"Wir entwickeln Schutzkonzepte für Frauen und Kinder"
In Hamburg soll es laut der Senatsantwort auf die Anfrage der FDP-Fraktion acht Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern in Flüchtlingsunterkünften gegeben haben. Wie konnte es dazu kommen?
Marcel Schweitzer: Ich kenne die Einzelfälle nicht, kann Ihnen nicht sagen, wie es dazu kommt. Die Begleitumstände sind für uns wichtig, das heißt: Wann offenbaren sich Eltern? Wann haben wir als Staat die Chance zu helfen oder auch zu intervenieren und zum Beispiel den Täter mit unseren Rechtsmitteln zu begegnen? Das ist die spannende Frage für uns: Wie kommen wir sehr viel schneller an die Flüchtlinge ran, denen Leid angetan wurde, damit wir helfen können? Warum und wieso es dazu gekommen ist, ist immer einzelfallabhängig. Das ist tragisch. Das Ergebnis ist immer etwas Furchtbares. Wir müssen daraus lernen und schauen, wie wir noch mehr Menschen dafür sensibilisieren können, damit so etwas überhaupt nicht stattfindet. Damit meine ich nicht nur die Mitarbeiter in den Unterkünften und im Jugendamt etwa, sondern auch die Flüchtlinge selbst.
Was tut Hamburg, um besonders schutzbedürftige Flüchtlinge wie Kinder zu schützen?
Schweitzer: Wir sind schon einen Schritt weiter als zum Beispiel im Herbst letzten Jahres, wo wir Baumärkte oder Hallen einfach über Nacht in Beschlag genommen haben. Da haben wir die alten Baumärkte zum Beispiel mit Waben ausgestattet, so dass es möglich ist, dass sich Kinder oder auch Frauen zurückziehen können. Mittlerweile haben wir eine gute Kooperation mit Plan International, die in ausgesuchten Unterkünften bereits ihr Kinderschutzkonzept zusammen mit den Johannitern umsetzen. Wir sind darüber hinaus mit ihnen im Gespräch, dass sie Multiplikatoren-Schulungen anbieten. Das heißt, nicht nur für diese vier Einrichtungen, in denen Plan International im Moment aktiv ist, sondern auch in allen anderen Unterkünften sensibilisieren.
Wo Kinder sind, schaffen gerade auch Ehrenamtliche Räume, in denen Kinder ausschließlich mit anderen Kindern spielen können. Weil wir das nicht überall haben, bauen wir gerade die Eltern-Kind-Zentren aus. Das heißt, Frauen kommen zusammen mit ihren Kindern raus aus der Unterkunft. Die Kinder können dann in einem besonders geschützten Bereich spielen und die Frauen können andere Sachen mit anderen Frauen zusammen machen, also rauskommen aus der Unterkunft und etwas Normales erleben.
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Rörig, fordert bundeseinheitliche Mindeststandards zum Schutz von Minderjährigen in Flüchtlingsunterkünften. Unterstützt Hamburg seinen Vorstoß?
Schweitzer: Wir entwickeln gegenwärtig Schutzkonzepte für Frauen für Kinder, aber eben auch für andere besonders schutzbedürftige Menschen in Flüchtlingsunterkünften. Das, was wir nicht brauchen können, sind globale Standards - alle müssen alles erfüllen -, das würde der Situation in den einzelnen Kommunen überhaupt nicht gerecht. Es kommt immer darauf an, wie man den Schutz von besonders schutzbedürftigen Menschen im Einzelfall in der jeweiligen Einrichtung gewährleisten kann. Deshalb brauchen wir da die Flexibilisierung. Es muss möglich sein, dass ein Schutzstandard sowohl in einem Baumarkt umgesetzt werden kann, den wir als Flüchtlingsunterkunft nutzen, als auch in einem festen Wohnhaus. Das ist die Herausforderung, der wir uns hier in allen Kommunen Deutschlands stellen.
Das Interview führte Robert Bongen.