Behindertenwerkstätten als Sackgasse?
Steven Winters packt Kartons aus. Seit heute wohnt der gebürtige Sylter wieder in Westerland, in einer inklusiven Wohngruppe. Denn der 21-Jährige hat ein Handicap. Auch wenn man es ihm auf den ersten Blick nicht ansieht, er leidet unter einer schweren Form der Epilepsie. Er ist dadurch entwicklungsverzögert. Manche Zusammenhänge versteht der junge Mann einfach nicht gleich. In seinem Schwerbehindertenausweis steht: 90-prozentige Behinderung. Die Entscheidung für den Umzug hier nach Sylt hat er bewusst getroffen. "Ich bin aus beruflichen Gründen nach Sylt gezogen", erzählt er Panorama 3. "In Eckernförde habe ich leider nichts mehr gefunden. Da konnte ich mich nicht mehr weiterentwickeln. Ich wurde dort nicht mehr gefördert."
Die Eckernförder Werkstätten sehen das anders. Ihrer Meinung nach brauche Steven Winters noch Zeit, Erfahrungen aufzubauen und Fähigkeiten zu entwickeln. Gemeinsam mit Steven Winters sei ein Prozess angestoßen worden, bei dem er lerne, seine persönlichen Einschränkungen anzunehmen.
Hürden auf dem Weg zum selbstbestimmten Leben
Dennoch hat Steven Winters die Behindertenwerkstatt gewechselt. In den Eckernförder Werkstätten war er offenbar ein Leistungsträger. Die Werkstätten betreiben in einem Krankenhaus ein Café. Dort hat er Kunden Kaffee und Kuchen verkauft. In einem sogenannten Außenarbeitsplatz. Als Mitarbeiter der Werkstätten.
Doch Steven Winters will beruflich weiterkommen. Er möchte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten. Auch wenn seine gesundheitlichen Einschränkungen vielleicht keine Vollzeitstelle möglich machen - er möchte selbstbestimmter leben. In Eckernförde fühlte er sich nicht mehr unterstützt in diesem Vorhaben. Die Sylter Werkstätten haben den Ruf, regelmäßig Arbeitskräfte auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln. Dabei teilen die Sylter ein Problem mit allen anderen Behindertenwerkstätten: Sie sollen ihre Leistungsträger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bringen. Einerseits. Andererseits machen sie mit genau diesen Leistungsträgern große Teile ihres Umsatzes als Unternehmen.
Eintritt in den allgemeinen Arbeitsmarkt schwierig
Michael Pade ist Betriebsleiter auf Sylt. Er weiß, dass viele Werkstätten ihre Leistungsträger nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermitteln. "Es gibt schon Werkstätten, die im Produktionsbereich so aufgestellt sind, dass sie sich ein bisschen schwer tun, Menschen nach außen zu vermitteln", so Pade. "Und es gibt andere, die richtig Lust drauf haben. Wir gehören übrigens zu denen, die Lust drauf haben."
Dass die Leistungsträger es in den Werkstätten oft schwer haben, weiß Sigrid Arnade. Sie sitzt für die Interessenvertretung "Selbstbestimmt Leben" im Deutschen Behindertenrat. "Es gibt den Spruch: In einer Werkstatt gibt es eine Eingangstür, aber keine Ausgangstür", weiß Arnade. "In Werkstätten sollen Menschen fit gemacht werden, die momentan nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können. Aber dieser Aufgabe kommen die Werkstätten nicht nach."
Exklusion statt Inklusion?
Dabei werden Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderungen einstellen, vom Bund finanziell unterstützt. So regelt es das Bundesteilhabegesetz. Doch aktuell liegt die Wahrscheinlichkeit, es aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen, bei unter einem Prozent.
Warum ist das so? Wir fragen nach beim zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Es antwortet uns schriftlich, dass die geringen Übergangszahlen auch darauf zurückzuführen seien, dass keine ausreichenden Übergangsinstrumente zur Verfügung gestanden hätten. Vom Bundesteilhabegesetz erwarte man sich nun positive Effekte.
Kritik von den Vereinten Nationen
Doch Kritik an den Werkstätten kommt auch noch von ganz anderer Seite - von der UNO. Die bemängelte bereits 2015, dass Deutschland die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen nicht richtig umgesetzt habe. In einem Bericht heißt es, dass Werkstätten weder auf den Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten noch diesen Übergang fördern würden. Außerdem wird empfohlen, die Werkstätten schrittweise ganz abzuschaffen.
Das sieht das zuständige Bundesministerium etwas anders. Es schreibt Panorama 3 dazu, dass die Beschäftigungsform der Werkstätten für behinderte Menschen neben anderen Formen auch in Zukunft notwendig sei. Für Menschen wie Steven Winters kann das allerdings bedeuten: Exklusion statt Inklusion. Zumindest, wenn sich die Behindertenwerkstätten nicht ausreichend kümmern, ihre Leistungsträger auf den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Winters hat dieses Problem mit einem Wechsel zu einer anderen Behindertenwerkstatt gelöst.