Die Waldorfbewegung und die Corona-Krise

Sendedatum: 11.02.2021 21:45 Uhr

An den deutschen Waldorfschulen tobt ein Streit: Lehrer gegen Eltern, Eltern gegen Schulleiter, Schüler gegen Lehrer. Die Frage, die die Waldorfbewegung vor eine Zerreißprobe stellt: Wie gefährlich ist das Corona-Virus?

von Konstanze Nastarowitz, Katharina Schiele, Caroline Walter

Auf einer Demonstration in Stuttgart wird für eine Schul- und Kitaöffnung ohne Maske und ohne Abstand demonstriert. Wir treffen auf Demonstrierende, die zur Waldorfbewegung gehören und einen ganz eigenen Blick auf die Pandemie haben. "Warum soll man Leben einschränken? Warum soll man Leben schützen und vor was soll man sich schützen? Es erscheint mir unverständlich", meint eine Waldorflehrerin. Unter einigen Waldorfanhängern scheint der Widerstand gegen die Schutzmaßnahmen recht verbreitet zu sein. "Vielleicht, weil ein ganz anderes Bewusstsein für Krankheit auch da ist. Also Krankheit hat ja oft auch was mit Schicksal zu tun, dieses Annehmen auch von Tod", erklärt eine Waldorf-Kindergärtnerin.

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Gespaltene Schulen

Doch es gibt auch andere Stimmen an Waldorfschulen. Susanne Hauke unterrichtet selbst dort und beobachtet mit Sorge, wie das Virus ihre Schulgemeinschaft spaltet. Die Lehrerin ärgert sich darüber, was sie von Eltern und Kolleginnen zu hören bekommt: "Das äußert sich dann schon so, dass man aktiv versucht, andere davon zu überzeugen, dass diese Verordnungen unsinnig sind." Einige Eltern finden offenbar auch trickreiche Wege, die Corona-Verordnungen zu umgehen - vor allem durch Maskenbefreiungsatteste, schildert die Waldorflehrerin. In manchen Klassen kamen bis zu sieben Kinder mit solchen Attesten.

Auch an anderen Waldorfschulen prallen zwei Welten aufeinander. In Göppingen, Baden-Württemberg, kam es wegen der Maskenpflicht sogar zu Drohungen gegen die Schulleitung. Die Türen wurden beschmiert mit einer Drohung: "Wir jagen euch durch alle Gerichtssäle." Immer wieder wird das Thema Masken auch in Telegram-Gruppen Corona-kritischer Waldorf-Eltern und -Lehrer diskutiert. Dort schreibt ein Gruppenmitglied zum Beispiel, "die Nahtlöcher der FFP2 Maske lassen sich kreativ mit einer Büroklammer durchstechen". Ein anderer erzählt: "In der Klasse meines Sohnes sind sechs Kinder von der Maske befreit - mein Sohn auch."

Petition gegen Verschwörungsmythen

Fiona Hauke, die Tochter von Susanne Hauke und selbst ehemalige Waldorfschülerin, will nun mit einer Petition "gegen Corona-Verschwörungsmythen an Waldorfschulen" ein Zeichen setzen. Sie fordert mehr Aufklärung und ein frühes Handeln, wenn bekannt wird, "dass LehrerInnen Verschwörungserzählungen und falsche Informationen zur aktuellen Gesundheitskrise verbreiten". Die Kommentare unter der Petition sind eindeutig: Ihre Sorgen teilen viele aus der Waldorf-Szene, einige schildern massive Probleme mit Maskenverweigerern und Querdenkern an ihren Schulen.

Ansgar Martins, selbst ehemaliger Waldorf-Schüler, forscht an der Universität Frankfurt unter anderem zu deren Weltbild. Er sieht in der Waldorf-Bewegung eine Mischung aus Impfgegnern und Privatschulpublikum, die nun "aufeinander losgelassen" werden. Die einen hielten ihr Kind für das Wertvollste und wollten es vor Corona schützen, die anderen lehnten Impfungen und Masken ab.

Die Lehren Rudolf Steiners

In Deutschland gibt es nach Angaben des Bundes der Freien Waldorfschulen 254 Waldorfschulen mit insgesamt knapp 90 000 Schülerinnen und Schülern. Die Waldorfpädagogik ist geprägt von der sogenannten Anthroposophie. Neben der Wissensvermittlung soll auch eine spirituelle und künstlerische Entwicklung der Kinder stattfinden, im Sinne Rudolf Steiners. Der Begründer der Waldorfpädagogik hatte mystische Vorstellungen von der Welt, die sich nicht immer mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen decken.

Mit diesen Vorstellungen Steiners hat sich auch Waldorf-Lehrer Thomas Brunner viel beschäftigt. Er unterrichtet Deutsch und Bewegungskunst, sitzt im Vorstand einer Waldorfschule in Sachsen. Er hält die Einschränkungen durch die Pandemie für nicht hinnehmbar. "Wir haben keine außergewöhnliche Pandemie erlebt, wir haben eine im natürlichen Verlauf, und in dem Sinne ist die Panik das eigentlich Verwerfliche, die politisch erzeugte Panik."

Bill Gates als Wurzel allen Übels

Sie entmündige Menschen und schwäche dadurch die Gesellschaft. In einer Mail an eine befreundete Schülermutter beschreibt er die Corona-Krise als eine "knallharte Inszenierung gewisser Kreise der Pharmaindustrie." Die Krise sei eine "vorbereitete Aktion zur Knechtung der gesamten Menschheit". Thomas Brunner behauptet, es gebe eine Planung seit langen Jahren, und dahinter stünde vor allem der Milliardär Bill Gates. "Das ist für mich keine Verschwörungstheorie. Das ist eine Selbstläufigkeit, wenn ein Mensch über Milliarden verfügt als Privatperson, dass er auch Staaten manipulieren kann, dass er Einzelpersonen manipulieren kann."

Menschen, die gegen die Demonstration der Gruppe !Querdenken" demonstrieren, stehen in der Hamburger Innenstadt. © NDR Foto: Jörn Straehler-Pohl
Feindbild für Corona-Leugner und Impfgegner: Bill Gates.

Warum ist gerade die Waldorfbewegung anfällig für Corona-Verschwörungstheorien? Eine Rolle spielt wohl Steiners esoterische Weltanschauung, die mit zu den geistigen Grundlagen der Schulen gehört. Diese Weltanschauung bringt auch ein ganz eigenes Verständnis von Krankheit mit sich. Ansgar Martins spricht von einem "eher mythologisch" geprägten Krankheitsbild, bei dem von einem Glauben an Reinkarnation und Karma ausgegangen wird: "Das bedeutet, wenn ich krank werde, kann das eine Folge von Dingen sein, die ich in dem vergangenen Leben gemacht habe und das bedeutet, dass man Leuten letztendlich selbst die Verantwortung für Krankheiten zuschiebt."

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Der Stresstest für die Waldorfschulen geht weiter

Auf Querdenker-Bühnen tritt derweil immer wieder Professor Christoph Hueck auf. Er ist Dozent für Waldorfpädagogik. In seinen Reden predigt er geradezu die Kraft der eigenen natürlichen Abwehr: "Wenn wir ein gutes Immunsystem haben, kann uns das Virus überhaupt nichts ausmachen." Die Zuhörer beklatschen vor allem seine Äußerungen zu den Impfungen: "Wir wollen keine Versuchskaninchen sein für diese smarten neuen Impfstoffe."

Der Bund der Freien Waldorfschulen versucht die Wogen zu glätten. Er "distanziert sich ausdrücklich von allen Versuchen, die Pandemie zu verharmlosen". Grabenkämpfe statt Kuschelpädagogik - und das Thema „Impfen“ geht gerade erst los. Es scheint, als wäre der Stresstest für die Waldorfgemeinschaft noch nicht vorbei.

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 11.02.2021 | 21:45 Uhr

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