Islamisten trotz Haftbefehl auf freiem Fuß
Deutschlandweit sind 351 Haftbefehle gegen Islamisten nicht vollstreckt. Das sind 32 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Das ergab die Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag, die Panorama 3 vorliegt.
Nur einem Teil der gesuchten Islamisten werden Taten mit terroristischem Hintergrund, wie die Bildung einer terroristischen Vereinigung oder die Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat, vorgeworfen. Einem anderen Teil der Gesuchten werden keine politisch motivierten Taten, sondern Delikte wie gefährliche Körperverletzung, Drogenhandel oder Raub zur Last gelegt.
Experten sind besorgt
Die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Deutschen Bundestag, Irene Mihalic, ist dennoch alarmiert: "Wer sich die Anschläge der vergangenen Jahre anschaut, erkennt immer wieder das gleiche Profil bei den Attentätern: Sie sind den Sicherheitsbehörden bekannt und haben einen kleinkriminellen Hintergrund." Als Beispiel nennt Mihalic auch Anis Amri, der im vergangenen Dezember einen Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt verübte: "Der Fall Amri hat gezeigt, dass Kleinkriminelle in anderen Zusammenhängen oft unterschätzt werden. Nach dem Motto: Der plant keinen islamistischen Anschlag, denn der ist im kleinkriminellen Milieu unterwegs."
Auch Ulf Küch vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sieht die Anzahl der nicht vollstreckten Haftbefehle bei den als islamistisch eingestuften Personen kritisch: "Die Erfahrung aus den letzten Jahren zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen islamistischen Terroristen und dem Milieu der Kleinkriminalität. Fast alle waren vorher dort unterwegs. Die Haftbefehle nicht zu vollstrecken ist deswegen fahrlässig."
Gesuchte Personen oft im Ausland
Als Grund für die nicht vollstreckten Haftbefehle geben die Behörden auf Nachfrage von Panorama 3 an, dass sich die gesuchten Personen entweder im Ausland aufhielten oder der Aufenthaltsort unbekannt sei. Wie viele der Gesuchten sich mutmaßlich noch in Deutschland aufhalten ist unklar.
Laut Bundesregierung befinden sich unter den gesuchten Straftätern auch 100 "Gefährder" und sieben sogenannte "relevante Personen" aus dem Umfeld der Gefährder. Dass diese Haftbefehle nicht vollstreckt werden konnten, sei laut Bundesregierung auch hier im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass sich die Personen im Ausland aufhielten. Aus Sicherheitskreisen heißt es dazu: Die Gefährder, gegen die ein Haftbefehl vorliege, hielten sich entweder im Ausland auf oder ihr Aufenthalt sei unbekannt. Es sei davon auszugehen, dass sich der überwiegende Teil der Personen unbekannten Aufenthalts ebenfalls im Ausland aufhält.
"Die Zahl der im Inland befindlichen Personen mag gering sein. Dennoch sehe ich die Sicherheitsbehörden in der Pflicht, diese Personen schnellstmöglich aufzuspüren und sie auch tatsächlich festzunehmen. Alles andere halte ich in der aktuellen Sicherheitslage für unverantwortlich", so Irene Mihalic von den Grünen.