Abgezockt: Geschäft mit Flüchtlingen aus der Ukraine
Zehntausende Menschen aus der Ukraine suchen in Deutschland eine sichere Bleibe. Doch geschäftstüchtige Immobilienunternehmer nutzen das offenbar aus, um kräftig Kasse zu machen. Reporter von Panorama 3 sind einem besonders dreisten Fall im Landkreis Aurich nachgegangen.
Flüchtlingshelfer wollen uns etwas zeigen. Schon beim Betreten des Hauses in der Stadt Norden wird klar: Hier hat vermutlich schon länger niemand mehr gewohnt. Es riecht muffig, es gibt Stockflecken an vergilbten Tapeten, ein Elektrokabel ragt ohne Isolation aus der Wand und große Risse zieren den Flur. Es wirkt alles so, als ob sich schon länger niemand mehr für dieses Gebäude interessiert hätte. Doch jetzt leben hier neun Geflüchtete aus der Ukraine, vier Frauen und fünf Kinder. Zeitweise sollen es sogar 17 gewesen sein. Alle müssen sich ein Bad und eine Küche teilen. Zu den Zimmern im zweiten Stock führt eine schmale, steile Holztreppe mit einem wackeligen Geländer. Der Belag auf den Treppenstufen löst sich ab, einzelne Fetzen hängen herunter. In den Zimmern stehen einfache Metallbetten mit fleckigen alten Matratzen.
Viele teure Mietverträge
Warum sie ausgerechnet hier gelandet sind, können uns die Frauen nicht beantworten. Sie seien an einer Tankstelle in Oldenburg von einem großen in einen kleinen Bus umgestiegen und dann hierher nach Norden gebracht worden. Sie hätten dann spazieren gehen müssen, weil die Wohnung noch nicht hergerichtet gewesen sei. Dann sei irgendwann jemand mit den Mietverträgen aufgetaucht. Insgesamt vier hätten sie unterschreiben müssen, Kopien habe man ihnen nicht ausgehändigt. Doch es gibt Handy-Fotos von zwei Verträgen. Die Miete für eine Frau und ihre vier Kinder in drei Zimmern beträgt fast 1.000 Euro. Der andere Vertrag berechnet für eine Person in einem Zimmer knapp über 500 Euro. Mit den anderen zwei Verträgen zusammen will der Vermieter hier offenbar rund 2.600 Euro kassieren. Es sind noch Zimmer mit Metallbetten frei.
Immobilienunternehmer lange im Geschäft mit Flüchtlingen
Die Adresse in den Mietverträgen führt zu dem Immobilienunternehmer Wilke Saathoff aus Leezdorf. Der ist schon lange im Geschäft mit Unterkünften für Geflüchtete. Und immer wieder gab es Kritik. Burghard Eggert von der Flüchtlingshilfe Norden kennt Saathoff seit Mitte der 1990er Jahre. Der vermiete immer wieder "Immobilien am unteren Ende der Skala" und halte sich dabei nicht an gängige Standards, sagt Eggert.
Gerne hätten wir mit Saathoff darüber sowie die Situation in dem Haus, die vielen Mietverträge und die hohen Mieten gesprochen. Doch anstatt eines Interviews bekommen wir "ein Haus- und Betretungsverbot" für seine Liegenschaften und er untersagt uns das Filmen und Fotografieren. Er teilt uns allerdings mit, die Menschen seien "aufgrund eigener Motivation oder Empfehlung Dritter kurzfristig angereist". Der Immobilienunternehmer suggeriert also, er sorge gar nicht selbst für die Belegung seinen Wohnungen mit Flüchtlingen. Weitere Fragen beantwortet er uns nicht.
Der Landkreis weiß bis zum 13. April 2022 von 66 Menschen aus der Ukraine, die in Wohnungen von Saathoff untergekommen sind. Mietzahlungen habe der Kreis bis zu diesem Zeitpunkt nicht übernommen. Diese würden erst nach Vorlage der Mietverträge und Überprüfung der Wohnungen erfolgen. Unhaltbare Zustände will der Landkreis nach einer Überprüfung der Wohnung in Norden nicht sehen. Auch der Bürgermeister der Stadt Norden teilt uns mit: Man sehe keine Gefährdung der Bewohnerinnen.
Massive Kritik an der Unterbringung
Landarzt Reiner Albers aus Dornum sieht das anders. Er wurde von Flüchtlingshelferinnen in das Saathoff-Haus in Norden gerufen. Eine achtköpfige Familie litt tagelang unter schwerem Brechdurchfall, ohne medizinische Betreuung. Noch während der Behandlung holt der die Familie aus dem Haus. "So kann man keine Menschen unterbringen, tut mir leid, das ist menschenunwürdig", kritisiert der Allgemeinmediziner die Zustände im Haus.
Mittlerweile wohnt die Familie zusammen mit anderen Geflüchteten in einem ehemaligen Hotel, das Albers gehört. Auch er bekommt Geld für die Unterbringung und die Hilfe bei Problemen der Geflüchteten: Zehn Euro am Tag pro Person. Und das läuft gut in dem ehemaligen Hotel, davon konnten wir uns überzeugen. Der Landkreis sollte, wenn es um Wohnungen für Geflüchtete geht, vielleicht genauer hinschauen.