Bankgeheimnis: Schufa will Konten ausforschen
Deutschlands größte Wirtschaftsauskunftei plant offenbar, Verbraucher in Zukunft auch anhand ihrer Kontoauszüge zu bewerten. Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ lief ein erster Praxistest bereits. Datenschützer sind entsetzt.
Es ist Mittwoch, der 4. November 2020 und die Schufa ist ihrem Plan einen großen Schritt nähergekommen. Zwölf Monate lang haben Entwickler von Deutschlands größter Auskunftei an dem neuen Produkt getüftelt. Nun startet der erste Praxistest in Zusammenarbeit mit dem Telefonanbieter "Telefonica/O2". In einer internen Mail, die am Vorabend unter Schufa-Mitarbeitern kursiert, heißt es: "Drückt uns die Daumen, dass die Lösung fliegt."
Blick in Kontoauszüge für zweite Chance
Auf den ersten Blick wirkt der neue Service verbraucherfreundlich. "CheckNow" richtet sich an diejenigen unter den 67,9 Millionen bei der Schufa gespeicherten Menschen, die einen schlechten "Score" haben. Bei ihnen ist nach Einschätzung der Schufa das Risiko erhöht, dass sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Wer einen schlechten Schufa-Score hat, bekommt oftmals keine Mietwohnung, Kredite oder andere Verträge.
Mit "CheckNow", so das Versprechen, will die Schufa den Betroffenen nun eine zweite Chance bieten. Bedingung: Sie müssen zustimmen, dass die Auskunftei einen Blick auf ihre Kontoauszüge werfen darf. Aus den Informationen ermittelt die Schufa dann eine neue Bewertung. Menschen, die vorher durchs Raster gefallen sind, dürfen nun doch noch auf einen Vertrag hoffen. "CheckNow" sei zweckgebunden, versichert die Schufa auf Anfrage. Nur relevante Daten würden gesichtet und auch nur kurz gespeichert.
Doch das ist nur das halbe Bild. In einem zweiten Schritt bittet die Schufa potentielle "CheckNow"-Kunden um eine freiwillige Einwilligung, die der Schufa weitgehende Rechte einräumt - so online zu besichtigen am 4. November. Laut der Einwilligung darf die Schufa Kontoauszüge speichern und für ihre Dienste als Auskunftei auswerten. Auf Nachfrage betont die Schufa: "Die Testumgebung ist derzeit so gestaltet, dass selbst bei einer Zustimmung des Nutzers keine Daten gespeichert werden."
Schufa will Kontoauszüge auswerten
Interne Dokumente der Schufa, Mails und Präsentationen, die NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" einsehen konnten, belegen: Die Auskunftei (Slogan: "Wir schaffen Vertrauen") möchte aber solch sensible Daten aus Kontoauszügen in Zukunft offenbar systematisch auswerten und weiterverarbeiten. Eine Art "Super-Score" könnte entstehen.
Denn bislang weiß die Schufa weitaus weniger, als die meisten Menschen denken. Die Wiesbadener Auskunftei speichert unter anderem, wie viele Konten jemand besitzt, ob Kredite zurückgezahlt werden oder Handyverträge geschlossen wurden. Wie viel Geld auf den Konten liegt und wofür es die Menschen ausgeben - das weiß die Schufa bis dato nicht.
Schufa kaufte Finanzdienstleister auf
Nährboden der nun aufblühenden Schufa-Fantasien ist eine EU-Richtlinie. Das Gesetz macht es möglich, dass "Kontoinformationsdienste" Einblick auf die Konten der Kunden bekommen können. Im Jahr 2018 hat die Schufa ein solches Unternehmen gekauft. Der Finanzdienstleister Finapi GmbH ermögliche "den gesicherten Zugang zu derzeit 58 Millionen Endkunden-Konten", teilte die Schufa mit.
Nach der Übernahme entwickelte die Schufa Ideen, wie man den Datenschatz heben könnte. In einer Präsentation vom März 2019 finden sich "aktuelle Produktentwicklungsansätze". Darunter: "Neue Scores", etwa die "Ergänzung bestehender Scores um zusätzliche Indikatoren". Auf einer Branchenveranstaltung im Sommer erklärte ein Finapi-Mitarbeiter, was damit gemeint sein könnte. In Kontoauszügen könne man 65 Kategorien erkennen, darunter Gehalt, staatliche Leistungen, Unterhaltszahlungen, Ausgaben für Heimwerken und Garten. Zudem könne man "Risikofaktoren" wie Glücksspiel oder Zahlungen an Inkassoinstitute identifizieren.
"Ich mache mich da wirklich nackig"
Der frühere Bundedatenschutzbeauftragte Peter Schaar fürchtet Nachteile für Kunden. "Ich mache mich da wirklich nackig, wenn ich diesen Einwilligungsbutton bestätige", so Schaar. Die Einbeziehung "sehr vieler, auch höchstpersönlicher Informationen" führe zu einem neuen "Blick auf die Bonität", die Nachteile für die Betroffenen haben könnten. Darüber hinaus könne die Schufa auch an die Daten Dritter gelangen, die in Kontoauszügen auftauchen, warnt Schaar gegenüber Panorama.
Derweil läuft sich der Schufa-Vertrieb für neue Produkte warm. So auf dem Branchentreff der Kreditwirtschaft im Oktober. Als es um den Blick auf Konten ging, stellten Sparkassenvertreter Fragen zum Datenschutz. Eine Schufa-Vertriebsleiterin beschwichtigte. "Datenschutzhürden" könne man überwinden, indem man Kunden die Ängste nehme. "Ihr Verbraucher wird sich da durchklicken, weil die Leute sind faul und bequem. Die haben keinen Bock auf sowas, und die wollen einfach den Service haben. Und sie klicken das durch."
Ein Häkchen mit Folgen
Die Schufa erklärte, die Vertrieblerin habe versucht darzulegen, dass ein Kunde bei einem Bestellvorgang in der Regel mehr Wert auf ein schnelles, bequemes und unkompliziertes Procedere lege, als auf eine intensive Auseinandersetzung mit Datenschutzbestimmungen. "Da die Aussage an der vorgenannten Stelle in einer Weise interpretiert werden könnte, die den strengen Standards der Schufa zum Datenschutz nicht entspricht, haben wir den Vorgang intern mit der Kollegin thematisiert und entsprechend geklärt."
Wie ein Durchklicken aussehen könnte, testete die Schufa offenbar auch bei dem Pilotprojekt mit O2. Wer am 4. November freiwillig ein Häkchen setzte, gestattete der Schufa, die Kontoauszüge für zwölf Monate "zum Zwecke ihrer Aufgaben als Auskunftei und Informationsdienstleister zu verarbeiten". Wer nicht aufpasste, lieferte damit - zumindest theoretisch - die Grundlage dafür, dass die Schufa die Kontodaten auch für einen Score verwenden könnte.
Schufa spricht von einem Test
Die Auskunftei betonte, man habe keine Daten gespeichert. Selbst, wenn Personen bei dem Test ein Häkchen gesetzt hätten. "Wir sind gerade in einem Test von Schufa CheckNow. Über die spätere Ausgestaltung des finalen Produktes können wir derzeit daher noch keine Auskunft geben." Eine Datenverarbeitung von Kontoauszügen für Schufa-eigene Zwecke finde nur statt, "wenn der Verbraucher - und zwar ausdrücklich und unabhängig von der eigentlichen Dienstleistung - eine gesonderte Einwilligung" erteile.
Der Vertragspartner O2 erklärte: "Wir testen aktuell lediglich in einem Pilotprojekt mit einer geringen Zahl von weniger als 100 Nutzern die Nachfrage und Akzeptanz des CheckNow-Verfahrens der Schufa bei einigen unserer Kunden. Die Teilnahme ist freiwillig und setzt die aktive Einwilligung des Nutzers voraus." Die Schufa biete das Verfahren "in komplett eigener datenschutzrechtlicher Verantwortung an".
Die neue Dienstleistung wird derzeit vom zuständigen Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht auf ihre Zulässigkeit geprüft. Zum Ausgang der Prüfung wollte sich die in Ansbach ansässige Behörde nicht äußern.