Senioren in Sorge: Pflegekosten explodieren
Langsam blättert Arno Helmstädt in seinem Fotobuch. Lebenserinnerungen, die er aufgeschrieben hat, erzählt er. "Ich dachte erst, es werden fünf oder sechs Seiten. Am Ende wurden es 50 Seiten. Der 92-jährige Rentner lebt seit 2012 in einem Pflegeheim in Rostock. Damals habe er das mit seiner Frau gemeinsam beschlossen. "Wir wollten niemandem zur Last fallen und waren auf Pflege angewiesen - und es war die richtige Entscheidung." Ein Jahr später stirbt seine Frau.
Heimkosten steigen stetig an
Mit der Witwenrente und seiner eigenen Rente bekommt Arno Helmstädt 2.318 Euro im Monat. Davon könne er eigentlich sehr gut leben, dachte er. Doch seit seinem Einzug steigen die Heimkosten stetig an. Allein in diesem Jahr erhöhte das Rostocker Pflegeheim gleich zweimal die Heimkosten und damit auch den Eigenanteil, den der Rentner zahlen muss. 2209,22 Euro muss Arno Helmstädt ab September monatlich für seinen Heimplatz zahlen. Mit der nächsten Erhöhung würde ihm nichts mehr übrigbleiben, er müsste Sozialhilfe beantragen. Seine Ersparnisse hat er für die ständig steigenden Heimkosten längst aufgebraucht.
Dass er eines Tages auf staatliche Hilfe angewiesen sein könnte, hätte er nicht für möglich gehalten: "Ich habe ein Leben lang gearbeitet, der Gesellschaft gegeben, was ich konnte. Ich kann glaube ich sagen: die Sozialhilfe ist für mich keine Option."
Kosten in MV um ein Drittel gestiegen
So wie Arno Helmstädt geht es vielen Heimbewohnern in Deutschland. Denn seit Jahren steigen die Heimkosten, aber der Satz der Pflegekasse bleibt gleich. Das heißt, die Mehrkosten tragen die Heimbewohner. Im Durchschnitt muss ein Heimbewohner in Deutschland inzwischen 2.015 Euro im Monat als Eigenanteil bezahlen. In Mecklenburg-Vorpommern beträgt der Anstieg in den vergangenen zwei Jahren knapp 33 Prozent. In den restlichen norddeutschen Bundesländern ist der Anstieg nicht ganz so stark, trotzdem für viele Bewohner nicht zu stemmen.
"System der Pflegefinanzierung völlig überfordert"
Für den Sozialwissenschaftler Professor Dr. Stefan Sell zeigt der Anstieg der Kosten eine dramatische Entwicklung. "Das System der Pflegefinanzierung ist bereits jetzt in einem Zustand, in dem es schlichtweg als völlig überfordert beschrieben werden muss. Vor allem bezogen auf die Pflegebedürftigen, um deren Absicherung es ja geht." Es würden viele in die Sozialhilfe abrutschen, wenn sich grundsätzlich an der Pflegereform nichts ändert.
Bundesweit war bereits 2018 jeder dritte pflegebedürftige Heimbewohner auf Sozialhilfe angewiesen.
Finanzielle Belastung für Kommunen
Und das belastet auch die kommunalen Haushalte. Nils Voderberg vom Sozialamt in Nordwestmecklenburg bestätigt, dass im Bereich der stationären Pflege die Zahlen der Sozialhilfeanträge seit 2008 stetig nach oben gehen. Aktuell mache das aktuell 5,3 Millionen Euro aus. Allein im Landkreis Nordwestmecklenburg. Nicht nur Vorderberg fordert eine Pflegereform.
Gesundheitsminister Jens Spahn wolle noch in diesem Jahr ein tragfähiges Konzept zur künftigen Finanzierung der Pflege vorlegen, so die vage Antwort aus dem Bundesgesundheitsministerium.
Man könnte sich ein Beispiel an Dänemark nehmen, sagt Prof. Stefan Sell: "Dort wird, vereinfacht gesagt, dreimal so viel für die Altenpflege und Altenhilfe ausgegeben wie in Deutschland. Das zeigt mal den gewaltigen Finanzierungsbedarf."