Kälte und Corona: Die Not der Obdachlosen

Stand: 09.02.2021 18:12 Uhr

Trotz Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt schlafen viele Obdachlose draußen, schutzlos der Kälte ausgeliefert. Sie haben kein Vertrauen in Hamburgs Sammelnotunterkünfte - und Angst vor Corona.

von Timo Robben, Anne Ruprecht

Es ist früher Abend, die Temperatur an den Hamburger Landungsbrücken liegt knapp über Null Grad, es ist nass. Anni Seemann und Christiane Hartkopf vom Team des Kältebusses sind auf der Suche nach einem Menschen, der hier liegen soll. Sie finden ihn schließlich in einer dunklen Ecke. "Moin, guten Abend. Wir sind vom Kältebus", begrüßen ihn die beiden Frauen. Sie schenken ihm als erstes einen warmen Tee ein. "Die Anruferin, die uns auf ihn aufmerksam gemacht hat, die hatte das schon gesagt, er hat nur eine dünne Decke und er hat auch nur OP-Kleidung an, also so dünne Dinger", sagt Hartkopf. Offenbar wurde er ohne sein Gepäck aus dem Krankenhaus entlassen. In eine Notunterkunft wolle er trotzdem nicht. So können sie ihn nur mit einem Schlafsack und einer Isomatte ausstatten und hoffen, dass er die Nacht übersteht.

"Einfach zusammendrängen und irgendwo zusammenpferchen"

Der Kältebus in Hamburg © NDR Foto: Screenshot
Der Kältebus ist täglich unterwegs, versorgt Obdachlose mit Schlafsäcken und heißen Getränken.

Schon immer ist es schwer, die Obdachlosen in Hamburg dazu zu bewegen, in eine der Sammelunterkünfte der Stadt zu gehen, die im Winter eingerichtet werden. Viele Obdachlose fürchten Streit und Diebstahl bei so vielen Menschen auf engem Raum. Jetzt wo in den Unterkünften auch noch Ansteckungsgefahr durch Corona herrscht, wolle kaum noch jemand mit, so Hartkopf. Ein Obdachloser habe es so beschrieben: "Alle Welt soll sich voneinander fern halten, soll sich zurückziehen. Aber uns Obdachlose darf man einfach so zusammendrängen und irgendwo zusammenpferchen." Auch er möchte liegen bleiben. Wenige Meter von seinem Schlafplatz entfernt treiben kleine Eisschollen die Alster entlang.

Seit Corona ist alles schwerer

Ein obdachloser Menschen in Hamburg © NDR Foto: Screenshot
"Seitdem Corona ist, ist alles schwerer als sonst", erzählt ein Obdachloser, der nicht genannt werden möchte. Und jetzt käme noch bittere Kälte dazu.

Auch tagsüber wird sichtbar: Durch Corona ist das Überleben auf der Straße härter geworden. Viele Innenräume, wo sich obdachlose Menschen sonst ausruhen und aufwärmen konnten, müssen wegen Corona geschlossen bleiben. Davon erzählt uns ein Obdachloser, der vor einer Sparkasse lebt. Seinen Namen möchte er nicht öffentlich machen. "Seitdem Corona ist, ist alles schwerer als sonst. Gerade für uns, die auf der Straße leben, die ihr Geld zusammenkriegen müssen. Ob es für Essen, für Trinken, für Alk oder, oder, oder ist. Jetzt halt durch die Kälte ist es noch extremer." Man sei es ohnehin schon gewohnt, nicht wahrgenommen zu werden. Corona mache das noch schlimmer. Trotzdem steht für ihn fest: In eine Massenunterkunft geht er nicht.

Bereits zwölf Obdachlose sind in diesem Winter gestorben

Bei dem Hamburger Obdachlosenmagazin "Hinz und Kunzt" kritisiert man die Massenunterkünfte der Stadt schon lange. Doch in diesem Winter ist es extrem - das zeigen auch die Zahlen. Zwölf Obdachlose sind inzwischen in Hamburg gestorben. "Man hat im Sommer schon Menschen am Hamburger Hauptbahnhof gesehen, die im eigenen Urin und Kot gelegen haben und da konnte man sich schon vorstellen, was passiert, wenn die Temperaturen kälter werden. Wir dürften es nicht zulassen, dass Menschen auf der Straße sterben", so Karrenbauer. Zusammen mit anderen sozialen Trägern organisiert das Obdachlosenmagazin für viele Menschen eine Einzelunterbringung in Hotels, die momentan ohnehin größtenteils leer stehen. Möglich wurde das durch Spenden - 140 Obdachlose haben so eine Unterkunft beziehen können.

Hamburg setzt trotz anderer Empfehlungen weiter auf Massenunterkünfte

Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde © NDR Foto: Screenshot
Das bestehende Programm sei ausreichend, so die Sozialbehörde und ihr Sprecher Martin Helfrich.

Soziale Einrichtungen wie "Hinz und Kunzt" fordern schon lange von der Stadt während der Pandemie Hotels anzumieten, um die Obdachlosen da unterzubringen. Hamburg setzt jedoch weiter in erster Linie auf die Massenunterkünfte. Das bestehende Programm sei ausreichend, betont die Sozialbehörde seit Wochen. "Grundsätzlich ist es ja so, dass es ein bestehendes Angebot gibt. Der Staat investiert viel Geld da rein, dass sozusagen eine Hilfelandschaft zur Verfügung steht, die jederzeit für ganz unterschiedlichen Bedarfe etwas bereithält", so Martin Helfrich, Sprecher der Behörde. Inzwischen gibt es aber auch eine städtische Unterbringung, in der Menschen auch Einzelzimmer beziehen können - 35 Plätze gibt es hier. Ein ergänzendes Angebot für Menschen, die aufgrund ihrer körperlichen oder psychischen Verfassung nicht in die Sammelunterkünfte gehen könnten.

35 Einzelzimmer stellt die Stadt Hamburg

Anni Seemann und Christiane Hartkopf sind bei ihrer nächsten Station angekommen. Im Hamburger Volkspark soll ein Mensch liegen. Ein Ehepaar kümmert sich schon länger um den Obdachlosen, konnte ihn aber bis jetzt nicht dazu bringen, in die Sammelunterkünfte zu ziehen. Jetzt haben sie es aber geschafft, an eins der begehrten Einzelzimmer der Stadt zu kommen. Das Ehepaar führt die beiden Ehrenamtlichen tief in den Volkspark hinein. Im Unterholz finden sie schließlich einen Mann - spärlich ausgerüstet, durchnässt und frierend. Er hat ein Plane über sich gelegt, um sich vor Nässe und Kälte zu schützen. Sein Name ist Andreas. Allein laufen kann er nicht mehr. Er schafft es nur gestützt zum Kältemobil. Auf die Frage, wie es ihm geht, sagt er. "Erleichtert, ja, wunderbar. Ich habe ja auch erreicht, was ich wollte, ich wollte ja nicht in einen Schlafsaal mit 20 bis 40 Leuten, das ist prima."

Andreas ist der erste und letzte, dem die Helferinnen in dieser Nacht zu einem Einzelzimmer verhelfen können. Die 35 Zimmer, die von der Stadt bereitgestellt wurden, sind damit voll.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 09.02.2021 | 21:15 Uhr

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