Flüchtlingsunterkunft: Woher kommt die Angst im Dorf?
Die Gemeinde Upahl in Nordwestmecklenburg protestiert gegen eine entstehende Flüchtlingsunterkunft. 400 seien zu viele Geflüchtete auf einmal, findet die Mehrheit der 500 Einwohnerinnen und Einwohner.
Mit seinem Megafon ruft der Rentner Michael Krieger zum Widerstand auf. Zum Widerstand gegen eine Flüchtlingsunterkunft im Dorf Upahl. "Achtung! Wichtige Mitteilung. Liebe Mitbürger. Wir laden euch recht herzlich ein am Dienstag um 17 Uhr im Gemeindezentrum in Upahl. Thema ist das entstehende Flüchtlingscontainerdorf in Upahl. Ihr seid herzlich eingeladen. Ein schönes Wochenende."
Im Januar wird das Dorf Upahl in Mecklenburg-Vorpommern plötzlich bundesweit bekannt. Lautstarke Dorfbewohner demonstrieren vor dem Kreistag gegen den Bau einer Unterkunft für 400 Asylsuchende. Das Dorf selbst hat nur rund 500 Einwohner. Keine gute Lösung, finden fast alle. Die Gemeine Upahl klagt gegen den Bau der Flüchtlingsunterkunft. Doch an den Demonstrationen beteiligen sich auch Rechtsextreme. Wegen des kontroversen Verhältnisses von Einwohnern zu Geflüchteten - und weil die Demonstrationen zunehmend von bekannten Rechtsextremen unterwandert werden - kommt das Dorf in die Schlagzeilen.
Kein Platz mehr für Geflüchtete?
Der zuständige Landrat Tino Schomann (CDU) stellt sich damals im Interview mit den ARD-Tagesthemen vor die Demonstranten: "Der Bund muss endlich die Lage der Kommunen erkennen. Wir erleben eine Situation, die die Kommunen komplett überfordert. Der Bund muss begrenzen und steuern, muss die illegale Migration stoppen und muss die Abschiebe-Offensive endlich starten, um Kapazitäten frei werden zu lassen."
Ist in Mecklenburg-Vorpommern, dem Bundesland mit der geringsten Bevölkerungsdichte, wirklich kein Platz mehr? Die Flüchtlingszahlen in Deutschland im vergangenen Jahr waren so hoch wie seit 2015 nicht. Dies liegt vor allem an den rund 1 Million ukrainischen Flüchtlingen, die zumeist dezentral in Wohnungen untergebracht sind. Übrig bleiben rund 200.000 Menschen, vor allem aus Syrien und Afghanistan, die im letzten Jahr hinzukamen, kein Vergleich zu 2015. Wie konnte es also so weit kommen, dass 400 Geflüchtete ins 500-Einwohner Dorf Upahl verteilt werden?
Flächen werden verweigert
Im Interview mit Panorama räumt der Landrat Tino Schomann nun ein, dass es durchaus mehrere Flächen im Landkreis Nordwestmecklenburg gegeben hätte, um die Geflüchteten besser zu verteilen, doch diese seien zurückgezogen worden, als den Besitzern klar wurde, dass dort Geflüchtete untergebracht werden sollten. "Wenn wir sagen, wofür wir die Grundstücke haben wollen, heißt es: Nein, dafür nicht." Überall stoße er auf Gegenwehr.
Ehrliche Sorgen und Rassismus
Jan Achilles sitzt im Gemeinderat von Upahl. Als der Kreistag Ende Januar den Bau beschlossen hatte, trat auch er ans Mikrofon. Seine Rede sorgte über Upahl hinaus für Aufsehen. Er habe Alpträume, dass seiner Tochter etwas passiere. "Meine Tochter hat Angst, mit dem Bus später zur Schule zu fahren. Wie soll ich als Vater ihr die Angst nehmen, wenn ich selber Angst habe" - die Stimme bricht ihm weg, - "und jede Nacht wach werde und sie in der Gerichtsmedizin besuche?"
Einige Tage später besuchen wir ihn zuhause. "Man weiß eben nicht, was für Leute da kommen. Also man kann keinem ins Gehirn gucken. Und das wollte ich eben zum Ausdruck bringen. Dann sind die Emotionen mit mir durchgegangen." Und woher diese Ängste kommen, wenn doch hier in der Gegend kaum Ausländer leben? "Das ist sicherlich auch unserer Medienwelt geschuldet, weil keiner berichtet über die 499 Afghanen, die in einem Flüchtlingsheim mit 500 Menschen friedlich leben. Die berichten alle nur über den einen, der eine Straftat begangen hat. Und das spiegelt sich natürlich auch in der Meinung der Bürger wieder."
Letzte Woche gab das Verwaltungsgericht Schwerin nun der Gemeinde Upahl mit ihrer Klage gegen den Landkreis recht. Der Landkreis hätte die Gemeinde früher in die Entscheidung einbinden müssen. Baustopp bis auf Weiteres. Wieder kein Platz für die Geflüchteten. Sie bleiben in Notunterkünften, wie etwa einer Turnhalle im 20 Kilometer entfernten Wismar. Jan Achilles ist erleichtert: "Wir haben das Problem erst mal nicht mehr im Dorf. Das ist sicherlich egoistisch, aber so ist es."
Die Gemeinde klagt nun zusätzlich gegen den Landkreis wegen einer fehlenden Baugenehmigung und könnte damit auch den Rückbau erzwingen. Landrat Schomann hatte den Bau auf Grundlage einer Sonderbestimmung wegen des Ukraine-Kriegs beauftragt.