Corona: Was wissen wir wirklich?
Die Zahl der Infektionen mit dem Coronavirus steigt weiter. Der Gesundheitsminister versichert, Deutschland sei gut vorbereitet, doch es zeigen sich zunehmend Probleme bei der Versorgung.
Thomas Maurer ist genervt. Er ist Hausarzt in Leck, einem kleinen Ort nahe der Grenze zu Dänemark. Eigentlich sollen er und all die anderen Hausärzte im Kampf gegen das Coronavirus SARS-Cov-2 derzeit eine wichtige Rolle übernehmen. Sie sollen Verdachtsfälle überprüfen und sich um sie kümmern.
Doch Thomas Maurer sagt, sie seien dafür überhaupt nicht ausgerüstet. Sie hätten keine Masken, keine Schutzbrillen, keine sterilen Kittel und keine Entsorgungsmöglichkeiten für verschmutzte Schutzkleidung. Die richtigen Schutzmasken jetzt noch zu bekommen, sei "völlig aussichtslos", sagt Maurer, es gebe keine mehr auf dem Markt. "Wir bekommen gesagt, kümmert Euch. Aber keiner von uns ist auf so etwas vorbereitet."
Zahl bestätigter Infektionen in Deutschland noch recht niedrig
Aktuell ist die Zahl der bestätigten Infektionen in Deutschland noch recht niedrig, sie liegt im dreistelligen Bereich. Doch sie nimmt zu. Immer mehr Verdachtsfälle müssen untersucht werden. In einer Regierungserklärung am Mittwoch erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), das Gesundheitssystem sei gut gewappnet. Er räumte aber auch Schwierigkeiten ein. "Es dauert teilweise noch zu lange, bis Verdachtsfälle getestet werden", sagte Spahn. "Natürlich sind noch nicht alle Abläufe eingespielt."
Das merkt auch Professor Matthias Stoll. Er ist Oberarzt für Immunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Gerade erst am vergangenen Freitag brachte eine Hausärztin aus der Region persönlich Proben von zwei Verdachtsfällen in die Klinik, weil sie im zuständigen Gesundheitsamt niemanden erreichen konnte. Alle seien gerade überfordert, sagt Stoll. "Im Augenblick werden wir gerade überschüttet mit Anfragen, für die wir eigentlich als Krankenhaus nicht zuständig sind." Er rät dringend davon ab, mit leichten Erkältungssymptomen einfach ins Krankenhaus zu kommen, nur um abklären zu lassen, ob man sich infiziert hat.
Was tun, wenn man möglicherweise betroffen ist?
Wie schwierig es aber ist, es richtig zu machen, merkte Michael K.. Am Sonntag hatte er aus portugiesischen Medien erfahren, dass ein Schriftsteller an dem Coronavirus erkrankt ist. Mit diesem Autor hatte Michael K. noch eine Woche zuvor auf einem Podium gesessen, hatte ihn zur Begrüßung umarmt, sich mit ihm unterhalten. Deshalb wollte er sich nun testen lassen - auch weil er leichte Erkältungssymptome aufzeigte.
Michael K. rief bei der offiziellen Hotline in Hessen an. Dort erklärte man ihm, er solle sich am Montag beim Gesundheitsamt melden. Da erklärte man ihm, sein Hausarzt sei zuständig. Doch der teilte ihm mit, er verfüge nicht über die nötige Ausrüstung. Michael K. telefonierte daraufhin weitere Ärzte ab, auch die Uniklinik in Frankfurt. Er fand niemanden, der ihn testet. Erst am Dienstag konnte er eine Probe abgeben.
Lage "etwas unübersichtlich"
Auf Anfrage von Panorama teilte das zuständige Gesundheitsamt mit, es sei mit dem Betroffenen im Kontakt. Er habe vorbildlich gehandelt. "Die Frage der Abstrichabnahme konnte vom Gesundheitsamt unbürokratisch gelöst werden, der Abstrich wurde von uns zur Untersuchung an ein Labor geschickt." Auf das Ergebnis wartet Michael K. - bis Donnerstag-Mittag - allerdings noch immer.
Die Kassenärztliche Vereinigung in Hessen räumte ein, die Lage sei "in der Tat derzeit etwas unübersichtlich". Es treffe zu, dass Abstrichröhrchen in manchen Praxen rar geworden seien. Außerdem fehle es an Schutzmaterial. Und es sei nicht geklärt, was mit Praxen geschehen solle, in denen ein Patient mit einer bestätigten Infektion aufgetaucht ist. "Diese Unsicherheit führt bei einigen Ärzten dazu, dass sie sich verweigern", so die KV Hessen. Einzelne Fälle wie dieser sollten jedoch nicht dazu führen, den Eindruck zu schüren, dass die Versorgung insgesamt nicht funktioniert. Denn wäre es so, gäbe es deutlich mehr Beschwerden.
Labore geraten an ihre Kapazitätsgrenzen
Aber nicht nur in den Arztpraxen und Krankenhäusern ist die Situation teils angespannt, sondern auch in einigen Laboren - dort, wo die Proben, die von Hausärzten kommen, untersucht werden. "Wir sind an der Kapazitätsgrenze", sagt Professor Silke Fischer, Leiterin des Landeslabors in Baden-Württemberg. Das Problem: Nach jedem positiven Coronavirus-Fall sollen derzeit auch alle engen Kontaktpersonen getestet werden - das würde also Dutzende weitere Proben bedeuten. Irgendwann sei das nicht mehr möglich, sagt Fischer. Dann müssten die Vorgaben geändert werden.
In den vergangenen Wochen wurden die offiziellen Empfehlungen schon mehrfach angepasst. Die Situation sei dynamisch, man lerne von Tag zu Tag mehr über das Virus, heißt es aus der EU-Behörde für den Schutz vor Infektionskrankheiten (ECDC). Dort, in Stockholm, beobachten die Experten die Lage weltweit, aktualisieren ständig die Risikoeinschätzung und die damit einhergehenden Empfehlungen.
Man dürfe nicht vergessen, dass das ein neues Virus ist, sagt die Leiterin des ECDC, Andrea Ammon. Es gehe darum, die Entwicklung genau zu beobachten, so Ammon. Sie müssten "jeden Tag aufs Neue überlegen: Ist die Situation noch die gleiche oder nicht?" Niemand weiß, wie der Ausbruch weiter verläuft. Die aktuellen Pläne können nächste Woche schon wieder veraltet sein.