Das verbuddelte Erbe der DDR: Marode Wasserrohre in MV
Im Boden von Mecklenburg-Vorpommern liegen mehr als 7.000 Kilometer Rohrleitungen. Sie wurden zu DDR-Zeiten gelegt, um einerseits große Gebiete zu entwässern und landwirtschaftlich nutzbar zu machen und um andererseits Bäche unter die Erde zu verlegen, damit sie einer Bebauung nicht im Wege standen.
Was einst als Errungenschaft galt, wird zunehmend zum Problem: Etliche Leitungen sind marode geworden und müssten dringend saniert werden. Dabei erfordern die Klimakrise und Naturschutzvorgaben eigentlich ein komplettes Umdenken. Was tun mit dem Erbe der DDR?
Landwirtschaftliche Nutzbarmachung großer Flächen
Lägen alle unterirdischen Rohre in Mecklenburg-Vorpommern hintereinander, könnte das Wasser von Rostock bis nach Peking fließen. Filmaufnahmen der "Aktuellen Kamera" in schwarz-weiß feiern im Jahr 1969, wie Arbeiter Rohr für Rohr in den Boden treiben und die landwirtschaftliche Produktivität der DDR mithilfe der sogenannten Melioration um bis zu "20 Dezitonnen Getreideeinheiten pro Hektar" steigern, wie es in dem Bericht heißt. Das Ziel war noch die letzten Mulden und Senken landwirtschaftlich nutzbar zu machen. Dafür wurden Gräben zugeschüttet, Moore entwässert und Bäche verlegt.
Rohre teilweise alt und brüchig
Doch der technische Fortschritt von damals zeichnet Martin Schmid vom Wasser- und Bodenverband untere Warnow-Küste heute Sorgenfalten ins Gesicht. In Gummistiefeln steht Schmid auf einem Feld in der Nähe des Ortes Sagerheide und blickt auf einen etwa einen Hektar großen See.
Wo eigentlich Gerste wachsen sollte, steht nun kniehoch Wasser. In der Mitte lugt gerade noch der Deckel eines Betonschachtes aus dem Wasser. Irgendwo unter diesem Schacht muss das Entwässerungsrohr kaputt sein. Es läuft vom angrenzenden Wald in Richtung der nächsten Ortschaft. Etwa drei Meter tief liegt das Rohr im Boden und wird gespeist von weiteren Drainagerohren, die die große Fläche entwässern sollen. Gäbe es sie nicht, stünde das Feld um diese Jahreszeit häufig unter Wasser.
"Es ist eine vergessene Infrastruktur"
Die Wasser und Bodenverbände sind verantwortlich dafür, dass Rohre wie dieses funktionieren. Ihre Mitglieder wie Gemeinden und Grundstücksbesitzer wie Landwirte bezahlen dafür Beiträge. Doch immer häufiger fallen Reparaturen an. "Die meisten der Anlagen stammen aus den 1960er und 70er Jahren", sagt Heike Gieler, die Geschäftsführerin vom Wasser- und Bodenverband untere Warnow-Küste. Der Sanierungsbedarf beläuft sich inzwischen auf schätzungsweise 1,4 Milliarden Euro. "Es ist eine vergessene Infrastruktur", sagt Heike Gieler.
Wer soll die Sanierung der Rohre bezahlen?
Etwa die Hälfte der mehr als 7.000 Kilometer Rohrleitungen in Mecklenburg-Vorpommern weist deutliche Schäden auf, die saniert werden müssten - das geht aus einem Bericht für den Landwirtschaftsausschuss im Landtag aus dem Jahre 2020 hervor. Doch wer soll das bezahlen? Die Wasser- und Bodenverbände sind eigentlich für Reparaturen zuständig und finanzieren sich aus Mitgliedsbeiträgen. Müssen Rohre komplett erneuert werden, ist das wiederum Aufgabe der Kommunen. Wo läuft die Grenze zwischen Reparatur und Erneuerung in so einer Lage?
Probleme mit den EU-Richtlinien
Und es gibt noch ein Problem: Viele der Gewässer dürften nach EU-Vorgaben gar nicht mehr durch Rohre laufen. Etwas vereinfacht gesagt müssten zumindest die Gewässer, die früher mal ein Bach waren, möglichst wieder geöffnet werden, das fordert die Wasserrahmenrichtlinie - das heißt Rohre rausnehmen und einen offenen Graben anlegen. "In einem Rohr ist kein Lebensraum", sagt Mareike Herrmann vom BUND Mecklenburg-Vorpommern. In einem Graben hingegen könnten sich wertvolle Pflanzen entwickeln und Tiere ansiedeln. Auch in Hinblick auf die Klimakrise und zu erwartende Starkregenereignisse böte ein offener Graben Vorteile: das Wasser könne sich ausbreiten und langsam ablaufen, ein Rohr läuft einfach über. Zudem hielte ein Graben in Dürrezeiten das kostbare Wasser in der Fläche.
Klingt plausibel, doch in der Umsetzung hakt es. In der Vergangenheit wurde auf natürliche Bachläufe wenig Rücksicht genommen. Wie in dem Rostocker Speckgürtel Diedrichshagen. Hier musste der Diedrichshäger Bach immer wieder dem Wunsch nach Bebauung weichen. Mit dem Resultat, dass er vor dem Ort offen verläuft, dann in ein Rohr geführt wird und im Zickzack mehrere hundert Meter unter Grundstücken und Straßen verläuft, bis er nach der Bebauung wieder offen fließt. Die Stadt Rostock schreibt, die Verrohrung reiche weit in die DDR-Zeit zurück. Der Zustand des Baches sei aufgrund der Verrohrung "unbefriedigend". "Eine Öffnung wäre hier nicht möglich“, sagt Wasser-und-Boden-Experte Schmid.
Öffnung nicht immer möglich
Auch auf den Feldern ist eine Öffnung nicht immer möglich. Manchmal liegt ein Rohr zu tief oder der Boden lässt es nicht zu. Zudem trifft die Idee, dass künftig Gräben ihre Felder durchziehen, bei manchen Landwirten auf wenig Begeisterung. "Wir befürchten den Verlust unserer Fläche", sagt Landwirt Thorsten von Hollen. Er ist selbst im Vorstand des Wasser- und Bodenverbandes. Ein offenes Gewässer zöge auch striktere Vorgaben für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nach sich. Zudem sei eine kleinere Fläche schwerer mit großen Maschinen zu befahren.
Problem seit 17 Jahren bekannt
Mittlerweile ist das Problem auch im Landwirtschaftsministerium angekommen. In einem Bericht aus dem Jahr 2005 wurde dem Ministerium bereits der schlechte Zustand der verrohrten Systeme in Mecklenburg-Vorpommern geschildert. Dass in der Zwischenzeit nur wenig zur Lösung passiert sei, weist Minister Till Backhaus von sich. Zunächst stünden die Kommunen in der Verantwortung. Trotzdem habe sein Ministerium nun ein Förderprogramm aufgelegt, über das auch Rohre saniert werden könnten. Die Hälfte der Kosten würde übernommen, die andere Hälfte sollen die Kommunen tragen.
Es müsse nur noch die EU zustimmen. Für eine potentielle Renaturierung, also dem Ersetzten von Rohren zugunsten eines offenen Baches hat das Landwirtschaftsministerium etwa 380 Kilometer identifiziert. Die müssten aufgrund von EU-Vorgaben bis spätestens 2027 in einen naturnahen Zustand zurückversetzt werden. "Das werden wir aber auf keinen Fall schaffen", räumt Landwirtschaftsminister Backhaus ein. Für die anderen rund 6.600 Kilometer verrohrter Gewässer müssen erst einmal Konzepte erarbeitet werden, "daran arbeiten wir", sagt Backhaus.