Immer mehr Intensivstationen überlastet
Rettungsleitstellen sollen auf den ersten Blick erkennen, welche Kliniken freie Kapazitäten haben und Notfallpatienten so möglichst schnell in die Klinik mit der besten Versorgung bringen. Das ist das Ziel des internen Meldesystems namens Ivena. Nun zeigen Recherchen des Magazins Panorama 3, dass sich immer mehr Intensivstationen über lange Zeiträume komplett aus der Notfallversorgung abmelden und damit angeben, dass sie keine freien Kapazitäten mehr haben.
Über einen Zeitraum von vier Monaten analysierte der NDR Millionen von Daten, die zwischen Rettungsleitstellen und Intensivstationen in Bremen und Niedersachsen ausgetauscht werden. Sind Intensivstationen bereits voll ausgelastet, stellen sie sich in dem System auf rot, Rettungswagen sollen Patienten nach Möglichkeit in andere Kliniken bringen. Nach den aktuellen Daten hat sich die Lage auf den Intensivstationen in den letzten eineinhalb Jahren deutlich verschärft.
Die sieben Kliniken der Stadt Bremen zusammengenommen haben demnach eine Abmeldequote für die Intensivstationen von mittlerweile 66 Prozent. Das bedeutet, dass alle Intensivstationen der sieben Kliniken in Bremen in dem erhobenen Zeitraum von vier Monaten 66 Prozent der Auswertungszeit auf rot standen, also abgemeldet waren.
Region Hannover: Abmeldequote hat deutlich zugenommen
Auch in der Region Hannover hat sich die Situation verschlechtert: So lag hier die Abmeldequote für die chirurgischen Intensivbetten bei inzwischen 32 Prozent, im Bereich der internistischen Intensivbetten bei zusammengerechnet 53 Prozent der Gesamtzeit.
In einer vergleichbaren Analyse aus dem Jahr 2018 waren die Zahlen noch niedriger. Für die Intensivstationen in Bremen hatte Panorama 3 damals eine Abmeldequote von knapp 50 Prozent errechnet. In der Region Hannover lag die Abmeldequote für die chirurgischen Intensivstationen im selben Zeitraum bei rund einem Viertel, im Bereich der internistischen Intensivstationen bei zusammengerechnet über 40 Prozent der Gesamtzeit.
Auch die Dauer der einzelnen Abmeldungen hat im Vergleich zu damals deutlich zugenommen. Standen Intensivstationen Ende 2018 längstens zwei bis drei Tage am Stück auf rot, sind es nun bis zu acht Tage am Stück.
Die Engpässe in den Kliniken führen häufig zu einer Kettenreaktion: Mit jeder Station, die sich abmeldet erhöht sich das Patientenaufkommen bei den anderen Kliniken. So meldeten sich in Bremen an mehr als jedem dritten Tag alle Intensivstationen der sieben Kliniken gleichzeitig ab, an elf Tagen länger als acht Stunden. An einem Tag in dem Auswertungszeitraum hatten sich sämtliche Bremer Intensivstationen sogar 20 Stunden lang abgemeldet.
Fahren Rettungswagen Krankenhäuser, die auf rot stehen, dennoch mit Notfällen an, müssen die Kliniken zumindest die Erstversorgung der Patienten übernehmen und dann versuchen sie in andere oft weit entfernte Kliniken zu verlegen.
Grund für Sperrungen: Fehlendes Personal
Ein Grund für die zunehmenden Engpässe ist offenbar die Personalnot. Fehlt Personal, werden Betten dauerhaft gesperrt. Nach Panorama 3 Recherchen können in manchen Krankenhäusern bis zu einem Drittel der vorhandenen Intensivkapazitäten nicht genutzt werden, da die notwendigen Intensivpflegekräfte fehlen. Bettensperrungen in der Intensivmedizin sind nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft ein bundesweites Problem.
Offenbar haben die seit Januar 2019 geltenden Personaluntergrenzen das Problem an einigen Häusern noch verschärft. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft bewertet die neuen Grenzen angesichts von 17.000 unbesetzten Stellen "hoch problematisch". Die Untergrenzen führten dazu, dass "zusätzliche Versorgungskapazitäten abgemeldet werden und Versorgungsengpässe entstehen", sagt Georg Baum, Geschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
Ein Krankenhaus aus Niedersachsen beschreibt die Situation so: "Es kann zu Bettensperrungen kommen und damit zur Abweisung von Patienten. Der Rettungsdienst muss dann lange Fahrtzeiten in aufnahmebereite Krankenhäuser in Kauf nehmen." Die Folgen der angespannten Situation sind neben langen Fahrzeiten auch die Absage von bereits geplanten Operationen, weil Notfälle vorgezogen werden müssen.
Das Bundesgesundheitsministerium weist die Kritik an den Personaluntergrenzen zurück. Diese "stellten ein Mindestmaß dar, um die Sicherheit der Patientinnen und Patienten nicht zu gefährden", heißt es aus dem Ministerium. Die Krankenhäuser seien selber in der Pflicht, "für eine gute eine gute Personalausstattung müssen die Krankenhäuser eigenverantwortlich sorgen. Dazu gehört auch, dass sie organisatorische Spielräume nutzen, bevor Betten stillgelegt oder komplette Stationen geschlossen werden."
Personalnot auf Kinderintensivstationen besonders dramatisch
Die Personalnot zeigt sich auch hier, in Bremen auf der Kinderintensivstation des Klinikums Bremen-Mitte. Um die Kapazitäten der Station voll nutzen zu können, bräuchten sie acht weitere Vollzeitkräfte. Doch der Markt an Pflegekräften ist leer. Dr. Peter Lasch, ärztlicher Leiter der Kinderintensivstation und sein Team müssen mit dem Mangel klarkommen. Das heißt dann Pläne umwerfen, Patienten nach Möglichkeit auf andere Stationen oder Krankenhäuser verlegen oder - im schlimmsten Fall - Patienten abweisen.
"Wir schieben hin und her", sagt er. "Wir hatten zwischenzeitlich das Problem, dass wir die Kinder nicht im Haus verlegen konnten und dann telefonieren wir mit Oldenburg, Hamburg oder Hannover und hoffen, dass wir da Plätze bekommen. Doch da sieht es häufig ähnlich aus", sagt Lasch. Dr. Peter Lasch befürchtet, dass sich die Situation in den nächsten Jahren weiter verschärft und die Frage einer guten medizinischen Versorgung dann mehr und mehr zur Glückssache wird.