Kampf ums Auto: Scheitert die Verkehrswende? (Manuskript)
Panorama v. 07.12.2023
Anmoderation Anja Reschke: "Wer viel in Städten unterwegs ist, dürfte eigentlich keinen Zweifel mehr haben, dass es so nicht weitergehen kann. Dass wir eine Verkehrswende brauchen. Mal abgesehen von Klimazielen und Luftverschmutzung ist einfach zu wenig Platz da. Wer Auto fährt, steht im Stau, findet keinen Parkplatz und überall drängeln sich Radfahrer durch. Man muss höllisch aufpassen, niemand zu übersehen, jetzt in der dunklen Winterzeit nochmal mehr. Radfahren ist aber auch nicht besonders lustig, Radwege sind zugeparkt oder nicht vorhanden, man wird leicht übersehen und oft Opfer von aggressivem Verhalten. Szenen wie diese kennt vermutlich jeder, der regelmäßig in der Stadt unterwegs ist. So kann es eigentlich nicht weitergehen. Aber Verkehrspolitiker, die etwas ändern wollen, stoßen auf massiven Widerstand. Wie kann das sein? Johannes Edelhoff, Lennart Richter und Brid Roesner."
Im Sommer schien Belit Onay noch auf Erfolgskurs. Anerkennung kommt aus ganz Deutschland. Denn Hannovers grüner Oberbürgermeister will die Stadt bis 2030 so gut wie autofrei machen. Keine zugeparkten Straßen mehr. Dafür mehr Platz, weniger Lärm und bessere Luft. Viele in Hannover hatten ihn dafür gewählt. Jetzt der erste Test.
O-Ton Bürger: "Und für mich ist das eine Entmündigung des Bürgers. Die ganze Aktion und dass den Leuten Vorschriften gemacht werden."
Schnell wird es grundsätzlich.
O-Töne Bürger: "Wir haben hier eine funktionierende Nachbarschaft und wir brauchen diese Kirmesveranstaltung hier nicht. Brot und Spiele ist das für mich. Das Argument haben Sie schon einmal vor Kurzem in einem Brief gehört."
Belit Onay, B90/Grüne, Oberbürgermeister Hannover: "Sie werden sich denken können, nicht alle sind Ihrer Meinung. Auch hier in der Nachbarschacht nicht. Es haben mich viele Menschen kontaktiert. Lassen Sie das mal auf sich wirken. Ich würde mich freuen, wenn Sie auch die weiteren Diskussionen begleiten."
Bürger: "Es wird sich viel ändern. Ja, hundertprozentig. Aber ich befürchte, da werden Sie von betroffen sein. Da wird Rot-Grün nicht mehr da sein. Das hoffe ich!"
Es gibt durchaus gute Argumente für Onays Projekt, aber: viele Autofahrer fühlen sich bedroht. Andere Parteien wollen das nutzen.
O-Ton Knut Gerschau, FDP-Bundestagsabgeordneter: "Ich möchte schon einmal meinen Unmut äußern, darüber dass das Auto in dieser Diskussion per se immer mehr geächtet wird. Es wird ein regelrechter Autohass aufgebaut und ich bin da nicht mit einverstanden mit Bevormundern, die uns vorschreiben, wie wir uns fortzubewegen haben."
Im Sommer glaubt der Oberbürgermeister fest an den Erfolg der Mobilitätswende. Denn sie ist für ihn völlig vernünftig. Aber: Unterschätzt er dabei die emotionale Sprengkraft?
O-Ton Belit Onay, B90/Grüne, Oberbürgermeister Hannover: "Es geht hier nicht um einen Kulturkampf, wo Radfahrer gegen Autofahrer stehen, sondern es sind Menschen, die ganz unterschiedlich mobil sein können und Angebote zu schaffen, das ist sozusagen die Aufgabe der Politik."
Der Kampf ums Auto tobt auch in Berlin. Vor zwei Jahren wurden Teile der Friedrichstraße zur Fußgängerzone umgewandelt.
O-Ton Bürgerin: "Man kann immer klagen. Ich sage es mal so. Man kann immer klagen und man kann Einspruch einlegen und das werden wir auch tun!"
Die CDU machte Wahlkampf mit dem Auto und gewann. Jetzt dürfen die Autos hier wieder fahren. München: großer Streit um ein kleines Projekt. Hier sollten im Sommer versuchsweise 41 Parkplätze wegfallen, aber:
O-Ton Bürger: "Grundsätzlich ist die Thematik so: Ich möchte mich in meinem Recht der Fortbewegung nicht einschränken lassen."
Anwohner klagten - das Projekt musste früher beendet werden. Auch in Gießen hatten Anwohner Erfolg. Aus Fahrspuren sollten Radspuren werden. Ein Gericht stoppte das - die Wut war groß:
O-Ton Bürgerin: "Ich muss jeden Tag durch Gießen und jeden Tag ist was neu. Dann gibt es diese Schilder, wo gar keine Baustellen sind. Dann Fahrradfahrer, will ich mich gar nicht zu äußern, die hasse ich mittlerweile, weil ich bin aufs Auto angewiesen."
Hass auf Fahrradfahrer, doch auch die rüsten inzwischen auf. Heiko R. fühlt sich immer wieder von Autofahrern bedroht. Seine Ausrüstung: extra Scheinwerfer und Bremslichter.
O-Ton Heiko R.: "Das ist meine persönliche Schutzausrüstung. Zusätzlich habe ich hier auch noch eine Kamera, die ich immer anhabe wenn ich Fahrrad fahre aus folgendem Grund, dass eben viele Autofahrer das Problem haben, das sie denken, dass sie immer alles richtig machen, die Fahrradfahrer aber nicht."
Kaum fährt er los, extra langsam wegen Glatteis, gleich der erste Vorfall.
O-Ton Heiko R.: "Ich habe oft genug - wenn ich den, wenn ich gemein wäre, den Spiegel einmal mit meiner Faust gut berühren könnte. Da wünscht man sich auch ab und zu mal das zu machen, aber man ist ja ein lieber Radfahrer."
Zusammenstöße zwischen Auto- und Fahrradfahrern. Einfach nur aus Versehen? Oder steckt mehr dahinter? Professor Andreas Knie erforscht seit Jahren das Verhalten der Deutschen zu ihren Autos.
Eigentlich seien die Fakten allen klar. Der Raum in den Städten werde zu eng, die Luft zu schlecht. Und die Autobesitzer sind in der Minderzahl. Wieso stockt es dann mit der Mobilitätswende?
O-Ton Prof. Andreas Knie, Sozialwissenschaftler: "Ja, wir mussten auch feststellen, dass wir offensichtlich doch alle ein besonderes Verhältnis zum Auto haben. Auch Menschen, die überhaupt kein Auto mehr haben. Denn wir haben, glaube ich, alle die Autoindustrie im Kopf. Denn jeder Fahrradbügel, der hier installiert wird, jeder Parkplatz, der weggenommen wird, ist für viele eine Bedrohung für die Autoindustrie."
Tatsächlich ist von Mobilitätswende oft wenig zu spüren: Der Trend geht zum Zweit- oder sogar Drittwagen. Auch auf Lübecks Straßen gibt es immer mehr PKW. Es fehlt an Parkplätzen und trotzdem möchte offenbar niemand auf sein Auto verzichten. Geparkt wird also überall, auch im Halteverbot. Die Stadt kommt gegen Falschparker kaum mehr an. Sie hat deshalb technisch aufgerüstet. Ihr Rezept: Digitale Überwachung. Alleine hier hat sie 14 Sensoren auf die Straße geklebt. Sobald die überparkt werden, bekommt das Ordnungsamt per App einen Hinweis und schickt einen Mitarbeiter. Wenn nötig, lassen sie dann auch abschleppen. Denn zugeparkte Straßen können Menschenleben gefährden, zeigt uns die Feuerwehr.
O-Töne Lars Walter, Feuerwehr Lübeck: "Der Kollege, der normalerweise auf dem Beifahrersitz der Drehleiter sitzen würde, der schaut jetzt, dass der Fahrer das Fahrzeug heil durch die Engstellen manövrieren kann, so dass er kein anderes Fahrzeug beschädigt. Er unterstützt den Fahrer bei der Fahrt durch die enge Straße.
Panorama: "Ist das jetzt etwas, was Sie für uns extra machen? Hier für den Pressetermin?"
Lars Walter: "Nein, das würden wir tatsächlich im Einsatzfall auch so machen, weil wenn das Fahrzeug erst mal an einem anderen Fahrzeug hängengeblieben ist, dann wird es mitunter schwierig. Sind Menschen in Gefahr, dann wird im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auch ein Schaden an einem anderen Fahrzeug in Kauf genommen. Das ist natürlich selbstverständlich."
Eigentlich alles gute Argumente für die Verkehrswende: die Feuerwehr kommt nicht mehr durch, die Emissionen sind zu hoch und jedes Jahr sterben viele Fahrradfahrer und Fußgänger im Verkehr. Wieso aber überzeugt das alles nicht? Heinrich Strößenreuther ist Fahrradaktivist. Seine Aktionen sind durchdacht und führen immer wieder auch zum Erfolg. Er weiß, allein mit rationalen Argumenten kommt man nicht weiter. Mit Kulturkampf aber auch nicht.
O-Ton Heinrich Strößenreuther, Fahrradaktivist: "Es sind keine Kuschelzonen, um die es geht, sondern man nimmt den Leuten was weg. Die gehen in Widerstand. Das ist völlig natürlich, völlig normal. Und da kann ich der Verkehrswendeseite nur sagen, dass man starke Begriffe braucht und eine starke Erzählung funktionier, die auf die Mitte zielt und nicht auf die Ränder, denn mit den Hupen auf beiden Seiten muss ich mich eigentlich nicht anlegen, das macht keinen Sinn.”
Die breite Mitte, das seien die Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, die gute Alternativen brauchen und die Gewohnheitstiere, die man mehr herausfordern müsse.
O-Ton Heinrich Strößenreuther, Fahrradaktivist: "So wie beim Thema Zigarettenrauchen. Keiner würde heute mehr sich vorstellen, dass man in allen Kneipen, Aufzügen oder im Flugzeug rauchen würde. Und wir haben uns daran gewöhnt."
Heinrich Strößenreuther hat es selbst auf die Mitte abgesehen. Er wechselte von den Grünen zur CDU. Denn ohne Konservative keine Mobilitätswende.
O-Ton Heinrich Strößenreuther, Fahrradaktivist: "Und das ist ein bisschen meine Hoffnung, wenn CDUler ein bisschen mehr - und ich will jetzt auch die positiven Beispiele nicht über den negativen Kamm scheren - aber wenn die aus dem Mittelfeld ein bisschen mehr von Klima- oder Verkehrspolitik Richtung Klimaneutralität verstehen, kommen die Umsetzung schneller als es in der alten Welt kommt."
Seine CDU kann der Schlüssel zum Erfolg sein – oder auch zum Scheitern, wie sich später zeigt.
Es geht um veraltete Vorschriften wie die Straßenverkehrsordnung. Danach hat das Auto auf der Straße Vorrang. Für Michael Stödter, dem Lübecker Verkehrswendebeauftragten ein großes Problem. Denn wenn er neue Busspuren oder ein Tempo-Limit einrichten will, steht die Verordnung mit dem Autovorrang im Weg.
O-Ton Michael Stödter, Verkehrswendeplaner Hansestadt Lübeck: "Wir als Kommune haben nicht einfach so die Möglichkeit, frei über Tempo 30 zu verfügen. Das muss immer dezidiert, genau begründet werden mit bestimmten Gefahrenlagen vor Ort und überspitzt gesagt, muss schon ein Unfall passiert sein, um tatsächlich auch Tempo 30 einrichten zu können."
Die Gesetzeslage soll an die Neuzeit angepasst werden: Nicht mehr allein Vorrang fürs Auto. Das wollte die Bundesregierung. Ende November kommt der Entwurf in den Bundesrat: Der Verkehrsausschuss empfiehlt, dem Gesetz zuzustimmen. Wer dem folgen möchte, den bitte ich um das Handzeichen.
Die CDU-geführten Bundesländer verweigern ihre Zustimmung, bis auf Schleswig-Holstein und Berlin. Sie sehen die Flüssigkeit und Sicherheit des Autoverkehrs in Gefahr. Wirklich? Es sprach doch so viel dafür? Auch der Fahrradmann in der CDU wundert sich.
O-Ton Heinrich Strößenreuther, CDU, Mitbegründer KlimaUnion: "Es ist möglicherweise zum einen das fachliche Thema, dass man noch autoorientierter ist als die anderen Parteien. Aber wahrscheinlich ist der Hauptgrund, der Ampel eins auszuwischen und man hat da wieder ein Thema gefunden, dass gut und einfach geht. Das ist tatsächlich schade, das führt zu Politikverdrossenheit. Wenn man wirklich konstruktiv hätte arbeiten wollen und das ist echt mein Plädoyer an diese CDU-Oberen als tiefster Christdemokrat. Wir Bürger haben einfach keinen Bock mehr auf dieses ewige Geplärre und nur weil ich jetzt Opposition bin, finde ich es doof, sondern macht es doch."
Doch die Mehrheit in der CDU ist weiter gegen das Gesetz, freut sich offenbar über das einfache Feindbild.
O-Ton Christoph Ploß, CDU-Bundestagsabgeordneter: "Dieses Gesetz wird dazu führen, dass ideologisch von oben herab vor allem SPD und Grüne in Deutschlands Großstädten dafür sorgen werden, dass es zu Dauerstaus kommt. Das kaum mehr ein Auto, kaum mehr ein LKW wirklich vorankommt und der Verkehr wird dadurch nicht flüssiger werden, sondern er wird weiter erschwert werden. Und daher sagen wir als CDU und CSU in allen Bundesländern ganz klar, dieses Gesetz muss überarbeitet werden und dieses Gesetz darf so nicht kommen und ich bin sehr froh, dass der Bundesrat das jetzt gestoppt hat."
In Hannover hat sich die rot-grüne Zuversicht aus dem Sommer in eine Regierungskrise verwandelt. Die SPD will nicht mehr, auch wegen der autofreien Stadt. Man müsse halt alle Menschen mitnehmen.
O-Ton Lars Kelich, SPD-Fraktionsvorsitzender Hannover: "Wenn man gewählt ist, ist man zuständig immer für die gesamte Bevölkerung und nicht nur für die einen, die einen gewählt haben. Wenn man die Menschen abholen will, und wenn man verhindern will, dass zum Beispiel rechtsextreme Parteien wie die AfD davon profitieren, dann muss man eben auch tatsächlich sich verabschieden von diesem Ja-Nein-Schwarz-Weiß-Denken."
Die Konsequenz: Koalitionsbruch. Belit Onay muss jetzt ohne Mehrheit weiterregieren, solange es noch geht. Lag es wirklich an Fehlern bei seiner Verkehrswende?
O-Ton Belit Onay, B90/Grüne, Oberbürgermeister Hannover: "Wir merken gerade bei diesen großen Zukunftsthemen wie Mobilitätswende und die gehört eben ausdrücklich dazu, dass es da tatsächlich häufig in so ein parteipolitisches Kleinklein geht. Und das ist natürlich für solche großen Vorhaben extrem schädlich."
Die Verkehrswende - gestoppt in Hannover, gescheitert im Bundesrat, zerrieben durch eine ideologisierte Debatte.
Bericht: Johannes Edelhoff, Lennart Richter, Brid Roesner
Kamera: Jan Bahls, Peter Janssen, Andrzej Król, Sören Meyer
Schnitt: Iryna Tietje, Kai Hoffmann