Dresden hat er für Panorama 3 seit Mitte Dezember Video-Tagebuch geführt. Das Material zeigt einen unverstellten und schonungslosen Einblick in die Arbeit auf deutschen Intensivstationen mitten im Corona-Winter.
"Ich muss ja da durch, das ist mein Beruf"
Es zeigt, wie sie regelmäßig schwerkranke Patientinnen und Patienten vom Rücken auf den Bauch drehen. Körperliche Höchstleistung, bei der kein Zugang und kein Schlauch verrutschen darf. Hinzu kommt die eigene Isolation: Über Stunden und in voller Schutzausrüstung arbeiten sie in den Patientenzimmer, kümmern sich wochenlang um die Covid-Patienten. Am Ende werden es viele dieser Patienten nicht schaffen: "Ich muss ja da durch, das ist mein Beruf", erzählt die Intensivpflegerin Michaela Strätz aus Dresden, aber sie sagt auch: "Das wird spannend, was es danach aus uns macht, wenn wir wieder in den normalen Alltag kommen. Wenn dieses inhaltliche Adrenalin, was wir permanent haben abfällt, wie wir dann damit umgehen."
Große Anspannung auf der Intensivstation
Auch in Bremen am Klinikum Mitte ist die Anspannung groß. Die Chefärztin der Corona-Notaufnahme Judith Gal und der Leiter der Intensivstation Rolf Dembinski filmen für uns ihren Alltag. Sie sorgen sich um ihre Kapazitäten. "Wie viele Patienten kommen heute? Wie viele kommen morgen, wie viele kommen übermorgen? Das ist etwas, was niemand beantworten kann", sagt Judith Gal. Gleichzeitig müsse das Personal da sein. Prof. Rolf Dembinski fürchtet, "dass alle langsam ermüden, weil sie schon alle am Rande ihrer Möglichkeiten arbeiten. Und je länger sich diese Situation hinzieht auf den Intensivstationen, desto anstrengender wird es. Und am Ende wird es eine Frage sein, wie viele Pflegekräfte das noch über so eine lange Zeit aushalten und durchhalten."
Studie: Corona beeinträchtigt Patientenversorgung
Das belegt auch eine Studie der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Die Studienleiterin Prof. Uta Gaidys hat zusammen mit ihrer Kollegin Anke Begerow die Antworten von über 1.000 Pflegekräften in Deutschland ausgewertet, in denen sie erzählen, was sie in der aktuellen Phase der Pandemie besonders belastet.*
88 Prozent der Befragten sagen, dass sie durch die Corona-Pandemie mehr Arbeit haben als sonst. Daraus resultiert, dass sie die Pflegebedürftigen nicht mehr adäquat versorgen können. Laut Studie geben 71 Prozent der Befragten an, dass sie die Versorgungsqualität der Pflegebedürftigen beeinträchtigt sehen. Bei den Intensivpflegenden sagen 75 Prozent, dass sie ihre Patienten nicht mehr so versorgen können, wie es sein sollte.
Pflegekräfte: Angst vor Infektionen
Auf die Frage, was die Pflegenden am meisten belastet, antworten viele Pflegende, dass sie "Angst vor einer Infektion" haben. 70 Prozent der Befragten geben an, dass sie in einem Konflikt, in einem emotionalen Dilemma sind, zwischen ihrer beruflichen Aufgabe und der Angst sich selbst anzustecken. Bei den Intensivpflegenden sind es 66 Prozent. Denn wann welche Pflegekraft wirklich geimpft werden kann, ist noch nicht abzusehen.
Motivation für den Job geht verloren
Viele Pflegende ärgert sehr, dass ihre Hilferufe "weder vor der Pandemie noch während oder zwischen den zwei Wellen gehört wurden". Zudem, so sagen sie, hätten viele Kollegen gekündigt, "weil sie die Situation nicht mehr ertragen". Das spiegelt sich auch in den Zahlen wider: Denn 17 Prozent der Befragten haben keine Motivation mehr für ihren Job. Das ist jede sechste Pflegekraft. Diese 17 Prozent sind laut Studienleiterin Prof. Uta Gaidys stark gefährdet, komplett aus dem Beruf auszusteigen.*
Auch Tobias Ochmann sagt gegenüber Panorama 3, dass seine Motivation mittlerweile immer weiter nachlässt, "weil auch da die Belastung natürlich immer eine konstant hohe ist und immer im Hinterkopf zu haben, man könnte sich selber eventuell anstecken. Oder man könnte Leute im Umfeld anstecken, die in der Familie, im Haushalt sind. Das ist schon eine dauerhafte Angst, die da immer so ein bisschen mitschwingt."
* Der Text wurde an den entsprechenden Stellen geändert und durch die Namen der für die Studie zuständigen Personen ergänzt.