Nasse Felder an der Küste: Entwässerung immer schwieriger
Durch Klimawandel und steigende Meeresspiegel droht vielen Weiden und Feldern in Norddeutschland die Überflutung. Nur eine aufwendige künstliche Entwässerung kann helfen. Doch die kostet Milliarden.
Bio-Landwirt Udo Alberts-Tammena geht mit seinem Sohn Marten durch den halboffenen Kuhstall. Von den 100 Kühen hat jede ihren eigenen Namen. "Das hier ist Elke und das hier ist Bettina." Wie die anderen dürfen beide regelmäßig auf die Weide. Sie müssen sogar, denn das Bio-Siegel erfordert Weidehaltung. Und da liegt ein Problem, das viele Landwirte in Norddeutschland mit der Familie Alberts-Tammena teilen und das sich in Zukunft mit dem Klimawandel verschärfen wird.
Denn die Weiden liegen auch für ostfriesische Verhältnisse sehr tief. Der Boden ist feucht und immer wieder steht auch mal Wasser auf ein paar Quadratmetern. Heute ist es für die Kühe zu nass. "Die Trittschäden werden zu groß. Die würden mit fünf Mäulern fressen, das heißt vier Füße und ein Mund", der Schaden für die Grasnarbe wäre zu groß, erklärt Udo Alberts-Tammena: "Diese Weide hier ist an den tiefsten Stellen 1,60 Meter unter Normalnull".
Ein Viertel der Flächen liegt so tief. Seit dem 19. Jahrhundert ist der Hof in Familienbesitz und eigentlich möchte Jungbauer Marten den Betrieb einmal übernehmen, er studiert Agrarwissenschaft in Osnabrück. Doch damit er die Flächen in Zukunft sicher bewirtschaften kann, muss in Norddeutschland eine der größten Infrastruktur-Maßnahmen angegangen werden.
Steigender Meeresspiegel erschwert Entwässerung
Wie überall in Norddeutschland ziehen sich entlang der Felder der Familie Alberts-Tammena Entwässerungsgräben durch die Landschaft. Von hier wird das überschüssige Wasser über ein ausgeklügeltes Pump- und Entwässerungssystem bis nach Emden gepumpt.
Dort steht das Siel- und Schöpfwerk, genannt Knock, des I. Entwässerungsverbands Emden. Hier wird das Wasser zunächst gesammelt. Bei Ebbe - wenn der Wasserstand auf der Meeresseite niedriger ist als im Inland - öffnen sich die großen Tore und das Wasser fließt von Landseite aus ins Meer. "Sielen" nennt sich dieser Vorgang. Reinhard Behrends ist der Obersielrichter des Entwässerungsverbands. Der Ehrenamtler ist für die Entwässerung des Gebietes rund um Emden verantwortlich.
Schon heute steht das Wasser trotz Ebbe immer mal zu hoch - zum Beispiel wenn der Wind das Wasser ins Inland drückt. Mit steigendem Meeresspiegel wird es immer weniger Tage geben, an denen Behrends nur die Tore zum Sielen öffnen muss.
Experten gehen davon aus, dass irgendwann zwischen 2040 und 2060 das Sielen, so wie es im Moment zur Entwässerung genutzt wird, nicht mehr möglich sein wird. Sondern nur noch sehr eingeschränkt. Ab 2070 könnte es dann ganz vorbei sein.
Im Moment kann Behrends das überschüssige Wasser mit Hilfe von Pumpen ins Meer bringen. Doch in Zukunft wird er wohl viel mehr pumpen müssen, vielleicht sogar immer. Und da liegt das nächste Problem: Denn viele der Mündungsschöpfwerke an der Nordsee sind in die Jahre gekommen und müssten dringend an die neuen Herausforderungen angepasst werden. Allein in Niedersachsen wurden nach Recherchen von Panorama 3 fast die Hälfte der Schöpfwerke vor 1970 gebaut.
Milliardeninvestition nötig
Umweltminister Olaf Lies räumt ein, das Problem erst spät erkannt zu haben. "Sagen wir mal, dass wir nicht früh dran sind. Da sind wir uns einig. Aber wir sind noch handlungsfähig". Eine Entwässerung, die auch in Zeiten des Klimawandels funktioniert, wird teuer. Wie teuer, wisse man noch nicht, sagt Lies.
Schleswig-Holstein ist da schon einen Schritt weiter. In einem Bericht der Wasser- und Bodenverbände Schleswig-Holsteins, werden die Kosten für Klimawandelanpassung beim Thema Entwässerung prognostiziert. Dort geht man von 3,6 Milliarden Euro aus. Dabei geht es vor allem um Rohrleitungen und Schöpfwerke. Minister Lies hofft, dass es bis 2025 einen Generalplan Binnenentwässerung gibt. Dann könnte man mit den Planungsverfahren der einzelnen Bauten starten.
Der Jungbauer Marten Alberts-Tammena in Ostfriesland kann nur hoffen, dass seine tiefliegenden Weiden bis dahin nicht feuchter werden, als sie es heute schon sind. "Wenn die immer weiter vernässen, dann ist keine Weidehaltung möglich", sagt er. "Und wir sind ja ein Biobetrieb. Da ist Weidehaltung Pflicht. Wir sind abhängig davon, dass in Zukunft alles weiter funktioniert." Wenn es in 20 bis 30 Jahren keine leistungsfähige Entwässerungsalternative zum Sielen gibt, dann werden Landwirte wie Marten Alberts-Tammena einen Teil ihrer Weiden womöglich nicht mehr nutzen können. Ob er den Betrieb weiter führen kann, wird auch davon abhängen, wie gut sich Norddeutschland auf den Klimawandel vorbereitet.