Umstrittene Pläne: Mit Datenbanken gegen Wechselkunden?
Strom- und Gaskunden, die ihren Anbieter häufiger wechseln wollen, könnten schon bald systematisch davon abgehalten werden. Nach Recherchen des NDR und der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) haben die Schufa und die Münchner Wirtschaftsauskunftei CRIF Bürgel Datenbanken entwickelt, in denen offenbar branchenweit Vertragsdaten möglichst vieler Kunden gespeichert werden sollen. Verbraucher- und Datenschützer fürchten, dass damit Energieversorger wechselfreudige Verbraucher identifizieren und in der Folge ablehnen könnten. Anfang November wollen sich die Datenschutzbehörden der Länder und des Bundes zu diesem Thema abstimmen.
"Wechselpilot": Fast jeder fünfte Neukunde wird abgelehnt
Kunden, die schon nach der Mindestvertragslaufzeit wieder wechselten, seien für Energieversorger grundsätzlich unattraktiv und als "Bonushopper" verschrien, sagte Barbara Saerbeck vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Wenn Strom- und Gasunternehmen durch solche Datenbanken künftig sehen könnten, dass Kunden schon häufiger gewechselt haben, könnten sie diese dann entweder systematisch ablehnen oder ihnen attraktive Konditionen vorenthalten, befürchtet Saerbeck. Das Hamburger Portal "Wechselpilot" hat festgestellt, dass bei manchen Energieversorgern mittlerweile bereits jeder fünfte Neukunde abgelehnt wird. Häufig würden für die Ablehnungen keine Gründe genannt, so Jan Rabe, Geschäftsführer von "Wechselpilot". Abgelehnte Kunden müssten dann zu einem anderen Versorger und im ungünstigsten Fall in einen teuren Grundversorgungstarif.
Bisher dürfen nur Daten von Kunden, die ihre Rechnungen nicht zahlen oder die betrügen, branchenweit ausgetauscht werden. Informationen über vertragstreue Kunden ebenfalls zu teilen verstoße gegen den Datenschutz und sei "definitiv etwas, was den Kunden schädigen würde", sagte der Datenschutzexperte Thilo Weichert. "Wenn Informationen über Vertragsverhältnisse unter den Unternehmen ausgetauscht werden, wird damit zudem der Wettbewerb zerstört", so Weichert, bis 2015 Landesdatenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein. Solche Pools führten dazu, dass der Verbraucher unter den Anbietern nicht mehr frei wählen könne. Die Kunden würden auf diese Weise "zum Freiwild der gesamten Branche".
Existieren Datenpools über Kunden?
Die größte deutsche Wirtschaftsauskunftei, die Schufa, hat den Recherchen zufolge eine Datenbank namens "Schufa-E-Pool" konzipiert, die laut einer Werbebroschüre unter anderem "wertvolle Hinweise" zur Laufzeit des bestehenden Energievertrags enthalten solle. Die Unternehmen könnten diese Daten für ihren "Entscheidungsprozess im Neukundengeschäft" einsetzen. Die Wirtschaftsauskunftei CRIF Bürgel hat offenbar einen ähnlichen Pool für Energieversorger entwickelt, dessen Konzept nach Informationen von NDR und "SZ" derzeit von der zuständigen bayrischen Datenschutzbehörde geprüft wird. Das Unternehmen wollte sich auf Nachfrage nicht zu Details äußern. Ein Sprecher erklärte lediglich, dass man "generell keine Auskunft über mögliche zukünftige Projekte" gebe. CRIF Bürgel - wie auch die Schufa - betonte, dass man sich stets an geltendes Recht halte.
Schufa-Sprecher Ingo A. Koch betonte jedoch, der "Schufa-E-Pool" sei bislang nicht "marktfähig". "Wir verfolgen die Idee grundsätzlich aber weiter", sagte Koch. Es sei derzeit offen, "ob und wenn, in welcher Ausgestaltung" sie wieder aufgegriffen werde. Die Datenbank wurde den Recherchen zufolge bis Mitte August 2020 im Internet sowie in einer aktuellen Unternehmensbroschüre beworben. Die Internetseite war erst entfernt worden, nachdem NDR und "SZ" zu den Hintergründen dieser Datenbank angefragt hatten. Bei der Vorstellung des "Schufa-E-Pools" in einer Firmenbroschüre habe es sich um ein "redaktionelles Versehen" gehandelt.
Ohnehin sei "die Idee hinter dem E-Pool nicht das Verhindern eines Wechsels", so Koch. Es werde in der Datenbank "nach gegenwärtigem Entwicklungsstand lediglich die faktische und zeitliche Existenz des aktuellen Energiekontos gespeichert". Wie lange ein Verbraucher bei seinem letzten Versorger gewesen sei, sage nichts darüber aus, wie lange er bei seinem neuen Versorger bleibe oder ob er gar ein "Vielwechsler" sei, so Koch. Das sieht Verbraucherschützerin Barbara Saerbeck anders. Selbst, wenn nur wenige Angaben zu Energiekonten gespeichert würden, bestehe die Gefahr, dass Kunden künftig diskriminiert würden. Die Angabe der Laufzeit reiche schließlich, um herauszufinden, ob jemand nach kurzer Zeit schon wieder wechseln wolle, so Saerbeck.
Datenschützer über Entwicklung besorgt
Die für Datenschutz zuständigen Aufsichtsbehörden der Bundesländer wollen in der ersten November-Woche darüber beraten, ob solche Datenbanken für Energieversorger künftig zulässig sind. Der für die Schufa zuständige Hessische Landesbeauftragte für Datenschutz hält es aufgrund der Wettbewerbssituation für rechtlich vertretbar, dass Strom- und Gasversorger Kundendaten in branchenweiten Datenbanken teilten. "Wenn ich sehe, dass im Markt der Energieversorger schon die ein oder andere Insolvenz passiert ist - hauptsächlich aufgrund nutzloser Akquisitionskosten - dann muss ich dieses legitime Interesse einfach anerkennen", so Behördenvertreter Michael Kaiser. Vertreter anderer Datenschutzbehörden sagten NDR und "SZ" dagegen, sie sähen eine solche Speicherung eher kritisch.
Eine Umfrage von NDR und "SZ" unter 75 Strom- und Gasversorgern ergab ein uneinheitliches Bild. Zahlreiche Firmen berichteten, sie seien von den Auskunfteien wegen der Datenpools angesprochen worden. Einige erklärten, sie könnten sich eine Teilnahme vorstellen, sollten alle datenschutzrechtlichen Regelungen eingehalten werden, andere äußerten sich ablehnend. Eine Sprecherin des niedersächsischen Energieversorgers "Firstcon" sagte, der Wunsch nach einem gläsernen Kunden sei zwar "aus wirtschaftlicher Perspektive nachvollziehbar, aber ethisch fragwürdig."
Von den drei größten deutschen Energieversorgern mit Privatkundengeschäft äußerte sich nur EnBW klar ablehnend. E.ON dagegen räumte ein, "mit der Schufa und CRIF Bürgel im Rahmen von Projekten zusammengearbeitet und Datenpools geprüft" zu haben. Über die Projektphase sei man aber nicht hinausgekommen. Vattenfall erklärte, man sei mit den beiden Auskunfteien "zu deren Produktportfolio im Austausch". 25 Unternehmen, darunter Stromdiscounter wie Fuxx, Stromio und Immergrün beantworteten die Medienanfragen nicht.