Hochwasser im Norden - Wie sicher ist das Hinterland?

Stand: 28.09.2021 17:26 Uhr

Extremwetterereignisse wie Starkregen werden laut Wissenschaftlern zunehmen und setzen Städte und Gemeinden vor neue Herausforderungen. Was muss passieren, um die Bürger besser zu schützen? Eine Reise durch den Norden.

von Eike Köhler, Jan Körner und Dörte Petsch

Schladen im nördlichen Vorharz am 26. Juli 2017. Die Oker, die hier mitten durch die Stadt fließt, weist den höchsten Pegelstand auf, der hier jemals gemessen wurde. Im Harz, am Oberlauf der Oker, hat es in 48 Stunden knapp 300 Liter Wasser pro Quadratmeter geregnet. Die Wassermassen überfluten Teile von Schladen. Dass es nicht noch schlimmer kommt, ist einer Flutmauer zu verdanken, die auf einer Länge von 300 Metern die Stadt entlang der Oker schützen soll. "Ich habe der Landrätin gesagt, steigt das Wasser noch um fünf Zentimeter, dann müssen wir Katastrophenalarm ausrufen. Dann ist die Mauer überflutet", sagt Andreas Memmert, Bürgermeister der Gemeinde Schladen-Werla.

Hundertjährige Hochwasser - alle paar Jahre

.
Schladens Bürgermeister Andreas Memmert setzt beim Schutz vor Hochwasser auf gemeinsames Handeln mit anderen Gemeinden.

Es war nicht das erste Hochwasser hier, aus dem Grund ließ Andreas Memmert 2010 die Mauer bauen - mit Fördergeldern des Landes Niedersachsen. Gern hätte er die Mauer höher gebaut, doch da stand ihm die Bürokratie im Weg. "Wir haben eine Förderrichtlinie in Niedersachsen, nach der ich nur Fördermittel kriege, wenn ich eine Hochwasserschutzanlage wie für ein 100-jähriges Hochwasser baue", sagt der Bürgermeister.

Das Hundertjährige Hochwasser ist eine statistische Größe, die angibt, dass ein Hochwasser in dieser Stärke durchschnittlich einmal in hundert Jahren vorkommt. Doch genau da liegt das Problem. Denn Andreas Memmert hat so eine Art Hochwasser schon mehrmals erlebt. Flussbegradigungen, fehlende Überflutungsflächen und häufigere Starkregenereignisse als Folge des Klimawandels haben zu der Zunahme der Fluten geführt, so der 59-Jährige.

In die Förderrichtlinie des Landes sind diese Faktoren offenbar noch nicht eingeflossen. Das niedersächsische Umweltministerium räumt ein, man wolle bei der Anpassung schneller werden.

Auch interessant: Storytelling Starkregen
Überflutete historische Wassermühle in Oststeinbek nach dem Hochwasser 2018 © rtn radio tele nord/Peter Wuest Foto: Peter Wuest

Starkregen im Norden: Wenn das Hochwasser kommt

Wie gefährdet ist der Norden durch Regenfälle und wie gut sind die Kommunen gerüstet? Das zeigt unsere Multimedia-Doku in Grafiken und Bildern. mehr

Gemeinsam gegen das Hochwasser

Effektiver Hochwasserschutz ist teuer und geht nicht allein, das hat Andreas Memmert erkannt. Zusammen mit Anrainern hat er die Flussgebietspartnerschaft Nördliches Harzvorland gegründet. 800 Flusskilometer der Flüsse Oker und Innerste werden nun als gemeinsames Projekt betrachtet und Hochwasserschutzmaßnahmen konzipiert. Das Land will 34 Millionen Euro beisteuern, erzählt Memmert. Auch andere Gemeinden in Niedersachsen haben sich inzwischen zu einer Flusspartnerschaft zusammengefunden wie zum Beispiel an der Aller.

Extremereignisse wie Überflutungen durch Starkregen werden in Zukunft zunehmen, da sind sich Klimaforscher einig. Und auch wenn der Norden in großen Teilen eine andere Topografie aufweist als die Eifel oder das Ahrtal, können extreme Regenfälle auch hier zu großen Schäden führen.

Ausziehen, sanieren und neu aufbauen

Patrick Hartwigsen
Patrick Hartwigsen versucht, sein Haus vor wiederkehrendem Starkregen selbst zu schützen. Er wünscht sich mehr Engagement von der Politik.

"Es ist grausam, es bleibt nichts über", sagt Patrick Hartwigsen aus Oststeinbek. Zweimal wurde sein Grundstück in Folge von Starkregen überflutet. Verletzt wurde zum Glück niemand, aber sein Haus, die Möbel - "alles war kaputt", sagt Hartwigsen. Dies hatte Folgen: Der Oststeinbeker musste ausziehen, sanieren und neu aufbauen. Aus Angst fährt er nicht mehr in den Urlaub, "denn es könnte ja regnen", erzählt er. Stattdessen beobachtet Hartwigsen täglich das Wetter auf seiner Wetter-App, damit er im Notfall rechtzeitig sein Schott vor der Einfahrt aufbauen kann. Es soll zumindest den Unrat vom Grundstück fernhalten, der ihm beim vorherigen Hochwasser in den Garten gespült wurde. Er hat es sich extra anfertigen lassen. Zusätzlich hat er eine Mauer um sein Haus gezogen, "wie bei einer Hallig, die Hallig guckt raus, der Rest ist unter Wasser", sagt der Oststeineker. Für die Umbaumaßnahmen hätte er sich einen kleinen Mittelklassewagen kaufen können, fügt er hinzu.

Nicht nur Privatpersonen, auch Städte und Gemeinden werden sich in Zukunft an Veränderungen durch den Klimawandel anpassen müssen. Wir haben alle Landkreise und kreisfreien Städte im Sendegebiet gefragt, ob sie schon Klimaanpassungskonzepte erarbeitet haben. Das ernüchternde Ergebnis: Nur 15 von 71 Kreisen und kreisfreien Städten haben ein solches Konzept, zwei haben auf die Frage nicht geantwortet.

Pilotprojekt Flecken Steyerberg

In Niedersachsen gibt es zwei Pilotprojekte zum Thema Starkregen. Eines davon ist die Gemeinde Flecken Steyerberg. Im Zuge dessen wurden für die Gemeinde Starkregengefahrenkarten erstellt. So kann Bürgermeister Heinz-Jürgen Weber sehen, welche Fläche bei starkem Regen überflutet wird. An einer gefährdeten Stelle steht zurzeit ein Altenheim, "da werden wir uns überlegen müssen, wie wir das Wasser ableiten", sagt Weber. Das Pilotprojekt wird finanziert vom Land Niedersachsen.
In Norddeutschland gibt es laut Panorama 3-Recherche Starkregengefahrenkarten flächendeckend nur in den Bundesländern Hamburg und Bremen. Die Erstellung ist eine kommunale Aufgabe, geben die Bundesländer an, jedoch wollen sie Kommunen bei der Aufgabe künftig unterstützen.

Was müssen Eigentümer selbst leisten?

Generell ist jeder selbst für den Schutz seines Eigentums zuständig. Der sogenannte Hochwasserpass soll dabei helfen, Schwachpunkte zu erkennen und Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Fachleute beraten Eigentümer dabei. Solche Umbaumaßnahmen sind häufig teuer - Förderungen gibt es bisher kaum. Hartwigsen wünscht sich, dass das Thema breiter angegangen wird, auch von den Kommunen oder Bundesländern: "Wir müssen uns noch mehr vorbereiten, mehr tun. Es ist nicht damit getan, dass ich hier ein Schott baue", sagt er.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 28.09.2021 | 21:15 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Umweltschutz

Extremwetter

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?