MV Werften: War das Aus schon lange bekannt?

Stand: 16.02.2022 11:00 Uhr

Die MV Werften und der Gesellschafter Genting sind pleite - trotz Bürgschaften und Krediten. Das Ende war schon 2020 absehbar. Doch Ministerpräsidentin Schwesig verhielt sich so, als hätte der Bau von Kreuzfahrtschiffen in MV Zukunft.

von Stefan Buchen

Die Kreuzfahrt habe eine Zukunft und somit auch der Bau von Kreuzfahrtschiffen. Die Landesregierung werde die durch die Corona-Pandemie in Not geratenen MV Werften unterstützen. Auch künftig würden in Rostock-Warnemünde, Stralsund und Wismar Kreuzfahrtschiffe gebaut. Diese Botschaft verbreiteten Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und ihr SPD-Parteifreund Reinhard Meyer, bis zur Wahl im September Finanz- und seitdem Wirtschaftsminister, bis buchstäblich in die letzten Tage des Jahres 2021. Mit vereinten Kräften werde man die finanziellen Engpässe, die durchaus ernst seien, überwinden.

Die Insolvenz-Kettenreaktion

Dieser Schirm des Optimismus, den Schwesig und ihre Regierung über den Werftenverbund gespannt hatten, klappte im Januar in sich zusammen. Die Zahlungsunfähigkeit der MV Werften ließ sich nicht mehr vertuschen. Das Unternehmen meldete Insolvenz an. Und dann kam es innerhalb weniger Tage zu der Kettenreaktion, die man in der internationalen Wirtschaftssprache "cross default events" nennt. Zunächst meldete der alleinige Gesellschafter der MV Werften, der Glücksspiel- und Kreuzfahrtkonzern Genting aus Hongkong und Malaysia, Insolvenz an. Dann verkündete Gentings Kreuzfahrttochter Dream Cruises, dass sie pleite ist.

Dream Cruises sollte eigentlich das Kreuzfahrtschiff, das sich in der Wismarer Werfthalle in einem effektiven Baustopp befindet, in Betrieb nehmen. Es soll mit einer Kapazität von 9.500 Passagieren und 2.500 Besatzungsmitgliedern das größte Kreuzfahrtschiff der Welt werden. Sein Bau wurde unter dem unbescheidenen Namen "Global One" begonnen. Der vorläufige Insolvenzverwalter der MV Werften Christoph Morgen erklärte Ende Januar 2022, das Megaschiff sei zu "72 Prozent" gebaut. Ob Morgen einen Käufer für das 342 Meter lange Ungetüm findet und ob das Schiff je zu Ende gebaut werden wird, ist ungewiss. Es gebe Kaufinteressenten, sagt Morgen, aber wer das ist, dazu schweigt der Insolvenzverwalter. Bund und Land, die das Unternehmen Kreuzfahrtschiffbau im Nordosten ursprünglich mit Krediten und Bürgschaften in Höhe von 3,7 Milliarden Euro gefördert und im Rahmen der Pandemie mit Notkrediten unterstützt hatten, droht ein Nettoverlust von deutlich mehr als einer Milliarde Euro.

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Keine Aufträge nach der "Global One"

Panorama 3 hatte bereits im Oktober 2020 Anhaltspunkte dafür aufgezählt, dass das Desaster da schon nicht mehr abzuwenden war. Ein vertraulicher Sachstandsbericht des Wirtschaftsministeriums von Mecklenburg-Vorpommern, von dem der Redaktion ein Exemplar zugespielt worden war, deutete daraufhin, dass der Mutterkonzern Genting finanziell ausgelaugt und schon dabei war, sich von seinem grandiosen Schiffbauprogramm an der deutschen Ostseeküste zu verabschieden.

Insolvenzverwalter Christoph Morgen © Screenshot
Nach Einschätzung von Insolvenzverwalter Christoph Morgen verfolgte Genting schon lange ein "Schließungskonzept".

Dass sich das Ende der MV Werten damals schon klar abzeichnete, dafür liefert nun Insolvenzverwalter Christoph Morgen neue Belege. Vor Journalisten erklärte er am 26. Januar in der Werfthalle von Wismar, dass er nach dem Studium der Geschäftsunterlagen den Hergang der Ereignisse während der vergangenen anderthalb Jahre nun besser verstehe. "Und zwar war hier ohnehin beabsichtigt, nach der 'Global One' erst mal die Betriebe zu schließen. Also man hat hier eine solvente Liquidation geplant", so Morgen. Dementsprechend hätten Genting und die MV Werften sich "die letzten anderthalb Jahre auch nicht um neue Aufträge bemüht". Das Unternehmen habe ein "Schließungskonzept" verfolgt.

In der Tat haben die einzelnen Standorte der Werft keine neuen Aufträge. Die Ausführungen des Insolvenzverwalters werfen die Frage auf, ob die politischen Entscheidungsträger die Öffentlichkeit das gesamte Jahr 2021 über hinters Licht geführt haben. Denn sie erweckten beharrlich den Eindruck, dass es Hoffnung gab für die MV Werften. "Wir sind als Land bereit, die MV Werften weiter zu unterstützen," sagte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig etwa am 31.5.2021 im Landtag in Schwerin. "Wir erwarten aber im Gegenzug, dass der Eigner zu den drei Standorten und zu den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern steht. Das hat Genting zugesagt." Eine "Zusage" von Genting, zu den "drei Standorten" Warnemünde, Wismar und Stralsund zu "stehen", widerspricht den vom Insolvenzverwalter mitgeteilten Informationen, wonach Genting da schon längst plante, die MV Werften abzuwickeln. Auf der Nationalen Maritimen Konferenz am 10.5.2021 machte Schwesig, die damals im Wahlkampf stand, den MV Werften mit den Worten Hoffnung, dass auch künftig "Kreuzfahrtschiffe gebraucht" würden.

Was wussten Schwesig und die Landesregierung?

Wussten die Ministerpräsidentin und ihre Regierung nichts von Gentings Schließungskonzept? Oder waren sie informiert und haben der Öffentlichkeit ein Jahr lang die Wahrheit verschwiegen und falsche Hoffnungen geweckt? Beides wäre für eine Landesregierung, die für Kredite in Höhe von mehr als 300 Millionen Euro bürgt und eine Ministerpräsidentin, die im September mit großer Zustimmung wiedergewählt wurde, nicht sonderlich schmeichelhaft.

Wir haben bei den Verantwortlichen angefragt. Die Staatskanzlei von Ministerpräsidentin Schwesig versucht auszuweichen, verweist auf das Wirtschaftsministerium. Ressortchef Meyer lehnt ein Interview zunächst ab, tritt dann jedoch am 14.2.2022 in Wismar vor der Presse auf. Auf der Pressekonferenz bekommt Panorama 3, im Gegensatz zu anderen Medien, keine Gelegenheit, Fragen zu stellen. Wir fragen Minister Meyer nach Ende seines Presseauftritts, ob die Landesregierung wusste, dass Genting schon vor mehr als einem Jahr plante, die Werften nach dem Bau der "Global One" zu schließen. Meyer weicht aus, kündigt eine "schriftliche Antwort" an. Das Wirtschaftsministerium in Schwerin schickt dann auch eine Antwort, allerdings keine auf unsere Frage.

Ministerpräsidentin Schwesig lässt schriftlich mitteilen, dass sie weiterhin an eine Zukunft der Kreuzfahrt und des Baus von Kreuzfahrtschiffen glaube. Für alle Detailfragen sei der Wirtschaftsminister zuständig.

Zulieferer warten auf ihr Geld

Lim Kok Thay, Haupteigentümer von Genting © Screenshot
Ein Casino-Milliardär als vermeintlich verlässlicher Investor: Lim Kok Thay.

Beschönigen lässt sich nun nichts mehr. Politik und Schiffbauindustrie stehen vor einem Scherbenhaufen. Dabei hatte alles so schön angefangen. Der damalige Haupteigentümer und Vorstandsvorsitzende von Genting, der malaysische Milliardär Lim Kok Thay, hatte im August 2018 in Stralsund in Anwesenheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und von Ministerpäsidentin Manuela Schwesig angekündigt, an den drei Standorten jährlich ein Megaschiff und ein kleineres Luxuskreuzfahrtschiff zu bauen. Lim Kok Thay, der mit Casinos reich wurde, wurde als verlässlicher Investor gefeiert, der Gutes tut für Mecklenburg-Vorpommern.

Die vorläufige Bilanz im Februar 2022: Ein unfertiges, schwer verkäufliches Megaschiff in Wismar, ein angefangenes Megaschiff, die "Global II", in das ca. 300 Millionen Euro Kapital geflossen sind und dessen Rohbau seit rund zwei Jahren in Warnemünde eingemottet ist, und das Luxusschiff Crystal Endeavor, das einzige Hochseeschiff, das tatsächlich vom Stapel lief. Getauft hat das schicke Schiff die Ministerpräsidentin vergangenen Juni persönlich. Sie nutzte den Moment, um einen besonders öffentlichkeitswirksamen Hoffnungsschimmer auszustrahlen. Die vorläufig letzte Reise der Crystal Endeavor ging in die Antarktis. Die betuchten Gäste wurden beim Besuch der Pinguine standesgemäß von Klaviermusik begleitet. Der Flügel, aus dem die Töne klangen, wurde in Rostock gebaut. Nach Auskunft des Klavierbauers hat MV Werften seine Rechnung bislang nicht bezahlt.

Andere Zulieferer der MV Werften beklagen ausstehende Rechnungen in Höhe von insgesamt ca. 50 Millionen Euro. Die Crystal Endeavor liegt jetzt im Hafen von Montevideo. Alle weiteren Reisen bis Mai sind abgesagt. Das Luxusschiff soll den Treibstoff nicht mehr bezahlen können. Die Crystal Endeavour ist mit einem Hilfskredit des Bundes über 193 Millionen Euro zu Ende gebaut worden. Selbst das einzige vollendete Hochseeschiff könnte sich für Land und Bund als Minusgeschäft entpuppen. Die Werftarbeiter in Stralsund sind längst in einer Transfergesellschaft. In eine solche sollen nun rund 2.000 weitere Arbeitskräfte überführt werden. Ohne dass die Öffentliche Hand dafür Kosten in zweistelliger Millionenhöhe für die kommenden Monate übernimmt, wird das wohl nicht gehen.

"Corona" als einziger Grund?

"Unverschuldet" seien Genting und die MV Werften in diese Krise geraten, sagen Manuela Schwesig und ihre Minister gebetsmühlenartig. "Corona" habe die Werften in diese Lage gebracht. Höhere Gewalt also. Aber ist das die ganze Wahrheit? War es realistisch, auf ein immerwährendes Wachstum der Kreuzfahrtbranche zu setzen? Kritische Fragen in diese Richtung, die Panorama 3 an die KfW, die deutsche Staatsbank, welche federführend die Kredite für die Schiffe gab, im September 2019 richtete, waren von einer Sprecherin damals sehr selbstbewusst beantwortet worden. Die Nachfrage nach Schiffen und Kreuzfahrtreisen steige. Das sei ein ungebrochener Trend. "Die Gefahr von Überkapazitäten oder gar einer Blasenbildung in der Kreuzschifffahrt schätzen wir demnach als äußerst gering ein." Die Botschaft: Ein Risiko für den Steuerzahler bestehe nicht.

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Den politischen Offenbarungseid leistete bei einer Fragestunde im Bundestag jetzt der neue Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), obwohl dieser den Schlamassel von der Vorgängerregierung bloß "geerbt" hat. Es habe ihn "überrascht", gab Habeck zu Protokoll, dass der Bund die Kreuzschifffahrt mit solch hohen Summen unterstützt habe. Man müsse geradezu von einem "Klumpenrisiko" sprechen. Mit so was habe man schließlich schon mal schlechte Erfahrungen gemacht- eine Anspielung auf das Fiasko der HSH-Nordbank, die sich auf Schiffsfinanzierung spezialisiert hatte. Ja, das habe ihn schon verwundert.

Zweieinhalb Wochen nach seinem Auftritt im Bundestag begab sich Habeck an die mecklenburgische Küste, um sich erstmals persönlich ein Bild von der Lage zu machen. Der Bund sei bereit, stellte der Bundeswirtschaftsminister in Aussicht, mit den anderen Akteuren nach einem tragfähigen Geschäftsmodell für die Werftstandorte zu suchen.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 15.02.2022 | 21:15 Uhr

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