Rollstuhlfahrer: Wie der Staat Behinderte arm hält
Nancy Poser hat im Job viel erreicht. Sie ist Richterin am Amtsgericht in Trier. Eine Überfliegerin nennen sie viele. Jura-Prädikatsexamen, 1,0 im Abitur. Jedem anderen stünde damit eine tolle Karriere bevor. Bei Nancy Poser ist das anders: Denn die Richterin hat Muskelschwäche, braucht 24 Stunden am Tag Hilfe. Doch diese Assistenz im Alltag muss sie quasi selbst bezahlen. Ihr Richtergehalt wird dafür herangezogen. Nur etwas mehr als ein Sozialhilfeempfänger darf sie behalten.
Auch darf sie kein Geld ansparen oder erben. Sobald sie mehr als 2.600 Euro auf dem Konto hat, wird ihr das abgezogen und für die krankheitsbedingte Hilfe verwendet. "Was mich am meisten stört ist, egal was ich im Leben mache, egal wie sehr ich mich anstrenge, ich werde nicht die Chancen haben, die ein anderer Mensch hat", sagt Nancy Poser. Obwohl sie also einen guten Job hat, wird sie nie Geld zurücklegen können für große Ausgaben wie etwa eine Kreuzfahrt, Reparaturen an der Wohnung oder für die Altersvorsorge.
Nie mehr als ein Sozialhilfeempfänger
Auch Constantin Grosch ist auf eine Assistenz angewiesen. Er hat Muskelschwäche, weder Beine noch Arme haben viel Kraft. Seit er zwölf Jahre alt, ist sitzt er im Rollstuhl. Mit viel Hartnäckigkeit hat er sich bis zum Jurastudium durchgekämpft. Aber manchmal fragt er sich, wofür er eigentlich studiert, denn auch er wird viel mehr als ein Sozialhilfeempfänger nie behalten dürfen. Noch ungerechter findet er allerdings, dass diese Regelung auch sein Beziehungsleben beeinflussen wird.
Denn sobald er mit einer Partnerin auch nur zusammenwohnt, wird auch ihr Einkommen und Vermögen herangezogen. Nur 600 Euro dürfte sie auf dem Konto haben. Der Rest würde für die Assistenz von Constantin Grosch abgezogen werden. "Es ist schon schwierig genug, als behinderter Mensch einen Partner zu finden, aber wer sollte sich dann auch noch darauf einlassen, immer auf Sozialhilfeniveau zu leben - egal wie man sich anstrengt".
Deutsche Regel widerspricht UN-Konvention
Rechtsexperten gehen davon aus, dass diese Regelung der seit vier Jahren in Deutschland geltenden UN-Behindertenrechtskonvention widerspricht. "Der Staat hat sich verpflichtet Menschen mit Behinderung tatsächlich gleichzustellen", sagt Prof. Franz Josef Düwell, Vorsitzender Richter a.D. am Bundesarbeitsgericht. "Menschen mit Behinderung müssen ermutigt werden zu arbeiten. Durch diese Regelung werden sie entmutigt."
Keine Details einer neuen Regelung
Immer wieder wurde über eine Änderung des Gesetzes diskutiert. Schon 1973 versprach die CDU, die Ungerechtigkeit zu beseitigen. 2001 machte sie nochmals einen Gesetzesantrag. Doch immer, wenn die CDU in der Regierung war, tat sie nichts, ebenso wie die SPD. Und auch jetzt weicht das zuständige Bundessozialministerium einer konkreten Frage aus. Es werde zwar ein neues Gesetz geben, ob sich allerdings für die Betroffenen an der Finanzierung etwas ändert, bleibt unbeantwortet. "Ich bitte um Verständnis, dass Details einer künftigen Regelung heute noch nicht absehbar sind", heißt es vom Bundessozialministerium gegenüber Panorama.
Constantin Grosch hat eine Petition eingereicht, damit das Gesetz geändert wird. Seine Hoffnung war, dass die Parteien sich im Koalitionsvertrag schon festlegen. In einem Vorentwurf war noch von einer Änderung bei der Finanzierung der Assistenz die Rede. Doch in der letzten Fassung des Vertrages nicht mehr. "Mal wieder finden sich hier nur schöne Worte und schwammige Ankündigungen. Nach all der Erfahrung bin ich skeptisch, dass sich hier was zum Besseren ändert", meint Nancy Poser.