Pflegestufen: Die Fehler von Gutachtern
Thomas Rödel leidet an Diabetes. 2012 verliert er seine beiden Unterschenkel. Seit der Amputation ist er in seinem Alltag auf fremde Hilfe angewiesen. Ohne die Fürsorge seiner Tochter wäre er im täglichen Leben stark eingeschränkt. Jeden Tag sorgt sie für ihn: Aufstehen, Körper waschen, Wohnung putzen, sogar beim Toilettengang hilft sie ihm.
Trotz Amputation kein erhöhter Pflegebedarf
Thomas Rödel hat bei seiner Krankenkasse Pflegeunterstützung beantragt. Die schickte einen Gutachter vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) zu ihm nach Hause, um seine Pflegebedürftigkeit festzustellen. Eine Stunde hatte der Mitarbeiter des MDK für die Beurteilung von Rödels Situation Zeit. Das Fazit seines Gutachtens: Der 53-Jährige habe keinen erhöhten Pflegebedarf.
Nur dreimal Aufstehen pro Woche?
Doch in dem Schriftstück findet der Rollstuhlfahrer Ungereimtheiten. So ist beispielsweise der Ablauf seines Aufstehens und Schlafengehens dokumentiert: "Aufstehen und Zubettgehen dreimal die Woche á eine Minute." Aber natürlich geht Rödel auch an den anderen Tagen in der Woche ins Bett.
Das Gutachten ist offenbar ungenau erstellt worden, entscheidet aber maßgeblich über die Qualität von Thomas Rödels Leben. Dass es solche Fehler aufweist und Grundlage für die Entscheidung ist, dass ihm stehe keine Hilfe zustehe, macht ihn wütend.
Bis zu fünf Gutachten pro Tag und Mitarbeiter
Die Anzahl der Pflegegutachten in Norddeutschland ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Von 286.000 im Jahre 2009 auf 345.000 im vergangenen Jahr. Das ist ein Plus von 20 Prozent in nur fünf Jahren. Der Druck auf die einzelnen Gutachter nimmt zu. Bis zu fünf Pflegegutachten am Tag muss ein Mitarbeiter der MDK schon heute anfertigen. Der MDK hält dies für leistbar.
Viele Gutachten weisen Fehler auf
Christina Riessland hat selbst Gutachten für den MDK geschrieben - als freie Mitarbeiterin auf Honorarbasis. Heute leitet sie einen Pflegedienst. Von ihren Kunden kennt sie viele Gutachten wie das von Herrn Rödel. Für sie ist klar, woran das liegt: Am Zeitdruck, unter dem die Gutachter arbeiten: "Es ist ja ein Unterschied, ob ich mir zwei Stunden Zeit nehmen kann für ein Gutachten", sagt Riessland, "dann ist das was anderes, als wenn ich das in einer Dreiviertelstunde fertig mache. Und das führt dann dazu, dass der Anspruchsberechtigte vielleicht falsch eingestuft wird und eben keine Leistung in der Pflegeversicherung erhält."