Behörde fordert: Heilpraktiker abschaffen
Immer wieder setzen Heilpraktiker die Gesundheit von Patienten aufs Spiel. Das zeigen Recherchen des Onlinemagazins MedWatch und Panorama. Dennoch wird der Beruf kaum reguliert. Nun fordern Experten: Schafft die Heilpraktiker ab!
Der schlimmste Moment in Petra Eitners Leben war, als Ärzte ihr sagten, dass sie ihr Bein verlieren könnte: "Wir müssen versuchen, eine Infektion zu verhindern, ob wir es schaffen, wissen wir nicht." Die 57-Jährige wollte sich im vergangenen Jahr bei einer staatlich geprüften Heilpraktikerin Krampfadern entfernen lassen. Deren Webseite versprach eine "sanfte" Therapie. "Für mich war einfach nur klar: Das muss jemand sein, der sich mit der Materie beschäftigt", sagt Eitner. "Ich habe schon Vertrauen gehabt in diesen Heilpraktikerberuf."
Doch die Heilpraktikerin spritzte aggressive Kochsalzlösung in ihr Bein, laut einem medizinischen Gutachten viel zu viel und zu hoch dosiert. Schon gleich nach der Behandlung zeigten sich große rote Flecken, die sich bald schwarz verfärbten. Das Gewebe starb ab. Petra Eitner wurde acht Mal operiert, verbrachte Wochen auf der Isolierstation. "Ich finde es katastrophal, dass sowas überhaupt zugelassen wird", sagt Eitner. "Dass es möglich ist, dass so etwas überhaupt passiert in unserem Staat." Die Heilpraktikerin bestreitet die Vorwürfe. Sie habe keine Fehlbehandlung durchgeführt. Vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin muss sie sich nun wegen fahrlässiger Körperverletzung verantworten.
Wenig Kontrolle, viel erlaubt
Zuständig für die Kontrolle der Heilpraktikerin ist ein Gesundheitsamt in Berlin. Dessen Leiter Patrick Larscheid sagt, dass er lediglich Hygienemängel in der Praxis anmahnen konnte - ihre fragwürdige Therapie darf die Heilpraktikerin fortführen. Denn dem Amtsarzt fehlt die gesetzliche Handhabe, um dubiose Methoden von Heilpraktikern zu untersagen: "Die Realität ist, dass die Heilpraktiker fast alles dürfen. Sie dürfen sogar spritzen und irgendwelche Heilversprechen machen. Es gibt weniger gefährliche Tätigkeiten, zum Beispiel das Verkaufen von Würstchen, die viel stärker reguliert sind."
Geregelt nach einem Gesetz von 1939
Härtere Regeln für Heilpraktiker würden Kontrolleur Larscheid helfen - und Patienten schützen. Immerhin stammt das Gesetz, das den Beruf in Deutschland regelt, aus dem Jahr 1939. Demnach müssen Heilpraktiker zwar eine Prüfung vor ihrer Zulassung ablegen, aber keine fundierte Ausbildung nachweisen. Ganz im Gegensatz zu Ärzten. Immer wieder forderten Experten zwar eine Reform des Gesetzes, doch abgesehen von kleinen Änderungen hat sich wenig getan. "Die saubere Lösung wäre nicht, dass wir das Heilpraktikergesetz abschaffen, sondern dass wir die Heilpraktiker abschaffen", sagt Larscheid. "Es ist ein Beruf, für den es gar keine Berechtigung gibt."
Kein Verbot in Sicht
Doch ein Verbot des Berufs steht für Gesundheitsminister Jens Spahn nicht zur Debatte. Auf Anfrage von Panorama verweist sein Haus auf Änderungen für Heilpraktiker, deren Prüfungen etwa deutschlandweit vereinheitlicht wurden: "Das Bundesministerium für Gesundheit hat allerdings wahrgenommen, dass diese Maßnahmen teilweise als nicht ausreichend angesehen werden. Umgekehrt wenden sich viele Menschen an das BMG, die auf Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker vertrauen. Sie setzen sich für diesen Berufsstand und seinen Erhalt ein."
Pseudomedikamente gegen Krebs
"Alternative" Heilmethoden sind bei den Deutschen - und somit vielen potentiellen Wählern - sehr beliebt. Heilpraktiker-Angebote wie angebliche "Chakren-Harmonisierung", Schüssler-Salze oder Bioresonanztherapie boomen. Mehr als die Hälfte der Deutschen hat bereits zu homöopathischen Arzneimitteln gegriffen, also zu Pseudo-Medikamenten ohne nachweisbaren Wirkstoff. "Da können Sie auch einen Würfel Zucker in den Bodensee schmeißen, umrühren und dann sagen: Das ist jetzt auch ein Mittel", sagt die Onkologie-Professorin Jutta Hübner von der Uni-Klinik Jena. Sie sieht in Globuli und Co. keine harmlosen Mittelchen. Im Gegenteil: "Wir erleben, dass bei unseren Krebspatienten, die solche Wege gegangen sind, alternativmedizinisch, und dann plötzlich davor stehen, dass es nicht funktioniert hat, dass der Krebs wächst und sie sterben müssen", sagt Hübner. "Und deshalb müssen diese Menschen, die so etwas tun, auch nie mit juristischen Konsequenzen rechnen. Weil der Patient tot ist, wenn es vor Gericht geht. Es passiert nichts."
Streit bei den Grünen
Wie heikel das Thema für Politiker ist, zeigt derzeit der interne Streit bei den Grünen. Eine Gruppe junger Mitglieder fordert eine klare Haltung der Partei zum Thema Homöopathie und der Wissenschaftlichkeit von Heilpraktikern - und stößt auf massiven Gegenwind von Lobbygruppen. "Beispielsweise möchte man nicht, dass ich mich hier äußere", sagt der grüne Lokalpolitiker Joachim Heck, der sich für mehr Wissenschaftlichkeit in seiner Partei engagiert. "Dieses persönliche Angehen einzelner Personen habe ich so nicht erlebt bisher." Birgit Raab von den Grünen im fränkischen Schwabach ist dafür, in der Alternativmedizin alles zu so lassen, wie es ist. "Ich glaube, der Denkfehler ist zu glauben, Medizin wäre Wissenschaft. Medizin ist keine Wissenschaft. Es ist eine Erfahrungsheilkunde, eine Heilkunst." Der Bundesvorstand der Grünen versucht inzwischen, das Thema vom kommenden Bundesparteitag fernzuhalten: Es gebe wichtigere Themen, heißt es aus Berlin.