Energiekrise: Verschleppt Tennet den Netzausbau?
Das niederländische Staatsunternehmen Tennet hat über Jahre hinweg rund eine Milliarde Euro Gewinn aus dem deutschen Stromnetz gezogen - und zugleich kein Eigenkapital in den Ausbau investiert. Der Ausbau des Netzes wurde jahrelang verschleppt. Das zeigen Recherchen von Panorama 3 und dem niederländischen Recherchezentrums "Investico".
Im Windpark von Theo Eilers in Wittmund wird heute richtig viel Strom produziert. Doch er ist trotzdem frustriert. Denn immer wieder werden die Windkraftanlagen des Windmüllers aus Niedersachsen abgeschaltet. "Das kommt immer dann vor, wenn wir so wie heute richtig Wind haben. Gestern hatten wir starken Sturm, also dementsprechend waren alle Anlagen hier im Umfeld abgeregelt. Das heißt, die Anlagen werden einfach auf null Leistung gestellt und in dem Sinne haben wir also praktisch keine Stromproduktion mehr", sagt Eilers. "Jetzt gehen rund 25 Prozent der eigentlich möglichen Leistung verloren."
Verantwortlich dafür ist auch das niederländische Staatsunternehmen Tennet. Tennet ist der größter Netzbetreiber in Deutschland. Vor gut 13 Jahren hat der Netzbetreiber das Netz von E.ON für 1,1 Milliarden Euro gekauft. Doch der für die Energiewende dringend notwendige Ausbau des Netzes wurde jahrelang verschleppt. Welche Rolle dabei Deutschlands Nachbar die Niederlande spielen, zeigen gemeinsame Recherchen von Panorama 3 und des niederländischen Recherchezentrums "Investico".
"Einfach nur Geld abgezogen und nicht ausreichend investiert"
Demnach haben die Niederlande als Eigentümer des Netzbetreibers Tennet durch Dividenden rund 1 Milliarde Euro an der Infrastruktur verdient - zugleich aber keinen Cent Eigenkapital in den Ausbau des deutschen Netzes investiert. Insider aus dem Tennet-Umfeld bestätigen den Kapitalmangel des Unternehmens. Sie wollen anonym bleiben, um sich zu schützen. Es sei auffällig, dass Tennet im Vergleich zu den anderen Netzbetreibern weniger bereit war zu investieren, erzählt ein Energieberater: "Tennet hat immer versucht, neue innovative Wege zu finden, wie sie das Netz mit möglichst geringen Kosten funktional halten können."
Auch die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung kritisiert das Verhalten der Niederlande: "Es wurde einfach nur Geld abgezogen und nicht ausreichend investiert." Das sei besonders im Vergleich mit den anderen Netzbetreibern in Deutschland auffällig. Die Folge: Der Netzausbau stockt extrem. Eine Auswertung der Netzausbaupläne durch Panorama 3 und Investico zeigt: Von seinen bis 2022 geplanten Ausbauprojekten in Deutschland hat Tennet nur ein Fünftel tatsächlich umgesetzt. Finanziert wurde dieser Ausbau mit Fremdkapital.
Deutschen Bürokratie Grund für den schleppenden Ausbau?
Der Tennet-Geschäftsführer Tim Meyerjürgens sieht den Grund für den schleppenden Ausbau in der deutschen Bürokratie. "Im Wesentlichen liegt es an den Planungs- und Genehmigungsverfahren in Deutschland, die unheimlich komplex sind", sagt er. Allein die Unterlagen für die Südlink-Stromtrasse - das vielfach verzögerte Großprojekt, das den norddeutschen Windstrom zum industriestarken Süden bringen soll - umfassten mittlerweile 10 Millionen Blatt Papier, so Meyerjürgens.
Doch auch er räumt ein: Es sei "politisch durchaus anspruchsvoll" zu erklären, warum Niederländerinnen und Niederländer für den Netzausbau in Deutschland aufkommen müssten. Schriftlich ergänzt Tennet, es sei ihnen vom ersten Tag an klar gewesen, "dass der niederländische Staat nicht die Kapitalanforderungen von Tennet erfüllen würde". Probleme habe das aber keine verursacht.
Auch für die Energieökonomin Claudia Kemfert ist klar: Die niederländische Politik habe einen starken Rechtfertigungsdruck gegenüber den eigenen Bürgerinnen und Bürgern, wenn sie in Deutschland investierten. "Das wäre dann ja Geld gewesen, was man auch in den Niederlanden hätte investieren können", sagt Kemfert.
Für Windmüller Theo Eilers ist all dies sehr ärgerlich, sagt er, er produziere mit Leidenschaft erneuerbare Energie, "aber wir haben keinen Zugriff auf die Netzbetreiber." Er könne natürlich politische Forderungen stellen, aber ausbauen muss es eben der Betreiber.
Verkaufsgespräche zwischen Deutschland und den Niederlanden
Tennet sagt, dass rund 15 Milliarden Euro Eigenkapital nötig wären, um den deutschen Netzausbau zu stemmen - Kapital, das die Niederlande nicht zur Verfügung stellen wollen. Vor diesem Hintergrund verhandelt die deutsche Bundesregierung nun mit den Niederlanden darüber, ihnen das Tennet-Netz abzukaufen. Es sei"ein erheblicher weiterer Netzausbau (…) erforderlich", teilt das zuständige Bundeswirtschaftsministerium mit. Zu Details könne man sich aufgrund der laufenden Verhandlungen nicht äußern. Auch das in den Niederlanden zuständige Finanzministerium will sich nicht äußern.
"Dass man kritische Infrastruktur in die Hände der Niederlande gibt, war ein großer Fehler", ist Claudia Kemfert überzeugt. Ein Fehler, der jetzt teuer bezahlt werden dürfte: Der Kaufpreis des TenneT-Netzes dürfte nach Schätzungen bis zu 25 Milliarden Euro betragen - und dann ist noch kein einziger Cent in den Ausbau geflossen.